Heimaufsicht macht Senioren-Wohnangebot in Detmold dicht

Detmold. 20 Jahre lang gab es an der Willi-Schramm-Straße 4-10 das "Service Wohnen Aedes". Senioren konnten hier in ihren eigenen barrierefreien, behindertengerechten und relativ geräumigen Wohnungen leben - selbstbestimmt, mit hauswirtschaftlicher Versorgung, menschlicher Zuwendung und Betreuung, und bei Bedarf auch mit Pflegedienstleistungen. Doch damit ist seit kurzem Schluss: Die Heimaufsicht des Kreises Lippe hat Aedes im März dichtgemacht, alle Bewohner mussten innerhalb weniger Tage umquartiert werden. Es bestehe akute Gefahr für die Bewohner, habe es in der Verfügung des Kreises Lippe geheißen, sagt Aedes-Leiterin Ingrid Eichhorn-Stamac gegenüber der LZ. Was sie ebenso wenig nachvollziehen kann wie viele Betroffene und deren Angehörige. "Alle haben sich hier immer sehr wohl gefühlt. Für mich ist das ein Fall von Behördenwillkür."

Dabei habe es jahrelang, seit Aedes 2003 den Betrieb aufnahm, keinerlei Probleme gegeben. Das alternative Wohnkonzept für Ältere, die nicht mehr im gewohnten Zuhause leben konnten, aber sich auch nicht mit einem Heim anfreunden konnten, stieß auf Zuspruch. Wer hier wohnte, konnte laut Ingrid Eichhorn-Stamac vier Mahlzeiten am Tag, verschiedene Dienstleistungen und hauswirtschaftliche Versorgung, Rufbereitschaft und Betreuung auch in der Nacht in Anspruch nehmen. Bei Bedarf konnten Bewohner einen Pflegedienst engagieren - das war ab 2012 der Pflegedienst Spalato. Sie habe so kalkuliert, dass Aedes finanziell wirtschaftlich arbeiten konnte, dennoch die Kosten für die Mieter deutlich unter denen vergleichbarer Heime seien, sagte Ingrid Eichhorn-Stamac im LZ-Gespräch.

Querdenkerin macht Stress Doch dann kam Corona. Aedes habe, wie andere Einrichtungen auch, Schutz- und Hygienemaßnahmen ergriffen, zur Hochzeit der Pandemie seien Besuche von Angehörigen kaum oder gar nicht möglich gewesen. Alle hätten dafür Verständnis gehabt - bis auf eine sogenannte "Querdenkerin", die die Existenz von Corona-Viren leugne und sich nicht an Schutzmaßnahmen habe halten wollen, wenn sie ihre Mutter besuchte. Dies habe zu heftigen Auseinandersetzungen geführt - und die seien dahingehend eskaliert, dass die Frau sie mit verschiedenen Anschuldigungen bei der Heimaufsicht des Kreises Lippe angeschwärzt habe, so Ingrid Eichhorn-Stamac.

Ob dem so war, darauf wollte sich die Heimaufsicht auf LZ-Nachfrage nicht festlegen. Das sei auch nicht relevant - wenn Beschwerden eingingen, müsse die Heimaufsicht tätig werden und diese prüfen, so deren Leiterin Mechthild Petersmeier.

Gesetzliche Vorgaben nicht erfüllt Im Frühjahr 2021 habe Aedes von der Heimaufsicht die Aufforderung erhalten, das Service-Wohnen in eine "anbieterverantwortete Wohngemeinschaft" gemäß Wohn- und Teilhabegesetz NRW (WTG) umzuwandeln, so Ingrid Eichhorn-Stamac. Aus Sicht des Kreises Lippe ging das Leistungsangebot von Aedes deutlich über niederschwelliges Service-Wohnen hinaus, weil etwa durch die 24-Stunden-Betreuung eine hohe Abhängigkeit der Bewohner von Aedes gegeben gewesen sei und damit entsprechende Kriterien des WTG hätten erfüllt werden müssen, verdeutlicht Petersmeier.

Ingrid Eichhorn-Stamac zog dagegen vors Verwaltungsgericht Minden, musste die Klage aber wieder zurückziehen - Aedes wäre sonst als Heim eingestuft und geschlossen worden, sagt sie. Leider habe sie keine Unterstützung erhalten durch den Bundesverband privater Altenpflegeeinrichtungen, auch sei es nicht gelungen, einen Anwalt zu finden, der sich mit dem WTG auskennt, was ihre Position vor Gericht vielleicht verbessert hätte.

Aedes habe die Bewohner weiter versorgt und betreut, auch durch Ärzte, Therapeuten, Beschäftigung und den Pflegedienst Spalato, der laut Ingrid Eichhorn-Stamac zuletzt mit 1,6 durch den medizinischen Dienst beurteilt worden sei.

Vergangenen Monat ging dann alles sehr schnell: Am 7. und 9. März habe die Heimaufsicht die Unterlagen von Aedes kontrolliert und - da es kein Qualitätsmanagement gab - auch die Patientenakten von Spalato. Am 10. März sei ihr der Bescheid ausgehändigt worden, dass alle Bewohner binnen einer Woche umzuziehen hätten - inklusive einer Liste der festgestellten Defizite und freier Betten. Nur zwei Bewohner seien in der Willi-Schramm-Straße verblieben, weil sie glaubhaft versichert hätten, vollkommen selbstständig leben zu können.

Gleichzeitig ordnete das Amtsgericht Detmold die Durchsuchung der Aedes-Geschäftsräume an, um Patientenakten und Dienstpläne sicherzustellen. Grund: Verdacht der Körperverletzung - den sah das Gericht aufgrund der von der Heimaufsicht festgestellten Mängel bei der Versorgung der Bewohner als möglich an.

"Ich habe die Leute sehr gut gepflegt", ist Ingrid Eichhorn-Stamac überzeugt. Sie habe den Menschen viel mentale Zuwendung gegeben: "Das war wohl zuviel." Dass sie die Auflagen des Kreises Lippe hätte erfüllen können, glaubt sie nicht: "Das hätten wir mit unserem Team nicht geschafft."

Kein Qualitätsmanagement Vermutlich ist ihr zum Verhängnis geworden, dass sie kein (oder kein ausreichendes) Dokumentations- und Qualitätsmanagement gemacht hat, "weil es für das Service-Wohnen nicht nötig war." Sie habe daher zum Beispiel nicht nachweisen können, dass ein Bewohner ausreichend Flüssigkeit bekommen habe, wenn bei einer Kontrolle Anzeichen für Dehydrierung gefunden worden seien, gibt Ingrid Eichhorn-Stamac zu. Für die Heimaufsicht ein Indiz, dass den Bewohnern Gefahr droht, womit auch die Staatsanwaltschaft ins Spiel kam.

Aedes habe als eine "anbieterverantwortete Wohngemeinschaft" eingestuft werden müssen, weil das Leistungsangebot über Service-Wohnen hinausgegangen sei und damit entsprechende Bedingungen des WTG erfüllt sein müssten, so Mechthild Petersmeier gegenüber der LZ. Man habe ausführlich auf Defizite und zu erfüllende Vorschriften hingewiesen, entsprechende Beratung angeboten, und wiederholt Unterlagen erbeten und Nachbesserungen angemahnt, sei aber von Aedes immer wieder vertröstet worden. Schließlich habe man sich nach Besichtigungen, amtsärztlichen Überprüfungen und aufgrund festgestellter Mängel zum Handeln gezwungen gesehen.

Für Ingrid Eichhorn-Stamac ist das Kapitel Aedes beendet. Die 70-Jährige räumt mit ihrem Noch-Ehemann Mario Stamac - die Beziehung ging durch die Geschehnisse in die Brüche - die Wohnungen aus und hilft dem Immobilienbesitzer - eine Firma aus Offenburg - bei der Neuvermietung. Viel privates Kapital hätten sie und ihr Mann in Aedes hineingesteckt - das ist nun verloren. An dem Aus werden auch etliche Briefe von Angehörigen ehemaliger Bewohner an den Kreis Lippe nichts ausrichten, die der LZ vorliegen, die Unverständnis über das Handeln des Kreises Lippe ausdrücken und Aedes-Leiterin Ingrid Eichhorn-Stamac ein gutes Zeugnis für ihr Wirken ausstellen. "Vielleicht gelingt es uns ja wenigstens, Spalato zu retten", hofft sie.

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