Missbrauchsfall Bad Oeynhausen: Die Eltern mussten draußen bleiben

Bad Oeynhausen . Bei den Behandlungen der Kinder wollte er gern allein sein. Aus therapeutischen Gründen mussten Eltern in der Praxis von Rainer M. meist vor der Tür auf ihren Nachwuchs warten. Wie viele kleine Patienten der 60-jährige Physiotherapeut, gegen den die Polizei wegen Kindesmissbrauchs ermittelt, in seiner Praxis unsittlich berührt oder gar missbraucht oder gefilmt hat – die Polizei tappt noch im Dunkeln. Bisher sind der Polizei Dortmund und der Staatsanwaltschaft Bielefeld zwei Opfer namentlich bekannt.

Doch die Polizei sucht weiter: &bdquo;Wir haben bereits viele Angehörige von möglichen Opfern erreicht und erste Gespräche geführt", erklärte Cornelia Weigandt, Pressesprecherin der Polizei Dortmund. Auch die Infomobile in Bad Oeynhausen und Minden seien gut frequentiert. Aktuelle Zahlen zu Opfern würden aber derzeit nicht herausgegeben. &bdquo;Es sind laufende Ermittlungen und wir brauchen einfach etwas Zeit für eine erste Bilanz", bittet Weigandt um Verständnis.

16 Monate vom Hinweis bis zur Verhaftung Gegen den 60-jährigen Physiotherapeuten und Heilpraktiker aus der Kurstadt wird ermittelt, weil der auf die Therapie von Kindern und Jugendlichen spezialisierte Mann in seiner Praxis bei Behandlungen kinderpornografische Fotos von Patienten gemacht haben soll. Außerdem soll er zahlreiche weitere kinder- und jugendpornografische Bilder besessen haben. Seit einer Woche sitzt Rainer M. in Untersuchungshaft.

Ein IT-Spezialist aus Süddeutschland, der den PC des Therapeuten warten sollte, sicherte auf dem Rechner kinderpornografische Fotos und übergab sie bereits im November 2017 der Polizei – rund 16 Monate vor der Verhaftung. Weil die Ermittlungen gegen den 60-Jährigen nur mit großen Verzögerungen vorankamen, machte der Fall am Donnerstag bundesweit Schlagzeilen.

&bdquo;Meine Tochter fand ihn immer irgendwie ekelig" Drei Durchsuchungsversuche der Mindener Polizei scheiterten. Erst der vierte Versuch Anfang März war erfolgreich – drei Wochen später folgte die Verhaftung. Laut Innenminister Herbert Reul (CDU) liege der Fehler bei der Mindener Polizei. Seiner Ansicht nach hätte der Fall höher priorisiert werden müssen. Weshalb mittlerweile auch Ermittler aus Dortmund die Mindener mit Spezialisten unterstützen.

Rainer M. gilt in Bad Oeynhausen als fachlich kompetent, hat bei seinen erwachsenen Patienten einen guten Ruf. Viele seiner Patienten gehen seit Jahren zu ihm. Bei den Kindern gibt es offenbar gemischte Gefühle: &bdquo;Meine Tochter fand ihn immer irgendwie ekelig, weil er vor allem an Gesäß und Oberschenkel tatschte", erzählt eine Mutter. Das sei auch der Grund gewesen, warum sie die Therapie beendet habe. &bdquo;Zum Glück", wie sie heute sagt. M. war Anfang der 2000er Jahre ehrenamtlich bei den Johannitern für die Erste-Hilfe-Ausbildung von Kindern und Jugendlichen sowie im Rahmen der Verkehrserziehung für die Erste Hilfe an den Schulen zuständig.

Später, als er eine eigene Praxis hatte, fand Rainer M. seine Kunden und damit potenzielle Opfer unter anderem durch sein Engagement als Physiotherapeut in Sportvereinen und durch kostenlose Gesundheits-Checks in Tanzschulen. Während die Erstuntersuchung in seiner Praxis in Anwesenheit der Eltern geschah und von diesen meist vor Ort bar bezahlt werden musste, liefen weitere Termine auf Kassenrezept – ohne die Eltern im Behandlungsraum. Die wurden währenddessen von M.s Ehefrau betreut, die sich in seiner Praxis um Anmeldung und Organisation kümmerte.

Die Familie lebt zurückgezogen in der Kurstadt Eine Internetseite der Praxis gibt es nicht. Im Netz findet sich kaum etwas über den Therapeuten, der eine Tochter hat. Die Familie lebt, so heißt es, eher zurückgezogen in Bad Oeynhausen. Vor zehn Jahren eröffnete Rainer M. seine eigene Praxis an der Bahnhofstraße. Vorher hatte er jahrelang in technischen Berufen gearbeitet, bevor er 1997 seine Ausbildung zum Physiotherapeuten machte.

Den Heilpraktiker, den der 60-Jährige in seinen Flyer nennt, hat er nicht zu Ende gemacht. Er hat zwar eine dreijährige Ausbildung absolviert, aber keinen Abschluss erreicht. Deshalb klagte er 2012 vor dem Verwaltungsgericht Minden gegen das Kreis-Gesundheitsamt, das ihm aufgrund des fehlenden Abschlusses chiropraktische Behandlungen untersagte. Berufserfahrung hatte M. nach Angaben, die er gegenüber dieser Zeitung bei seiner Praxiseröffnung machte, in mehreren privaten Praxen im Ruhrgebiet gesammelt. Dort, wo die Beamten ihre Heimat haben, die jetzt in seinem Fall ermitteln.

Patienten aus dem gesamten Kreisgebiet Warum M. seine Heimat verließ – darauf werden sich auch die Ermittler konzentrieren. &bdquo;Ich kann ihnen leider nicht sagen, ob es Vorstrafen gibt oder der Tatverdächtige bereits aufgefallen ist", so Cornelia Weigandt vom Dortmunder Präsidium. Das alles sei Teil der laufenden Ermittlungen. &bdquo;Derzeit liegt unser Fokus auf der Praxis in Bad Oeynhausen und dortige mögliche Opfer", erklärt sie . Alles andere käme danach.

Weil die Patienten-Datei von Rainer M. nicht nur Namen aus Bad Oeynhausen, sondern aus dem gesamten Kreisgebiet enthält, greift die Polizei zu ungewöhnlichen Methoden: Sie hat in Bad Oeynhausen und Minden Info-Points eingerichtet, die mit Beamten des Streifendienstes und der Kripo besetzt sind.

&bdquo;Die Infomobile sind bereits gut frequentiert worden", so Weigandt. Die Beamten hätten viele Gespräche geführt. Dagegen laufe das Hinweistelefon eher schleppend an. &bdquo;Wir bitten wirklich alle, die Hinweise geben können oder mit dem Beschuldigten in Kontakt standen, sich zu melden", appelliert die Sprecherin an die Bevölkerung. Noch bis Samstagabend, 20 Uhr, seien die mobilen Polizeiwachen vor Ort – in Bad Oeynhausen an der Herforder Straße, Höhe Nordbahnhof, und in Minden auf dem Marktplatz.

Telefonisch sind die Opferschutzbeauftragten und Ermittler der Dortmunder Polizei unter Tel. (0231) 1 32 74 44 erreichbar.

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