Elias stirbt mit 12 Jahren: Schwere Vorwürfe gegen die Kinderklinik Paderborn

Bünde/Paderborn. Im Wohnzimmer von Familie Köppe in Bünde (Kreis Herford) erinnern Fotos an glückliche Zeiten. Hochzeit, Geburten, Familientreffen – in jedem Winkel des Raumes entdecken Besucher lachende Gesichter. Seit fast zwei Jahren erinnern diese Fotos Nadine und Marko Köppe jedoch auch daran, dass ihr Leben nie wieder so sein wird. Ihr Sohn Elias ist im Februar 2024 nach einer Odyssee von Arzt zu Arzt verstorben. Ruhe zum Trauern findet die Familie jedoch nicht, denn sie und ihr Anwalt Johannes Brocks sind davon überzeugt, dass Elias noch leben könnte, wenn es im St.-Vincenz-Krankenhaus Paderborn nicht zu Behandlungsfehlern gekommen wäre.

Elias’ Leidensweg beginnt mit Fieber. Der Zwölfjährige lebt zu diesem Zeitpunkt in einer Wohngruppe der Diakonie in Porta Westfalica. Er leidet an ADHS und pulmonaler Hypertonie, einer Erhöhung des Blutdrucks im Lungenkreislauf, gegen die seine rechte Herzkammer kontinuierlich arbeiten musste. &bdquo;Betreuer waren mit ihm beim Hausarzt und in der Notaufnahme des Johannes-Wesling-Klinikums Minden, doch dort schickten sie ihn mit der Diagnose grippaler Infekt einfach wieder weg“, erklärt Marko Köppe.

Weil es Elias zunehmend schlechter geht, kehrt er am 14. Februar zurück nach Hause. &bdquo;Er fantasierte, klagte über Herzschmerzen und hatte Atemaussetzer“, sagt Nadine Köppe. Am nächsten Tag erkennt seine Kinderärztin den Ernst der Lage, verabreicht Sauerstoff und alarmiert einen Rettungswagen. &bdquo;Zu dieser Zeit hat Elias bereits seit 13 Tagen Fieber.“ Im Rettungswagen erfährt Nadine Köppe, dass in der Kinderklinik im Klinikum Herford kein freies Bett zur Verfügung steht. &bdquo;Wir wurden aber trotzdem dorthin gebracht.“

Vater beobachtet, wie Ärzte um das Leben seines Sohnes ringen In Herford müssen Nadine und Elias Köppe sechs Stunden in der Notaufnahme warten, bevor die Ärzte eine Lungenentzündung diagnostizieren, Sauerstoff verabreichen und dann einen Weitertransport in die 70 Kilometer entfernte Kinderklinik St. Louise des St.-Vincenz-Krankenhauses Paderborn organisieren. &bdquo;Dort erhielt er weiter Sauerstoff und Antibiotika“, sagt Nadine Köppe.

Doch in der Nacht auf den 17. Februar verschlechtert sich Elias Zustand dramatisch. &bdquo;Sie verlegten ihn auf die Intensivstation“, erklärt Marko Köppe. &bdquo;Irgendwann brach Hektik aus, weil er reanimiert werden musste.“ Marko Köppe beobachtet Ärzte und Pfleger dabei, wie sie zwei Stunden lang versuchen, seinen Sohn wiederzubeleben. Vergeblich, um 17.02 Uhr hört Elias Herz auf zu schlagen.

In ihrer tiefen Trauer fragen sich Nadine und Marko Köppe, warum ihr Sohn im Alter von nur zwölf Jahren sterben musste. Im Sommer 2024 erhält die Familie den Obduktionsbericht, der zeigt, dass Elias infolge eines Rechtsherzversagens gestorben ist. &bdquo;Die Ärzte in Paderborn haben erklärt, dass sich Bakterien, die Infektionen verursachen, an Elias geschwächter Lunge festgesetzt haben“, erklärt Marko Köppe. &bdquo;Doch warum musste es so weit kommen?“

Kritik am Gutachten des Medizinischen Dienst Um das zu klären, beauftragt die Familie Johannes Brocks als Fachanwalt für Medizinrecht und gibt ein Gutachten des Medizinischen Dienstes Westfalen-Lippe in Auftrag. Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass es in keinem der beteiligten Krankenhäuser und Arztpraxen zu Fehlern gekommen sei, da die medizinischen Standards und die gebotene Sorgfalt eingehalten worden seien. Familie Köppe und ihr Anwalt kritisieren das Gutachten jedoch.

&bdquo;Das Gutachten basiert auf Dokumentationslücken, weil das St.-Vincenz-Krankenhaus Paderborn trotz Anforderung aller Behandlungsunterlagen relevante Teile der Dokumentation über Elias Aufenthalt auf der Intensivstation seit dem Morgen des 17. Februars bis zur Reanimation nicht vorgelegt hat“, erklärt Brocks. &bdquo;Die Klinik hat mich offen – was fair ist – darüber informiert, dass es wohl bei der Digitalisierung der Unterlagen durch einen Dienstleister zu Verlusten gekommen sein soll.“ Das Gutachten überzeugt Brocks deshalb nicht. &bdquo;Man darf aus Dokumentationslücken nicht den Schluss ziehen, dass die Behandlung korrekt abgelaufen ist.“

Anwalt: Behandlung in Paderborn war fehlerhaft Neben den Dokumentationslücken kritisiert Brocks unter Hinzuziehung einer ärztlichen Beraterin, dass Elias aufgrund seiner Vorerkrankung nicht in eine Fachklinik verlegt wurde und dass die Zielvorgabe des Kardiologen zur Sauerstoffsättigung von 97 bis 100 Prozent von dem Behandlungsteam in Paderborn nicht umgesetzt worden sei. Zudem drängt sich nach Angaben Brocks ein Aufklärungsfehler auf, weil die Eltern nicht über die Risiken der Intubation aufgeklärt worden sein sollen.

Brocks kommt nach medizinrechtlicher Prüfung mit fachärztlicher Unterstützung zu dem Ergebnis, dass die Behandlung in Paderborn fehlerhaft und nicht standardgerecht erfolgt ist und deshalb Schadensersatzansprüche bestehen. &bdquo;Ohne Intubation wäre der Tod in der konkreten Gestalt vermutlich ausgeblieben. Und hätte man Elias ausreichend überwacht und dafür gesorgt, dass die Zielsauerstoffvorgabe eingehalten worden wäre, hätte der Tod möglicherweise ebenfalls vermieden werden können.“ Brocks geht deshalb davon aus, dass Elias noch leben könnte, wenn er in Paderborn korrekt behandelt worden wäre.

Krankenhaus bestätigt, dass Dokumentation nicht vollständig ist Das St.-Vincenz-Krankenhaus bestätigt auf Anfrage, dass keine vollständige intensivmedizinische Dokumentation vorliegt, jedoch eine &bdquo;umfangreiche Dokumentation“. &bdquo;Dazu zählt ein sehr ausführlicher Arztbericht des behandelnden Oberarztes, der unmittelbar nach dem Versterben von Elias erstellt wurde“, erklärt Sprecher Jens Sommerkamp. Dieser Bericht liege dem Anwalt von Familie Köppe und dem Gutachter vor, sodass alle relevanten Informationen vorgelegen hätten, um das Gutachten erstellen zu können.

Zudem verweist die Klinik auf das Gutachten, aus dem hervorgehe, dass die Behandlung im Einklang mit den medizinischen Standards erfolgt sei, erklärt Sommerkamp. Das Krankenhaus nehme die Vorwürfe sehr ernst. &bdquo;Der Tod von Elias hat uns im gesamten Team der Kinderklinik tief getroffen. Unsere Gedanken sind bei seinen Eltern und Angehörigen.“

Zu einzelnen medizinischen Entscheidungen kann sich die Klinik laut Sommerkamp mit Blick auf mögliche rechtliche Verfahren nicht im Detail äußern. &bdquo;Grundsätzlich behandeln wir regelmäßig Kinder mit komplexen Vorerkrankungen in enger Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen. Entscheidungen werden im Team nach dem jeweiligen medizinischen Kenntnisstand und mit dem Ziel getroffen, die bestmögliche Versorgung sicherzustellen.“ Zentrales Anliegen der Klinik sei es nun, den Sachverhalt sachlich und transparent zu klären, sagt Sommerkamp.

&bdquo;Wie sollen wir mit diesem Wissen weiterleben?“ Nadine und Marko Köppe sind erschüttert, als sie von den Vorwürfen erfahren. &bdquo;Wir haben immer Fehler vermutet, weil Elias’ Leid an so vielen Stellen nicht ernst genommen wurde, aber nicht mit so einem massiven Versagen“, sagt Nadine Köppe. &bdquo;Elias könnte noch bei uns sein. Wie sollen wir mit diesem Wissen weiterleben?“ Seit dem Tod ihres Sohnes versuchen sie zu funktionieren. &bdquo;Unserer Tochter zuliebe, aber Elias Tod hat uns krank gemacht.“ Die Adventszeit ist für die Familie besonders schwer zu ertragen. &bdquo;Diese Zeit macht uns unglaublich traurig, und der Ärger mit der Klinik macht alles nur noch schlimmer.“

Trotz all dieser Belastungen kämpfen sie für Aufklärung und sind auch zu einer Gerichtsverhandlung bereit. &bdquo;Sollte es nicht zu einer außergerichtlichen Einigung kommen, sind wir bereit. Wir möchten dafür sorgen, dass keine weitere Familie unser Schicksal teilen muss“, sagt Nadine Köppe.

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