Detmold. Rechtsmediziner im Kölner "Tatort", Knastmediziner der Justizvollzugsanstalt Werl und Buchautor: Joe Bausch ist alles in einem. Am Samstag kommt er auf Einladung der Gesundheitsallianz Lippe zum "Wohlfühlabend" ins Sommertheater.
"Rufen Sie mich morgen in der JVA an", hatte der 60-Jährige am Vortag gesagt, während er im Zug von Berlin in sein Werler Zuhause saß. Nun erreicht die LZ ihn an seinem Arbeitsplatz hinter Gittern, im Krankentrakt des Werler Knasts. Aus dem Hintergrund dringt Stimmengewirr: Sein Kollege hält gerade seine Sprechstunde für die Insassen ab. "Warten Sie, ich mache mal eben die Tür zu", sagt er mit sonorer Stimme, und dann ist er ganz Ohr.
Herr Bausch, Sie sind am Samstag zu einem "Wohlfühlabend" eingeladen. Wann fühlen Sie persönlich sich wohl?
Joe Bausch: Wenn ich mit mir selbst im Einklang bin, wenn der Job reibungslos läuft, und wenn die Vorstellung vom Leben, das man gern führen möchte, sich halbwegs mit der Realität deckt.
Das Thema Ihres Buches "Knast" über die Arbeit in der JVA hat ja nicht unbedingt so viel mit Wohlfühlen zu tun. Was wird die Zuhörer erwarten? Lesen Sie einfach vor?
Bausch: Nein, das wird eher ein Vortrag. In der Tat geht es nicht so sehr ums Wohlfühlen – höchstens werden die Leute am Schluss vielleicht froh sein, dass sie nicht im Knast sitzen (lacht). Ich will die Zuhörer nicht erschrecken, aber ich möchte sie mit einer Welt bekannt machen, von der sie vielleicht noch wenig kennen.
Sie schreiben, dass Sie den Job hinter Gittern nur machen können, weil Sie eine innere Freiheit besitzen. Nun sind Sie in sehr katholischen Verhältnissen in der Enge eines Westerwälder Bauernhofes aufgewachsen. Woher nehmen Sie die innere Freiheit?
Bausch: Sie musste sich natürlich entwickeln. Aber ich habe von meinem Elternhaus etwas mitbekommen, das ganz wichtig dafür ist: den Respekt vor Menschen. Es geht darum, sie erst einmal so anzunehmen, wie sie sind. Ich möchte herausfinden, was sie bewegt. Das lässt mich wach sein, hingucken, auch wenn es unerträglich ist. Wichtig ist auch, authentisch zu sein. Ich bin zu alt, um mich zu verstellen. Überdies ist der Arztberuf ein freier Beruf. Und mir hilft auch mein zweiter Beruf, die Schauspielerei.
Wie meinen Sie das?
Bausch: Nun, der Ursprung des Theaters beschäftigt sich ja auch fast nur mit Mord, Totschlag und Inzest. Wenn ich die Dinge aus zwei Perspektiven sehen kann – also der des Schauspielers und der des Arztes – gelingt es manchmal, selbst dem Unerträglichen etwas abzugewinnen.
Trotzdem: All die Tragödien, die Ihnen zu Ohren kommen, müssen Sie dennoch verarbeiten. Wie machen Sie das konkret, wie schalten Sie ab?
Bausch: Offen gestanden, bin ich im ersten halben Jahr sehr froh gewesen, dass ich einen langen Weg nach Hause hatte. Ich hatte auf dem Weg von Werl nach Bochum viel Zeit, das Ganze zu verpacken, habe mich manchmal einfach ins Café gesetzt, um Abstand zu gewinnen. Heute wohne ich sogar neben den Knast, aber natürlich habe ich auch heute noch Phasen, in denen ich abschalten muss. Dann befasse ich mich mit fiktionalen Dingen, gehe ins Theater oder ins Kino.
Sie sind selbst Schauspieler. Hilft Ihnen das, zu erkennen, wenn einer der Inhaftierten Ihnen etwas vormacht?
Bausch: Am besten erkennt ein langjähriger Knastinsasse, wenn ihn jemand anlügt. Bei mir hilft Erfahrung. Wenn einer mir echt Theater vorspielt, um krank geschrieben zu werden, dann sage ich schon mal: Hast Du gut gemacht, dafür gibt es einen Tag oder zwei frei.
Ich glaube, Sie sind ein echter Menschenfreund.
Bausch: Kein Schauspieler kann gut sein, der sich nicht für Menschen interessiert. Und man braucht Lust auf Menschen, wenn man sie als Arzt behandeln will.
Manche Ihrer Patienten im Knast haben Übles begangen, aber auch Übles erlebt. Fühlen Sie sich manchmal nicht total ohnmächtig?
Bausch: Nein, man ist nicht ohnmächtig. Natürlich kann man Dinge immer auch noch besser machen, aber man muss hingucken: Was hat funktioniert, was haben wir erreicht? Ich muss mein eigenes Tun immer hinterfragen.
Joe Bausch ist 1953 auf einem Bauernhof im Westerwald geboren. Er hat Theaterwissenschaften, Politik, Germanistik und Rechtswissenschaften studiert, später Medizin, und am Bochumer Schauspielhaus gearbeitet. Seit 1987 ist er Arzt der JVA Werl. Am Samstag spricht er ab 19.30 Uhr im Detmolder Sommertheater. Karten gibt es im Buchhaus am Markt. (an)