Die Tafeln in Nordrhein-Westfalen stoßen an ihre Grenzen: personell, organisatorisch und logistisch. Landesweit werden inzwischen rund 300.000 bis 400.000 Menschen versorgt, darunter etwa 100.000 Kinder und ebenso viele Senioren, wie der Tafel-Landesverband in Neuss in einer Jahresbilanz berichtet.
Zugleich steige aber die Zahl der Bedürftigen weiter, sagt Tafel-Sprecherin Petra Jung. Das Angebot der Tafeln reiche bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Vielfach gibt es nach ihren Worten lange Wartelisten. Etwa ein Viertel der gut 170 Tafeln in NRW können derzeit überhaupt keine neuen Kundinnen und Kunden aufnehmen. Es fehlen ehrenamtliche Helfer, Fahrer für die Kühltransporter – und vor allem frische Lebensmittel, so die Tafel-Sprecherin.
Kinder mit nur einem Paar Schuhe
«Viele Menschen sind außen vor. Der Mangel bleibt», sagt sie. Lebensmittel und das Leben insgesamt seien teurer denn je, viele Menschen mit kleinen Renten, Sozialleistungen oder niedrigen Einkommen könnten nicht mehr mithalten. Ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sei stark eingeschränkt – betroffen seien auch viele Kinder, die oft mit dem Nötigsten auskommen müssen. Manche Kinder von Kunden hätten nur das Paar Schuhe, das sie aktuell tragen.
Die Tafeln arbeiteten währenddessen immer professioneller. «Wir arbeiten heute mit Gabelstapler – früher mit bloßen Händen», sagt Jung. Acht moderne Verteilzentren mit Kühl- und Tiefkühllagern sorgen dafür, dass Großspenden effizient an die regionalen Tafeln verteilt werden. Rund 700 Festangestellte sind in NRW beschäftigt, um die Arbeit der Ehrenamtlichen zu organisieren und zu unterstützen. Die Tafeln betreiben insgesamt etwa 500 Ausgabestellen, viele mit modernster Logistik und digitaler Vernetzung.
Landesunterstützung voraussichtlich stabil
Die finanzielle Unterstützung bleibt stabil: Das Land NRW steuerte 2025 rund 1,4 Millionen Euro bei, dabei werde es 2026 voraussichtlich bleiben, sagte Jung. Hinzu kamen im ablaufenden Jahr fast 900.000 Euro aus der WDR 2-Spendenaktion «Weihnachtswunder», die die NRW-Tafeln auch in diesem Jahr wieder unterstützt.
Das Aufkommen an Lebensmittelspenden geht nach Jungs Worten vor allem bei frischen Waren zurück, weil der Handel seine Bestände zunehmend effizienter plant und weniger abgibt. Um gegenzusteuern, suchen die Tafeln häufiger den direkten Kontakt zu Landwirten – mit Erfolg. So spendete ein Bauer aus Linnich 24 Tonnen Speisezwiebeln, die innerhalb einer Woche landesweit verteilt wurden.
Beispiel aus der Praxis: Tafel Essen
Wie groß die Nachfrage ist, zeigt die Tafel in Essen – eine der größten in Nordrhein-Westfalen. Dort ist die Berechtigung zur Lebensmittelausgabe an den Bezug von Bürgergeld, Wohngeld oder Grundsicherung geknüpft. Laut Tafelchef Jörg Sartor gehören in Essen rund 108.000 Menschen zu dieser Gruppe, von der Tafel versorgt werden könnten aber nur etwa 6.000 bis 8.000. «Wir haben überall Wartelisten – aktuell stehen bestimmt 1.000 Menschen darauf», sagt Sartor.
Die Essener Tafel betreibt zehn Ausgabestellen und setzt auf durchdachte Organisation: Ein Warteraum mit Nummernanzeige und gestaffelten Abholzeiten verhindert lange Warteschlangen. Mit Kühlhäusern, einer eigenen Papierpresse zur Müllvermeidung, einem Tiefkühlhaus und einer «Waschstraße» für Lebensmittelkisten ist die Tafel ausgestattet. Doch auch hier gilt: Der Bedarf wächst schneller als die Ressourcen. «Das Spendenaufkommen ist derzeit relativ mager», sagt Sartor. 130 Ehrenamtliche und vier Festangestellte halten den Betrieb aufrecht – fast alle sind im Rentenalter, rund ein Zehntel bezieht selbst Sozialleistungen.
Ehrenamt am Limit
Landesweit engagieren sich rund 12.000 Menschen für die Tafeln in NRW, sie leisten über 300.000 Stunden monatlich – das entspricht einer wirtschaftlichen Leistung von rund drei Millionen Euro. Das Durchschnittsalter liegt bei 63 Jahren, und viele arbeiten im Alter kürzer als früher. «Da bleibt man Mitglied in der geselligen Tafel-Family, reduziert aber die Arbeitszeit», sagt Petra Jung. Nachwuchs werde vor allem bei Fahrern und Vorständen dringend gesucht.
Ein «Kartoffelsegen» als Lichtblick
Für ein seltenes Erfolgserlebnis sorgte 2025 die Rekord-Kartoffelernte der Landwirte: 350 Tonnen gerettete Kartoffeln gingen an die Tafeln in NRW – ein logistischer Kraftakt. Dank Spenden konnten zusätzlich Speditionen engagiert werden. Freiwillige sorgten dafür, dass die Kartoffeln in kleinen Portionen an die Tafelkundinnen und -kunden verteilt wurden. «Rechnet man das um, hat jeder Tafelkunde rund ein Kilo Kartoffeln erhalten – das zeigt, wie groß der Bedarf ist», sagt Jung.