Kölner Künstlerin verwandelt Blombergs Wochenmarkt in ein „Spielfeld“

Blomberg. Zwei sich völlig fremde Menschen spielen vor dem Rathaus eine Partie &bdquo;Schnick, Schnack, Schnuck“ miteinander. Währenddessen wiegt sich eine ältere Dame, sitzend auf einer Bank, im Takt zur Live-Musik, die an diesem Freitagvormittag dem Blomberger Wochenmarkt eine ganz besondere Atmosphäre verleiht. Auch Joachim Struck flaniert über den Marktplatz. Der 68-jährige Blomberger wird dem Bürgermeister künftig das Rennradfahren beibringen. Das haben die beiden Männer soeben per Handschlag vereinbart. Auf dem Wochenmarkt passieren allerlei Dinge, doch an diesem Tag vielleicht etwas mehr als sonst üblich – denn die Kölner Künstlerin Friederike Hoppe alias Rike Hoppse hat ihre Finger im Spiel.

Es ist 10 Uhr, an der Burg ist kaum noch ein freier Parkplatz zu finden. Viele Leute besuchen heute den Wochenmarkt, der wie jeden ersten Freitag des Monats ein ganz besonderer ist, weil er dann ein bestimmtes Thema hat. Neben den Ständen der Händler haben sich auch die Parteien platziert – Wahlkampf. Es herrscht reges Markttreiben, und mittendrin ist Rike Hoppse zu finden. Die 33-Jährige hat sich einen Tisch in der Mitte des Marktplatzes gesucht. Eigentlich war ein Stand direkt vor dem Rathaus für sie reserviert. &bdquo;Hier sind mehr Menschen“, erklärt sie den spontanen Ortswechsel. Denn um genau die geht es bei ihrer Kunstaktion.

Fremde Menschen ansprechen &bdquo;Das Zusammen-Spiel“ steht auf der Rückseite der schwarz-weißen Karten, die die in Bielefeld aufgewachsene Künstlerin selbst gestaltet hat. Sie ordnet die Spielkarten zu kleinen Stapeln. Auf diesen stehen Aufgaben, besser gesagt kleine oder auch etwas größere Herausforderungen, für die Teilnehmer. Das Konzept zu ihrem &bdquo;Real-Life-Adventure-Game“ habe sie 2017 entwickelt, erzählt Rike Hoppse. Das Spiel solle zu Begegnungen und neuen Handlungen ermutigen. Der Verein Wasserschloss Reelkirchen und Blombergs Kulturbeauftragte Andrea Plat haben die Künstlerin hierher eingeladen .

Einige Menschen bleiben in der Nähe der 33-Jährigen stehen, sie sind interessiert, was dort vor sich geht. Die Kölnerin bietet ihnen eine Spielkarte an. Manche gehen weiter, andere machen mit. &bdquo;Besuche einen Laden, an dem du sonst nur vorbeigehst“, steht auf der Karte einer älteren Dame geschrieben. Sie überlegt kurz und nickt. Später werde sie das in die Tat umsetzen, sagt sie.

Auch Ursula Neugebauer aus Berlin, eine Bekannte der Künstlerin, zieht eine Spielkarte. Sie soll einen Unbekannten zum &bdquo;Schnick, Schnack, Schnuck“ herausfordern. &bdquo;Dafür suche ich mir einen richtigen Ostwestfalen“, sagt sie und lacht. Einen, der etwas schwerer zu &bdquo;knacken“ ist, beschreibt sie die Wesensart, die den Menschen hier nachgesagt wird. Prompt erwischt sie auch genau so einen. Abwinkend und schnellen Schrittes geht er weiter. &bdquo;Der dachte bestimmt, dass ich ihm etwas verkaufen will“, sagt die Hauptstädterin, die sich davon jedoch nicht entmutigen lässt und direkt einen neuen Anlauf startet. Mit Erfolg. Daniel Topp willigt sofort ein. Ohne den Hintergrund zu erfragen, spielt der Blomberger mit. Sie formen ihre Hände zu Schere, Stein und Papier. Drei Runden. Ursula Neugebauer gewinnt und klärt ihren Spielpartner über die Aktion auf. Der findet die Idee toll, wie er sagt.

Jemanden bitten, einem etwas beizubringen

Rike Hoppse geht mit ihren Spielkarten zu einer kleinen Gruppe von Seniorinnen, die es sich auf den Bänken gemütlich gemacht hat. Die Damen unterhalten sich und lauschen den Klängen der Musik von Nis Jesse, der heute die Besucher des Wochenmarktes musikalisch unterhält. Passend dazu zieht Lies Myemeisland die Karte, die sie auffordert, zur Musik zu tanzen. &bdquo;Das machen meine Beine nicht mehr mit“, erklärt die 85-Jährige. Ansonsten hätte sie sofort das Tanzbein auf dem Marktplatz geschwungen, sagt sie. Dass das aber auch wunderbar im Sitzen funktioniert, zeigt die gebürtige Niederländerin, indem sie sich rhythmisch hin und her wiegt.

Auch Bürgermeister Christoph Dolle ist auf dem Wochenmarkt anzutreffen. Vor dem Wahlstand bildet sich eine kleine Schlange, mehrere Leute suchen den Austausch mit ihm. Auch die Künstlerin wartet auf ein Gespräch, um dem Stadtoberhaupt eine Spielkarte anzubieten. Rike Hoppse fächert die Karten auf, Dolle zieht eine. Er soll jemanden aus einer anderen Generation bitten, ihm etwas beizubringen.

Einige Aufgaben sind direkt auf Blomberg zugeschnitten

&bdquo;Joachim, kannst du mir das Rennradfahren beibringen?“, fragt er einen Herren, der in der Nähe steht. Der 68-jährige Blomberger, der gerne mit dem Rennrad unterwegs ist, willigt sofort ein: &bdquo;Klar!“ &bdquo;Unser Sohn hat jetzt so ein Rennrad und damit komme ich gar nicht klar“, erklärt der Bürgermeister. Er wisse gar nicht, wie man mit den Schuhen in die Pedale komme. Das wird ihm Joachim Struck dann in naher Zukunft zeigen. Versprochen ist versprochen.

Der Bürgermeister zieht direkt noch eine Karte. Er soll das Angebot im Paradies erkunden. Einige Aufgaben, so wie diese, hat die Künstlerin direkt auf Blomberg zugeschnitten. Dafür hat sie sich im Vorfeld mit verschiedenen einheimischen Akteuren ausgetauscht, erzählt sie. Dabei habe sie unter anderem erfahren, dass viele &bdquo;Alteingesessene“ das Angebot im Paradies gar nicht kennen würden. Das kann der Bürgermeister bestätigen. Viele würden denken, dass es dort mit dem Jugendzentrum nur ein Angebot für Kinder und Jugendliche gebe. Doch in den vergangenen fünf bis zehn Jahren sei dort noch vieles mehr entstanden, erklärt Dolle. Sei es die Beratung im Integrationszentrum oder auch die Angebote für Familien und die Spielplätze.

Künstlerin stellt sich selbst eine Aufgabe

Dann zieht auch Joachim Struck eine Karte. Er soll sich von einem Kind etwas erklären lassen. Er denkt nach. Den Sinn des Lebens aus Kindersicht würde er spannend finden. Sein Enkelkind könne er nicht fragen, das sei noch zu klein. Ein interessantes Thema, um sich darüber mit den eigenen Kindern zu unterhalten, findet er. Auch wenn die schon erwachsen sind. &bdquo;Ja, das werde ich machen“, sagt er entschlossen. Wie es gelaufen ist, davon will er der Künstlerin im Nachhinein berichten. Die hat die Spielkarten dafür nämlich extra mit ihrer Handynummer versehen, damit die Teilnehmer – sofern sie denn möchten – auch von ihren Erfahrungen berichten können.

Rike Hoppse hat auch leere Spielkarten dabei. Die seien dafür gedacht, sich selbst eine Aufgabe aufzuschreiben, beispielsweise mit einem Vorhaben, dass man schon länger vor sich her schiebe. &bdquo;Die Aufgaben müssen nicht sofort erledigt werden“, erklärt die Künstlerin. Die Spielkarte würde einen aber daran erinnern und vielleicht dabei helfen, es auch wirklich zu machen. Und so denkt auch Rike Hoppse über eine eigene Aufgabe nach. &bdquo;Ich habe schon im Vorfeld darüber nachgedacht, wie ich mich verhalte, wenn auch die AfD hier einen Stand hat.“ Ignorieren wolle sie das nicht.

&bdquo;Du fragst nach drei Zitaten im Wahlprogramm, die belegen, dass die Partei nicht rassistisch, antifeministisch und muslimfeindlich ist“, schreibt sie schließlich auf die Karte. Sie atmet kurz durch und geht zum Wahlstand. Es folgt eine längere Diskussion zwischen der Künstlerin und den Vertretern der AfD. Etwas aufgebracht verlässt Friederike Hoppe den Stand, dennoch ist sie froh, sich dieser Herausforderung gestellt zu haben. Denn darum geht es in ihrem Spiel: sich überwinden und auch mal die Komfortzone verlassen. Ohne diese Karte hätte sie sich das wahrscheinlich nicht getraut, meint sie. So sei damals auch das Konzept zu dieser Aktion entstanden.

Positive Rückmeldungen

&bdquo;Ich bin eher schüchtern“, erklärt sie. Das Spiel solle die Angst oder die Hemmung, die einen daran hindert, etwas zu machen, dass man eigentlich gerne machen möchte, austricksen. &bdquo;Auch Freundinnen haben es ausprobiert und fanden es hilfreich.“ Und auch aus Blomberg erhält Rike Hoppse, fast zwei Wochen nach der Aktion, noch positive Rückmeldungen. Einige Teilnehmer schicken Fotos oder kurze Nachrichten auf ihr Handy. Außerdem haben sich verschiedene Einzelhändler an der Aktion beteiligt und die Karten in den Geschäften ausgelegt. Von den Mitarbeitern habe sie ebenso die eine oder andere nette Anekdote gehört.

So etwa von einer schönen Begegnung in einem Kleiderladen. &bdquo;Schenke jemanden eine Blume“ hatte eine Kundin auf ihrer Karte stehen. Später sei sie zurück in das Geschäft gekommen und habe der Mitarbeiterin eine Blume gebracht. Die sei sehr gerührt gewesen. Mit der Aufgabe &bdquo;einen neuen Nachbarn durch die Nachbarschaft zu führen“ habe ein Teilnehmer zunächst gar nichts anfangen können, obwohl ihm direkt eine Nachbarin in den Sinn gekommen sei. Eine, die etwas &bdquo;komisch“ sei, weil man sie kaum kenne. Diese anzusprechen, darüber habe er noch nicht nachgedacht. Bis jetzt. &bdquo;Irgendwie scheint die Aufgabe dann doch einen Nerv getroffen zu haben“, wie die Künstlerin erfahren hat. Mit dem Vorhaben, diese Frau einmal anzusprechen, habe er schließlich das Geschäft verlassen. Und wer weiß, vielleicht ist sie am Ende gar nicht &bdquo;komisch“ und der Kontakt eine Bereicherung – in jedem Fall aber eine Erfahrung. Es ist ein Spiel, bei dem es keine Verlierer gibt.

Kölner Künstlerin verwandelt Blombergs Wochenmarkt in ein „Spielfeld“

Kölner Künstlerin Rike Hoppse will die Blomberger in ein Abenteuer locken

Mach was Verrücktes: Verein Wasserschloss Reelkirchen und Stadt hecken ein Abenteuer aus

So gewinnt man bei «Schnick, Schnack, Schluck»

Der Blomberger Wochenmarkt zeigt eine gute Entwicklung

Nach Superstart: HSG-Spielführerin Laura Rüffieux verrät ihren Traum

Das Blomberger Bündnis und Buchhändlerin Kerstin Mohme gehen einen ungewöhnlichen Weg