Mädchen nach Milchzahn-OP im Wachkoma: Versicherung zahlt 400.000 Euro Schmerzensgeld

Detmold/ Bad Salzuflen/ Bielefeld. Keine Summe der Welt kann auch nur in Ansätzen erträglich machen, was im September 2017 in einer Detmolder Zahnarztpraxis passiert ist. Ein damals siebenjähriges Mädchen aus Bad Salzuflen erlitt dort bei einer kariesbedingten Milchzahn-OP einen irreversiblen Hirnschaden. Sie wurde falsch intubiert und über mehrere Minuten nicht mit Sauerstoff versorgt. Seitdem liegt die heute 13-Jährige im Wachkoma - muss rund um die Uhr betreut werden. Für die Familie endet erst jetzt ein jahrelanger Kampf um finanzielle Entschädigung.

Rechtsanwalt Marc Melzer aus Paderborn, Fachanwalt für Medizin- und Versicherungsrecht, der die betroffene Familie seit dem Vorfall vertritt, hat mit der Haftpflichtversicherung des damals zuständigen Narkosearztes eine außergerichtliche Einigung erzielt. Demnach zahlt die Versicherung nun insgesamt 400.000 Euro Schmerzensgeld an die Familie. &bdquo;Den Eltern ist ein Stein vom Herzen gefallen“, sagt der Paderborner Rechtsanwalt. &bdquo;Durch das, was wir jetzt erreicht haben, ist die Pflege der Tochter endlich gesichert.“

Mädchen benötigt 30 Stunden Pflege am Tag Zusätzlich zu dem vereinbarten Schmerzensgeld kämen noch rund 357.000 Euro für vermehrte Pflegebedürfnisse, wie etwa den nötig gewordenen Wohnungsumbau und vergangene Pflegeleistungen. Ein vom Anwalt der Familie in Auftrag gegebenes Pflegegutachten habe einen Bedarf von rund 30 Stunden pro Tag festgestellt. &bdquo;Teilweise sind zwei Pflegekräfte parallel im Einsatz, daher kommt man auf diese Stundenzahl“, sagt Melzer.

Ab Januar bekomme seine Mandantin zusätzlich eine monatliche Rente von 5964 Euro. Die Familie müsse mit dem Geld eine 24-Stunden-Pflege abdecken, daher seien die hohen Summen gerechtfertigt. Hinzu kämen noch die Leistungen nach Pflegegrad 5 der sozialen Pflegeversicherung. Gut gehe es den Angehörigen nicht, sagt ihr Anwalt, doch zumindest könnten sie dieses kräftezehrende Kapitel jetzt endlich abschließen.

Vier Jahre hatte es nach der schiefgelaufenen Milchzahn-OP allein gedauert, bis es nach umfangreichen Ermittlungen zu einem Prozess kam. Das strafrechtliche Verfahren gegen den damals zuständigen Anästhesisten aus Bielefeld wegen fahrlässiger Körperverletzung stellte das Landgericht Detmold im Dezember 2021 gegen eine Zahlung von 15.000 Euro ein. Parallel ging das zivilrechtliche Verfahren für die Angehörigen noch zwei Jahre weiter.

Gutachten attestiert Arztfehler Vor einem Jahr, kurz vor Weihnachten 2022, kam die Versicherung der Familie bereits schon einmal mit einer Vorabzahlung von 350.000 Euro entgegen. Der Paderborner Rechtsanwalt wertete dies schon damals als wichtiges Etappenziel, gerade weil die Versicherung ursprünglich lange auf ein &bdquo;akutes Atemnotsyndrom“ als Ursache für das verheerende Sauerstoffdefizit des Kindes gepocht hatte. Sowohl das damals von der Staatsanwaltschaft Detmold in Auftrag gegebene Gutachten als auch eine weitere Untersuchung des Medizinischen Dienstes kamen jedoch zu einem anderen Schluss.

Der medizinische Sachverständige hatte dem Narkosearzt aus Bielefeld im Vorfeld des Strafprozesses bereits Fehler bei der Narkose attestiert. Der beschuldigte Anästhesist soll demnach nicht bemerkt haben, beim Intubieren in die Speiseröhre des Kindes gelangt zu sein, woraufhin sich der Bauchraum des Mädchens mit Luft füllte und aufblähte. Trotz einer fünfminütigen Herzdruckmassage bis zum Eintreffen der Rettungskräfte konnte der irreparable Hirnschaden nicht mehr verhindert werden.

Auch das später durch den Anwalt der Familie in Auftrag gegebene Gutachten des Medizinischen Dienstes habe ergeben, dass es sich bei den Auffälligkeiten in der Lunge des Kindes um die Folge einer akuten Sauerstoffunterversorgung gehandelt habe.

Zustand der Jugendlichen irreversibel Letztendlich habe die Haftpflichtversicherung jetzt sogar ein sogenanntes titelersetzendes Anerkenntnis abgegeben, heißt es vom Anwalt der Familie. &bdquo;Die Gegenseite erklärt damit, dass sie sich so behandeln lässt, als sei sie in der Sache rechtskräftig verurteilt worden.“ Für die Haftung eines Arztes spiele das eine entscheidende Rolle, sagt Melzer.

Am Schicksal der Familie ändert das alles nichts. Der Zustand des Mädchens habe sich nicht mehr verbessert. &bdquo;Das Kind ist ein Pflegefall, das ist leider ein Dauerzustand“, sagt Rechtsanwalt Marc Melzer. Sie könne nicht alleine sitzen, essen, geschweige denn lachen. Durch die vielen Krampfanfälle hätten sich zudem die Füße des Mädchens inzwischen verformt. Es sei schwer zu ertragen, sagt der Anwalt. Für das Erreichte seien die Eltern dennoch dankbar. Wäre eine Klage nötig geworden, hätte es aus Sicht der Familie erneut ein nervenaufreibendes Gerichtsverfahren geben müssen.

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