Detmold. Zwei junge Außenseiter, die sich nicht den starren Regeln der Erwachsenen unterwerfen wollen, schließen eine unverbrüchliche Freundschaft. Darum vor allem ist es am Freitagabend im Landestheater Detmold gegangen.
In den Titelgestalten steckt viel von ihrem Erfinder Mark Twain. Er machte Erfahrungen als Schiffslotse, Goldsucher und Journalist, bevor er zu einem Schriftsteller wurde, dem nachfolgende Generationen die Begründung der amerikanischen Literatur zuschrieben. Kurt Weill verstarb, bevor er die Komposition der Song-Texte für das Musical zu einem der berühmtesten Romane der Weltliteratur voll-enden konnte. John von Düffel hat das Material gesichtet sowie Buch und weitere Gesangstexte dazu verfasst. Das Ergebnis ist ein turbulentes Schauspiel mit Musik, das erst vor zwei Jahren uraufgeführt wurde.
Ruhig fließt der Mississippi durch eine Welt, in der man Warzen durch tote Katzen kuriert und in der es für einen Heranwachsenden angeblich nichts Schöneres gibt, als einen Gartenzaun zu streichen. In dieser Welt geschieht aber auch ein Mord, und ein junges Paar wird im letzten Moment aus einem Höhlenlabyrinth gerettet. Skurrile Gestalten und liebenswerte Typen, Slapstick-Szenen, makabre Situationskomik und pfiffige Wortspiele beleben in der Regie von Rainer Holzapfel eine Bretterbühne, die dank der Ausstattung durch Petra Mollérus mit farbenprächtig kostümierten Typen aus dem Amerika des 19. Jahrhunderts bevölkert ist. Und die Bretter verwandeln sich immer wieder neu in Planken und Badestege, in undurchdringliche Wände und finstere Verliese.
Das famose „Muff Potter Orchestra", dem acht Instrumentalisten angehören, verleiht nicht nur dem riesigen Strom im „River Chanty" seine Stimme, sondern liefert unter David Behnke in den Arrangements von Wolfgang Böhmer ein tönendes Panoptikum zart erwachender Gefühle, unheimlicher Friedhofsstimmung und Begräbnismusik im St. Orléans-Stil. Zum Ohrwurm gerät das rotzig-freche Auftrittslied des Huckleberry Finn.
Weder der verwahrloste Junge, der wie Diogenes in einer Tonne haust, noch der vorwitzige Tom schätzen die Schule. Lieber tauchen sie abenteuerlustig in eine Welt ein, die ihnen nicht nur die erste Liebe, sondern auch die Konfrontation mit brutalen Ereignissen beschert. Roman Weltzien und Christoph Gummert zeigen auf beglückende Weise, wie ihnen gemeinsam mit ihrem Kumpel Pit (Robert Oschmann) der entscheidende Schritt ins Erwachsenenleben gelingt.
In pubertären Nöten stecken auch Becky (Karoline Stegemann) und Amy (Nicola Schubert). Denn sie schätzen weder die überfürsorgliche Glucke Tante Polly (Natascha Mamier) noch die ständige Konfrontation mit dem zimperlichen Musterschüler Sid – Toms Halbbruder (Hartmut Jonas). In blitzartiger Schnelle verwandelt sich Stephan Clemens von einem ölig-schwafelnden Pfarrer in einen forschen Sheriff. Und Markus Hottgenroth liefert zwei Mini-Glanzstücke als heulende Hinterbliebene und spitzbäuchiger Richter. Als stiller Dulder erweist sich Joachim Ruczynski in der Rolle des zu Unrecht verdächtigten Muff Potter.
Zuschauer aller Altersgruppen hatten das Theater dicht gefüllt. Ihr begeisterter Beifall bewies, dass jede Generation auf ihre Weise das Geschehen zu erleben verstand.