Ein Stück voller Verschwörungen: „Medea.Stimmen“ feiert Premiere im Grabbe-Haus

Detmold. Konstanze Kappensteins Bühnenfassung des Romans &bdquo;Medea.Stimmen“ von Christa Wolf hat im Grabbe-Haus eine erfolgreiche Premiere gefeiert. Den vielschichtigen Mythos der weisen, mächtigen Heilerin, die als Kindsmörderin verurteilt wurde, brachten im vitalen Zusammenspiel vier Protagonisten auf die Bühne, die in mehreren Rollen dramatisch brillierten. Seit der Antike gehört die Medeasage zu den bekanntesten Stoffen der Weltliteratur, die auch in der Kunst und Musik stark nachgewirkt hat.

Medea hilft Jason, den Drachen zu besiegen und das Goldene Vlies, ein Symbol männlicher Fruchtbarkeit, zu stehlen. Dafür könnte sie berühmt sein. Durchgesetzt hat sich jedoch eine Lesart, die sie als brutale Bruder- und Kindsmörderin zeichnet.

Schriftstellerin Christa Wolf (1929-2011) beschäftigte sich intensiv mit dem Medea-Mythos und erforschte alte Quellen, in denen das Kindsmord-Motiv nicht vorkommt. In einer Zeit, in der die Autorin selbst wegen ihrer Stasi-Vergangenheit im Kreuzverhör stand, erscheint 1996 der Roman &bdquo;Medea.Stimmen“, der die schillernde Frauenfigur facettenreich beleuchtet. Neben Medea kommen in elf Monologen fünf weitere Figuren zu Wort, die in multiperspektivischer Darstellung den tatsächlichen Intentionen der Figur Medea nahe kommen. Wie Schlaglichter erhellen sie Intrigen, aus deren Spannungsfeld der Mythos &bdquo;Medea“ entstanden ist.

Bedrohte männliche Machtverhältnisse Wolf beleuchtet das Prinzip &bdquo;Fake News“ und &bdquo;alternative Fakten“, das im Zeitalter von Internet und Verschwörungstheorien Hochkonjunktur hat. Wer die Deutungshoheit hat, bestimmt die Geschichte und Realität. In einer patriarchal geprägten Gesellschaft bedroht eine starke unangepasste Frau männliche Machtverhältnisse und muss beseitigt werden. Wolf zeichnet den Vorwurf der Kindsmörderin als Teil einer Verschwörung, die Medea zum Sündenbock für Verfehlungen des patriarchalen Herrschaftssystems macht. Der Kindsmord ist eine Erfindung des Dichters Euripedes (431 v.Chr.), der für seine Auftragsarbeit mit 50 Talenten entlohnt wurde.

Regisseurin Konstanze Kappenstein trennt in ihrer szenischen Annäherung das Bühnengeschehen von einer permanent anwesenden Hörspielebene. Das Gehörte stimmt oft nicht mit dem Bühnengeschehen überein. So entsteht ein Spalt zwischen Wort und Bild, der zu eigenen Interpretationen motiviert. Die Inszenierung führt vom Dunkel ins Licht und spielt im Halbdunkel.

Ein geniales Bühnenbild Atemgeräusche eröffnen den Monolog Medeas, die Manuela Stüßer beeindruckend körperlich inszeniert. Sie sitzt im Käfig aus Milchglasscheiben, die ihre Konturen nur unscharf erkennen lassen. Später beschmiert sie die Scheiben mit Blut. In Zeitlupe umschleichen andere Figuren wie Raubtiere den Käfig. Das geniale Bühnenbild von Carla Nele Friedrich bietet viele Möglichkeiten. Das Milchglas wird entfernt, der mobile Käfig teilt sich in zwei Hälften, die wie Vitrinen am Rand stehen oder, zusammengeschoben, Medea gefangen nehmen.

Die Kostüme sind modern und der schwarze Ledermantel des korinthischen Staatsbeamten Akamas, den Emanuel Weber beeindruckend verkörpert, erinnert an die Nazi- wie Stasi-Zeiten. Emotionen werden in all ihren Ambivalenzen verarbeitet. Das Verhältnis von Medea zu ihrem Geliebten Jason, das zwischen erotischer Annäherung und brutaler Zurückweisung sowie Unterdrückung schwankt, realisieren Manuela Stüßer und Hartmut Jonas in größter Dramatik und Bühnenpräsenz. Die Schauspieler nutzen den Zuschauerraum und agieren von allen Seiten. In bester Textverständlichkeit meistern sie ausdrucksstark ihre Texte und steigern sich in Ekstase bis hin zum dramatischen Schreien.

Viel Applaus Die Monologe werden teilweise von sphärischer Musik und Soundcollagen untermalt und vom Band eingespielt. Die Rolle der Agameda, die sich von Medea vernachlässigt fühlt und sie deswegen hasst, beleuchtet Ewa Noack facettenreich. In ihrer Zweitrolle als Königstochter Glauke, in die sich Jason verliebt, versucht sie durch gezielt gestreute Gerüchte, Medea aus dem Weg zu räumen. Die Inszenierung bannte die Zuschauer und erhielt viel Applaus.

Weitere Vorstellungen am 21., 23., 28. und 29. Februar, am 9., 10., 23. und 24. März jeweils um 19.30 Uhr.

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