Blomberger Richterin setzt sich für Nazi-Aussteigerprojekt für junge Straftäter ein

Kreis Lippe/Blomberg. Manchmal steckt hinter einem Hitlergruß oder einem Hakenkreuz an der Wand ein schlechter Scherz. Aber was, wenn als nächster Schritt rassistische Beleidigungen oder Gewalt folgen? Um junge Menschen bei Straftaten im rechten Milieu direkt richtig anzusprechen, setzt Jugendrichterin Michelle Wichmann, Richterin am Amtsgericht Blomberg, auf das Nazi-Aussteigerprojekt NinA NRW.

Konkret bedeutet das: Junge Straftäter bekommen von Richterin Wichmann Beratungsstunden gerichtlich auferlegt. Daraufhin suchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Betroffenen für Gespräche auf. Für den Kreis Lippe sei das projektgeförderte Angebot besonders wichtig, findet Wichmann. &bdquo;Es gibt im lippischen Raum kaum Möglichkeiten, individuelle Auflagen zu machen, weil wir zu wenig Angebote haben.“

Das liege nicht an den Menschen vor Ort. Im Gegenteil: Viele engagierten sich, es reiche nur nicht aus. Der lippische Verein die Brücke, der sich für die Resozialisierung von Straftätern einsetzt, schaffe es beispielsweise nur, ein einziges Anti-Aggressionstraining im Jahr zu realisieren . Zu wenig, findet Michelle Wichmann. Und das falsche Mittel, um konkret Jugendliche zu erreichen, die durch Straftaten im rechten Milieu auffallen.

&bdquo;Hardcore-Nazis“ unter Jugendlichen? Aber ist das überhaupt ein lippisches Problem? &bdquo;Die Hardcore-Nazis habe ich im Jugendbereich nicht gefunden, ich finde es aber total erleichternd, dass es Möglichkeiten gibt, junge, gefährdete Menschen, mit einem Gesprächsangebot zu erreichen.“ Hier beginne der erste Schritt, mögliche Karrieren in die rechtsextreme Szene direkt zu unterbinden.

Gerade der Kreis Lippe sei darüber hinaus sehr reichsbürgerlastig, sagt Wichmann, &bdquo;das ist kein Geheimnis.“ Die Kinder aus solchen Familien seien daher gefährdet, das vorgelebte Gedankengut zu übernehmen. &bdquo;Wie sollen die anders groß werden als mit einem bestimmten Blick auf die Welt?“ Richterin Wichmann betont aber auch, dass nicht nur Kinder aus schwachem Elternhaus bei ihr im Gerichtssaal landen. Ein moralisch aus dem Gleichgewicht geratener Kompass treffe alle Schichten.

Wichtig sei es daher, die jungen Straftäter und Straftäterinnen zwischen 14 und 21 Jahren ernst zu nehmen und ihnen auch die Opferperspektive aufzuzeigen, sagt die Richterin. Dabei könne NinA NRW helfen. Die Auflage bestehe in der Regel aus fünf Beratungsstunden. Es gebe auch Fälle, in denen sich schnell herausstellte, dass die Beratung nicht notwendig sei, das melde das Team dann umgehend zurück.

Extreme Rechte im Aufwind Sitz des Projektes ist in Recklinghausen, von dort geht es für Beratungsgespräche durch ganz NRW. Jemanden für länger ans Telefon zu bekommen, ist daher gar nicht so leicht. Das siebenköpfige Team hat aktuell mehr zu tun als üblich. Der Grund ist ernüchternd, schließlich liegt es nicht bloß an der Bekanntheit des Projekts. Der Bedarf wird laut NinA NRW immer größer, auch wenn nicht alle Fälle bei ihnen landeten.

&bdquo;Die extreme Rechte ist im Aufwind, das sieht man auch an den Wahlergebnissen der AfD“, sagt einer der Berater, der aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden soll. &bdquo;Und auch alte Gruppierungen werden deutlich aktiver, weil die gesamtgesellschaftlichen Diskurse ihnen in die Karten spielen.“ Migration. Die Rechte queerer Menschen. Gendern. &bdquo;Ich kann nicht sicher sagen, ob viel mehr Menschen extrem rechts denken, entsprechende Einstellungen werden aber deutlich mehr und offener geäußert.“

Die Arbeit von NinA.NRW halten daher Fachkräfte wie Richterin Michelle Wichmann aus Blomberg &bdquo;für bedeutsam und wertvoll.“ Die Beraterinnen und Berater kommen überwiegend aus dem sozialpädagogischen Kontext, manche sind auch aus dem politikwissenschaftlichen Bereich. Das Projekt unterstützt auf verschiedene Weisen beim Ausstieg aus der rechten Szene. Die Beratungsstunden im Sinne der gerichtlichen Auflagen sind dabei nur ein kleiner Aspekt ihrer Arbeit.

Beratung: Person und Einstellung trennen Egal, ob als gerichtliche Auflage oder freiwillig, das Grundgerüst sei immer gleich. Der Berater sagt, Ziel sei es, in jedes Gespräch &bdquo;kritisch und zugewandt“ reinzugehen. &bdquo;Dieser Widerspruch ist die Grundlage unserer Arbeit, erklärt er. &bdquo;Wir machen deutlich, dass wir die Person sehen und dass wir diese von der Einstellung trennen.“ Dabei sei es ebenso wichtig, problematische Einstellungen klar zu benennen. Viele Betroffene erlebten zum ersten Mal, dass jemand so mit ihnen umgeht: Respekt gegenüber der Person zu zeigen und dabei dennoch kritisch in die Diskussion zu gehen.

&bdquo;Für viele ist das eine Offenbarung, wenn sie diese Trennung erleben.“ Das Team lasse aber keine Ausreden gelten, die Einstellung habe etwas mit Entscheidung und Verantwortungsübernahme zu tun. Im Kern lasse sich alles auf die Menschenwürde herunterbrechen.

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Die wichtigste Erkenntnis sei daher: &bdquo;Ich kann mich hinterfragen und meine Einstellung ändern“, sagt der studierte Politikwissenschaftler. Gerade in extrem rechten Kreisen werde nicht diskutiert. Entweder gebe es Zustimmung oder Ablehnung. &bdquo;Für viele ist es gerade deshalb spannend, sich damit auseinanderzusetzen.“ Genau da setze man bei den Jugendlichen - und auch bei den Erwachsenen - an.

In Blomberg hat Richterin Wichmann schon mehrfach die Rückmeldung bekommen, dass Jugendliche erreicht werden konnten. Gegen rechts auf die Straße gehen sei das eine, sagt sie, &bdquo;aber dieses Projekt leistet konkrete Prävention.“

Infokasten: Was steckt hinter NinA NRW Die zivilgesellschaftliche Beratungsstelle gibt es seit 15 Jahren, dabei fußt die Beratung auf mehreren Säulen. Neben der Auflagen- und Umfeldberatung richtet sich das Projekt an Jugendliche und Erwachsene, die sich aus extrem rechten Strukturen oder Einstellungen lösen möchten. Obwohl der Bedarf groß ist, bangt das Projekt jedes Jahr erneut um Fördermittel.

Daher sei es schwierig, langfristige Strukturen zu schaffen. Bewährtes müsste immer wieder neu ausgehandelt werden, heißt es. Es scheitere schon daran, Flyer zum Jahresende nachdrucken zu lassen. Schließlich müsse erst die Förderung stehen, heißt es. Ein Berater erklärt, das Team müsse sich jedes Jahr aufs Neue im Herbst arbeitssuchend melden.

Aktuell ist das Projekt beim Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW angesiedelt, es soll aber an den Landtag angedockt werden. NinA NRW wird ebenfalls vom Bundesprogramm &bdquo;Demokratie leben“ gefördert. Derzeit wird das Programm insbesondere von konservativen und rechten Parteien wegen vermeintlich mangelnder Transparenz sowie dem Vorwurf, Extremismus vor allen in eine Richtung zu bearbeiten, kritisiert.

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