Bielefeld. Bevor 2019 das Bielefelder Kunstforum Hermann Stenner eröffnet werden konnte, überließ Unternehmer Ortwin Goldbeck die Villa am Eingang der Altstadt der Kunst. Drei Tage lang verwandelten 105 Künstlerinnen und Künstler aus der Region die alte Handwerkskammer in eine „Kunstwerkskammer“, die aufs Schönste sichtbar machte, welch künstlerisches Potenzial OWL hat. Die Schau wurde mit 3.500 Besucherinnen und Besuchern zu einem großen Erfolg.
Nun, sieben Jahre später, könnte der sich wiederholen, denn unter dem Titel „mittendrin“ hat Christiane Heuwinkel, Leiterin des Kunstforms, erneut Künstlerinnen und Künstler aus OWL eingeladen, das Haus komplett zu bespielen, und das für gleich zwei Wochen – bei freiem Eintritt. „Ich wollte mit dieser Sommerausstellung bewusst ein Zeichen setzen, dass dieses klassische Museum der zeitgenössischen Kunst aus unserer Region offen gegenübersteht.“
Und so sind ab Samstag, 26. August, bis zum 10. September nun mehr als 300 Werke von 115 Künstlerinnen und Künstlern in den wunderbaren Kabinetten des Forums zu entdecken. Organisiert wurde die Schau von der Initiative „Stattgalerie“, in der sich die Kunstverbände Offene Ateliers Bielefeld, der Berufsverband Bildende Künstler OWL (BBK-OWL), das Künstlerinnenforum Bielefeld-OWL und der Kunstimpresario Uli Horaczek als Vertreter verbandsfreier Künstler zusammengeschlossen haben. Ihnen oblag auch die Auswahl der Akteure und ihrer Werke.
Geschaffen hat die Initiative unter kuratorischer Beratung von Christiane Heuwinkel eine Ausstellung, die in ihrer Opulenz, Vielschichtigkeit und der sie ausstrahlenden künstlerischen Vitalität dazu einlädt, regelrecht in der Kunst aus der Region zu schwelgen.
Auffällig ist: Die Kunst aus OWL steht mittendrin im Leben, nicht abseits, und ist stark gegenwartsbezogen. Die großen Themen unserer Zeit, Klimakrise, Umweltzerstörung, Nachhaltigkeit, Vereinzelung, Unbehaustheit des modernen Menschen, Geschlechteridentitäten finden sich in Malerei, Skulptur, Installationen, Fotografien, Collagen und Film wieder. Es ist eine Freude, sich den verschiedenen Räumen, die den jeweiligen Verbänden zugeordnet wurden, zu nähern und sich in ihnen zu verlieren. Überschrieben sind die Kabinette mit Oberthemen wie zum Beispiel „Mensch im Zentrum“ oder „Kosmos, Welt, Stadt, Land, Natur“. Das Künstlerinnenforum hat zudem einen Raum nur mit Arbeiten im Format 40 mal 40 Zentimeter gestaltet. Eine Beschränkung, die dennoch zu vielfältigen Werken führt. In einem anderen Raum zeigt deren Untergruppe „Pentimenti“ Bilder, die ihre Mitglieder einst liegen ließen und nun übermalt haben.
Das Stenner-Forum hat drei Kabinette mit 40 Schwarz-Weiß-Fotografien von Vincent Böckstiegel beigesteuert, der bisher künstlerisch immer im Schatten seines berühmten Vaters, des westfälischen Expressionisten Peter August Böckstiegel, stand. Eine starke Wiederentdeckung, die wir separat mit einer Sonderseite würdigen.
Böckstiegels Foto mit von hinten aufgenommenen Diakonissen, deren weiße Hauben sie uniform erscheinen lassen, wird in der Schau mit Arbeiten von Künstlern und Künstlerinnen des BBK kontrastiert, die sich mit dem Bild der Frau heute auf vielschichtige Weise auseinandersetzen. Eine beeindruckende künstlerische Verknüpfung. Beeindruckend auch die Arbeit von Sigrid Engel, die mit Hilfe einer Kettensäge in geschwärzte Sperrholzplatten „Borkenkäferspuren“ gefräst hat. Verstörend schön anzusehen, aber eben letztendlich tödlich für den Wald. Überzeugend, sehr anregend und garantiert nicht lebensgefährdend ist hingegen diese üppige Schau.
Vielleicht ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer eigenen Galerie für die Kunst aus Bielefeld und OWL, auf die die Initiative „Stattgalerie“ ja schon lange hofft. „Wir bleiben dran“, betont Uli Horaczek, der sich erst einmal zusammen mit seinen Mitstreitern darüber freut, dass die Kunst aus OWL einmal mehr ihren Platz in einem renommierten Museum der Region gefunden hat. Und demnächst gar in der Kunsthalle Bielefeld?