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Psychotherapietage NRW: Interview mit Prof. Dr. Dr. Wolfgang Tress

Stefan Backe

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Prof. Dr. Dr. Wolfgang Tress - © Stefan Backe
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Tress (© Stefan Backe)

Bad Salzuflen. Erst kamen die Flüchtlinge. Wen das nicht besorgt hat, dürfte sich umso mehr vor Pegida und der AfD fürchten. Die Lage scheint verzweifelt. Da passt es ins Bild, dass sich bei den Psychotherapietagen NRW in diesem Jahr alles um „Hoffnung" dreht.

Die LZ sprach am Freitag zum Auftakt der Salzufler Fachtagung mit Prof. Dr. Dr. Wolfgang Tress aus Düsseldorf, für den die 23. Auflage der jährlichen Veranstaltung zugleich seine letzte als Mitveranstalter ist. Für Montag sind dabei auch alle interessierten Bürger zu einem kostenlosen Filmabend samt psychoanalytischer Interpretation und Diskussion eingeladen.

Herr Professor Tress, vielen Handballfans fehlt die Hoffnung auf den Klassenerhalt für den TBV Lemgo. Können die Psychotherapeuten da weiterhelfen?

Prof. Wolfgang Tress: Natürlich geht es bei uns erst einmal nicht um Hoffnung im trivialen Sinn. Es geht um eine innere Kraft und Gewissheit, dass das Leben trotz allem und trotz aller Resignation weiter geht. Wo dieses Urvertrauen verloren gegangen ist oder noch nie existiert hat, kann es sich durch die therapeutische Arbeit nachträglich entwickeln.

Wie ist es denn um die Hoffnung in Deutschland bestellt?

Tress: Das Klima in Deutschland ist verzagt. Über die Griechenland-Pleite haben die Menschen noch vor dem Fernseher gelächelt. Dann kamen die Flüchtlinge und der Krieg in Syrien; anschließend die gesellschaftliche Gegenentwicklung mit dem Rechtsruck. Das kann einen in Ängste treiben.

Womit halten Sie dagegen?

Tress: Man darf sich dadurch nicht die Hoffnung nehmen lassen. Es gilt, mit aller Kraft weiterzumachen. Im Rheinland sagt man: „Es kommt, wie es kommt" oder „Es ist noch immer gut gegangen". Das trifft es gut.

Die Mehrzahl der Menschen wird dafür keine Therapie benötigen...

Tress: Nein, im glücklichen Fall wird uns dieses Urvertrauen durch die Eltern und Familie vermittelt. Im Laufe des Lebens erweist sich die Hoffnung auf das Gute aber oft als flüchtiges Gut. Viele Beschwerden wie posttraumatische Belastungsstörungen, Ängste, Depressionen, Sucht und soziale Abschottung, aber auch gesellschaftliche Phänomene wie Fremdenhass lassen sich lesen als unangemessene und verzweifelte Versuche der Betroffenen, nachdem das Urvertrauen verloren ist, wenigstens die Hoffnung doch noch irgendwie zu retten.

Wie sollten es denn Eltern halten: Sollen sie mögliche Sorgen – zum Beispiel über das Weltgeschehen – vor Kindern verbergen?

Tress: Selbst Kleinkinder merken, wenn wir Sorgen haben. Sie kriegen das eins zu eins mit. Man sollte Kindern, wenn sie fragen, nichts vorschwindeln, sondern in altersgerechter Sprache das vermitteln, was sie verstehen können. Wenn man nicht ganz unreligiös ist, könnte man sagen: Der liebe Gott hat noch viel zu tun, und wir müssen ihm dabei helfen.

Schon jetzt sind die Wartelisten bei Psychotherapeuten zum Teil unerträglich lang. Und dann wären da noch Millionen traumatisierter Flüchtlinge. Das ist kaum zu schaffen, oder?

Tress: Das stimmt leider. Der Bedarf ist nicht zu decken. Bei den Flüchtlingen ergibt sich zudem ein Sprachproblem, bei denen Dolmetscher helfen müssen. Auch ist die Frage der Honorierung und des Kostenträgers noch nicht ganz geklärt. Es passiert aber auch viel Ehrenamtliches in diesem Bereich. Es wird versucht, niedrigschwellige Angebote zu machen, um zu trösten, zu stützen und die eigenen Ressourcen zu mobilisieren.

Zum Abschluss laden Sie noch zu einem Filmabend ein. Das Werk „Medea" von Pasolini ist schon harte Kost – samt einer missglückten Integration von Flüchtlingen. Sie dürften den Film nicht zufällig ausgewählt haben...

Tress: Der Film greift ein altes griechisches Drama auf, ist aber in der Tat sehr aktuell. Die Botschaft lautet aus meiner Sicht: Man darf nicht erwarten, dass ein Migrant das, was er aus seiner eigenen Kultur mitbringt, an der Eingangstür abgibt. All das kommt mit ins Land und muss integriert werden. Aber der Film ist einfach auch ein gutes Stück Unterhaltung; ein packendes Drama mit fantastischen Bildern und Maria Callas in der Hauptrolle. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.

Psychoanalytische Interpretation im Theater
Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten, Musik-, Körper- und Gestaltungstherapeuten, Sozialpädagogen, Sozialarbeiter, Pflegepersonal – die Liste der Zielgruppe für die Psychotherapietage NRW ist lang. Für Montagabend wird sie aber noch einmal deutlich erweitert.

Laut einer Pressemitteilung sind Gäste und Bürger eingeladen, an einem kostenlosen Filmabend teilzunehmen, der am 31. Oktober um 20 Uhr im Kurtheater beginnt. Gezeigt wird das Werk „Medea" (1969) von Pier Paolo Pasolini. Die Hauptrolle spielt Maria Callas. Im Anschluss ist eine psychoanalytische Interpretation von Prof. Dr. Dr. Wolfgang Tress sowie eine Diskussion geplant.

Bei den Psychotherapietagen NRW können die Fachbesucher in Arbeitsgruppen Kenntnisse und Erfahrungen über diagnostische und therapeutische Methoden erwerben sowie Themen und Probleme diskutieren. Die Veranstaltung wird über die Ärztekammer Westfalen-Lippe mit Fortbildungspunkten zertifiziert.

Information
Persönlich
Universitäts-Professor, Dr. med., Dr. phil. und Diplom-Psychologe – die Liste der Qualifikationen von Wolfgang Tress ist lang. Der heute 68-jährige Pensionär hat zudem vor 24 Jahren mit Prof. Paul Janssen den Trägerverein der Psychotherapietage NRW ins Leben gerufen. Dessen Vorsitz will der Düsseldorfer im Dezember abgeben. Nach zwei Veranstaltungen in Winterberg findet der Fachkongress seit 1996 jährlich in Salzuflen statt.

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