Detmold. Die Stadt der Zukunft als grüne und bewegte Stadt mit deutlich weniger Pkw-Verkehr – das ist eine Vision, die Franz Lindner für Detmold entwickelt hat. Der Fachmann für Mobilität hielt vor den Fachausschüssen für Tiefbau und Stadtentwicklung einen Vortrag über Trends, Entwicklungen und Perspektiven zur Mobilität. Es ist der Einstieg in die Entwicklung eines Leitbilds für Detmold.
Wie Lindner herausstellte, befinde sich die Gesellschaft fraglos in einem Epochenwandel, in einer Korrekturphase vor einem Epochenwandel. Die vergangenen fünf Jahre seien die wärmsten seit Aufzeichnung der Temperaturen gewesen, gleichzeitig erstickten die Städte in immer mehr Verkehr. In einer solchen Umbruchphase herrsche oft Orientierungslosigkeit, und ein Systemwechsel brauche seine Zeit, das sei klar.
Weiter habe man es überall mit „hybriden Menschen" zu tun, so Lindner – es gebe große Diskrepanzen zwischen dem „Umweltwissen" und dem „Umwelthandeln". Der Referent: „Sie wollen den Klimaschutz, aber auch mit dem SUV vor der Haustür parken und deutlich mehr zu Fuß gehen, tun es aber nicht. Sie finden Fairtrade wahnsinnig gut, kaufen aber kein Fairtade." Dazu gebe es im Epochenwandel die Strömung „Zurück in die Vergangenheit" und das Extrem „Auf in die Luft" – klar: Die einen wünschen sich den Milchmann wie in alten Zeiten zurück, die anderen wollen die Milch per Drohne liefern lassen. „Die Wahrheit", so Lindner, „ist dazwischen."
Lindner stellte diverse Megatrends heraus: Digitalisierung, Mobilität, Gesundheit, Urbanisierung, Ökologie und die Altersgesellschaft – wobei es Mischformen gebe, zum Beispiel einen Mix aus Ökologie und Technologie. Daraus entwarf Lindner das Bild einer bewegten und grünen Stadt der Zukunft: Wer zum Beispiel mehr zu Fuß gehe oder Rad fahre, tue etwas für seine Gesundheit, lebe länger und schone auch das Klima. Allerdings seien Menschen bequem und auf Qualität sowie sehr gute Erreichbarkeit von Zielen bedacht, es müssten Anreize für Alternativen geschaffen werden – zum Beispiel mit richtig guten Infrastrukturen für den Radverkehr. Im Busverkehr liege da eher nicht das Heil, schilderte er. Detmold habe zwar einen sehr gut funktionierenden Busverkehr mit einem sehr guten Verkehrsanteil von zehn Prozent. Um das noch weiter anzuschieben, müsse man aber richtig viel Geld in die Hand nehmen.
Auch Carsharing bringe nicht so viel, wie man sich erhoffe – den Menschen gefalle es einfach nicht so gut.
Was das Auto angeht: Ein Auslaufmodell sei es nicht, und die Haltung der Deutschen zum Auto werde total unterschätzt. Seit 2002 halte sich der Anteil von Autos im Straßenverkehr bei rund 43 Prozent. Es gebe eine Übernutzung des Autos – statistisch gesehen nutzen meist einzelne Personen ein für vier bis fünf Personen ausgelegtes Auto. Weiter würden die deutschlandweit 47 Millionen Pkw ungeheure Flächen beanspruchen, auf Straßen wie auf Parkplätzen. Dennoch gebe es sehr gute lokale Beispiele, wie man aus dieser Statik aussteigen könne, und es liege in der Hand von Detmold, selbst eine Erfolgsstory zu schreiben.
Die Hälfte aller Autofahrten zum Beispiel seien Strecken unter fünf Kilometern. Die könne man auch anders zurücklegen, wenn denn die Infrastruktur dafür stimme und attraktiv sei. Forscher würden in diesen Binnen- oder Kurzstreckenpendler-Verkehren Sparpotenziale von 30 Prozent sehen. Die, so Lindner, könne man in „gesunde Mobilität" transferieren, und als Richtwert könnten „60 Prozent andere Verkehre" sein. Und genau dort, im Nahverkehr, liege die Chance, richtig etwas zu bewirken – dort gebe es die größten Potenziale für Gesundheit, Klima und Mobilität insgesamt, indem man den Fuß- und Radverkehr zur Basis mache – trotz aller Trends und Entwicklungen zur E-Mobilität, denn auch E-Autos verstopfen ja Straßen und Parkplätze.
Da gebe es sehr viele Beispiele aus anderen Ländern und Metropolen – Fahrradstraßen zum Beispiel, den Rückbau von vierspurigen „Highways", mehr Hecken und Grünstreifen und mehr Bäume („20 Prozent mehr in den Städten") sowie deutlich weniger Parkplätze. Es könne ja neue Möglichkeiten geben, Autos unterzubringen – etwa auf Parkplätzen oder in Parkhäusern außerhalb. Er nannte auch Logistik-Modelle, um die Lieferverkehre aus den Zentren zu verbannen: Waren könnten an Hubs (Umschlagplätzen) ausgeladen und dann zum Beispiel von Subunternehmen mit E-Mobilen in die Zentren gebracht werden.
Kurzum: Detmold brauche eine neue Vision von der Stadt. und eine Transformation der Infrastruktur.
Auf Rückfragen aus dem Ausschuss, wie denn das mit den vielen Fußgänger- und Radverkehren bei schlechtem Wetter und im Winter wäre, hatte Lindner eine einfache Antwort: „Dann fahren Sie halt mal mit dem Auto, na und?" Ein Verkehrskollaps drohe jedenfalls nicht – auch, wenn die Straßen zurückgebaut worden seien. Zu erhöhtem Verkehr könne es sicher mal kommen, aber das sei heute bei Baustellen und Sperrungen ja auch schon so.