Blomberg-Großenmarpe. Jerry Cotton jagt Verbrecher durch New York. Auf einem Parkplatz kommt es zu einer großen Schießerei, Glas splittert, Geschosse verfehlen den FBI-Agenten um Haaresbreite. Cotton ist der Held einer spannungsgeladenen Krimireihe, die einem Millionenpublikum bekannt ist. Einer der Autoren war Heinz-Werner Höber. Der saß, während er sich die Geschichten ausdachte, in einer alten Mühle im beschaulichen Großenmarpe.
Am 20. Mai 1931 als Sohn eines Dachdeckers im Fichtelgebirge geboren, lebte Heinz-Werner Höber zunächst in Lemgo, wo er 1951 Abitur machte. In den späten 1950er-Jahren zog er nach Großenmarpe. Viele Anwohner erinnern sich noch an die schillernde Persönlichkeit, die vor 20 Jahren starb.
„Er war immer gut drauf“, beschreibt Klaus Seibt den Schriftsteller, den alle nur wie die Romanfigur „Jerry Cotton“ nannten. „Ich war damals bei der Bundeswehr, da wurden die Geschichten viel gelesen. Ich habe erzählt: Der das schreibt, lebt bei uns in Großenmarpe. Aber das wollte keiner glauben“, erzählt Seibt. Das berichtete er Höber, und der gab ihm als Beweis gleich einen ganzen Stapel Hefte mit. „Großzügig war er immer, wenn er Geld hatte“ – was nicht immer der Fall war, in den Kneipen ließ er oft anschreiben. Wenn er wieder Geld hatte, beglich er seine Schulden allerdings auch.
Obwohl New York nirgendwo weiter weg sein könnte als in dem kleinen lippischen Dorf, brachte Höber den Glanz der weiten Welt mit. In der Kneipe traf er sich mit Gästen, die mal aus England, mal aus Amerika stammten – da waren auch manchmal Männer mit dunkler Haut dabei, eine echte Sensation im Großenmarpe der 1960er-Jahre. Zugleich arbeitete er aber auch ganz seriös als Deutschlehrer in der alten Grundschule im Ort.
Dank des Schriftstellers gab es immer Gesprächsstoff im Ort. Renate Zwingelberg kannte „Jerry Cotton“ nicht persönlich, aber sie erinnert sich an eine Begebenheit, die damals erzählt wurde: „Höber hatte nachts bei Großenmarpe auf der Landstraße einen Mann überrollt. Später stellte sich heraus, dass der zu dem Zeitpunkt schon tot war – jemand anderes musste ihn vorher schon überfahren haben.“ So war Höber plötzlich in einen echten Krimi verwickelt.
Wolfgang Fuchs kann sich an den Schriftsteller auch noch erinnern: „Er war 1964 auf unserer Hochzeit.“ Einmal war er auch im Büro von „Jerry Cotton“. „Da waren alle Wände voller Karten“, erinnert er sich. Mit Hilfe dieser Karten, vor allem Straßenplänen von New York, beschrieb der Autor die Wege seines Helden durch die Geschichten – so exakt, dass Leser die Strecken vor Ort ablaufen konnten. Höber selbst sah die Stadt erst 1970 mit eigenen Augen.
Klaus Seibt hat die Räume im Obergeschoss der so genannten „Ottomühle“ an der Selbecker Straße, wo „Jerry Cotton“ wohnte und arbeitete, auch gesehen. Hier baute er für den Schriftsteller „jede Menge Steckdosen“ ein, „an allen Ecken“. Die brauchte er für seine elektrischen Schreibmaschinen. Die Wohnung sei einfach eingerichtet gewesen, erzählt Seibt.
Heinz-Werner Höber hat Hunderte Jerry-Cotton-Romane geschrieben, aber er wurde weder reich noch berühmt damit. Alle Autoren der Reihe schrieben unter dem Pseudonym „Jerry Cotton“, der Agent erzählte seine Abenteuer selbst. Der Verfasser des jeweiligen Abenteuers wurde nicht genannt. Höber nahm schließlich den Namen des Helden an, er wählte als Nummernschild die Buchstaben „JC“. Nach einem durchzechten Abend ließ er sich sogar vom wohl ebenfalls nicht mehr ganz nüchternen Großenmarper Bürgermeister den Namen „Jerry Cotton“ in den Personalausweis schreiben, ganz offiziell in der Amtsstube und mit Stempel.
Ende der 1960er-Jahre zog Heinz-Werner Höber nach Berlin, wo er weiterhin mehr Geld ausgab, als er besaß. Sein Versuch, vor Gericht von seinem Verlag eine höhere Beteiligung am Gewinn der Romane zu erstreiten, scheiterte.
Renate Zwingelberg hat einen Stapel der alten Hefte gesammelt. Die Romane hatte sie beim Aufräumen auf dem Dachboden eines Bekannten entdeckt. „Er war eine Persönlichkeit, die für den Ort wichtig war – und sehr interessant.“ Daher hat sie die kleine Sammlung vor dem Altpapier gerettet.
„Jerry Cotton“ starb am 15. Mai 1996, wenige Tage vor seinem 65. Geburtstag, in Berlin. Aber die ihn kannten, werden den „Agenten“ aus Großenmarpe nicht vergessen.
Jerry Cotton
Im März des Jahres 1954 erschien das erste Abenteuer um den amerikanischen FBI-Agenten Jerry Cotton. Die Heftromane wurden ein sehr großer Erfolg. Die Geschichten wurden in rund 20 Sprachen übersetzt und sogar neunmal verfilmt. Mehr als 3000 Ausgaben kamen in verschiedenen Auflagen zusammen, die deutsche Gesamtauflage erreichte eine Milliarde. Der Erfinder der Figur war allerdings nicht der Autor Heinz-Werner Höber, sondern Delfried Kaufmann.
Mehr als 100 Autoren haben unter dem Pseudonym „Jerry Cotton“ an der Serie mitgearbeitet. 1955 schrieb Höber seinen ersten Jerry-Cotton-Roman, er war einer der Hauptautoren. Ein Remake der Serie startete am 13. Oktober 2012 unter dem Titel „Cotton Reloaded“, die Bände sind als E-Books erhältlich. Verantwortlich für die Neuauflage ist der Bad Salzufler Schriftsteller und Herausgeber Uwe Voehl.