Traumjob Gewandmeisterin: Sabrina Wende näht Kostüme am Landestheater

Detmold. Schere, Stift, Papier, Sicherheitsnadeln. Nein, das ist keine neue Variante von Schere, Stein, Papier. Das sind Dinge, die Sabrina Wende in ihrem Organizer immer dabei hat, wenn sie ihren Dienst am Detmolder Landestheater aufnimmt. Die 28-Jährige arbeitet seit einem Jahr als Herren-Gewandmeisterin in der Kostümabteilung des Theaters und liebt ihren Job. Eine Welt voller Schnitte, enger Zeitpläne und Bergen von Stoff.

Reizüberflutung. Dieses Wort kommt jedem in den Sinn, der die Schneiderei im Erdgeschoss des Theatergebäudes durch die unscheinbare, graue Metalltür betritt. Die Augen schwirren umher, versuchen, die Kleiderständer zu erfassen, an denen die herrlichsten Gewänder hängen. Doch der Blick kann nur kurz an den Stoffen verharren. Fotos, Schilder und Zeichnungen zieren die Wände und ziehen die Blicke auf sich. Sie wirken wahllos und beliebig platziert. Zeigen mal eine Kostümzeichnung, Figurine genannt - mal ein Bild von einer Generalprobe oder Premiere, mal einen Zeitungsausschnitt.

Zwei Bügelbretter verengen den schmalen Flur zusätzlich. Jeder Millimeter Platz scheint genutzt zu werden. Für Sabrina Wende ist das ihr Wohlfühlort. Hier arbeitet sie seit fast einem Jahr als Gewandmeisterin in der Herrenschneiderei und erschafft Kostüme, die dann auf der Bühne zu sehen sind. Eine erfüllende Aufgabe für die quirlige Frau mit viel Leidenschaft für ihre Arbeit.

Im Affenzahn düst sie heute den Flur entlang und lotst die bis dato ahnungslose Redakteurin einmal durch die komplette Schneiderei. Zack ist ihr Arbeitsbereich mit großem Tisch, Anprobe und Stofflager passiert. Dann folgt die über und über mit Kostümen, Stoffen und Zeichnungen gefüllte Damen-Schneiderei, das Büro ihrer Vorgesetzten Andrea Kölczer folgt und schon ist Sabrina Wende in der Herrenschneiderei angekommen, dreht sich schwungvoll einmal um sich selbst und zeigt dabei auf halb fertige Sakkos, fertige Teile an den Kleiderstangen nahe den Wänden, einen riesigen Tisch in der Mitte des Raumes, mit Stoffen und Büchern beladen, und sieben Nähplätze. Die Wirkungsstätte ihres Teams.

&bdquo;Hier werden die Kostüme für die Herren genäht und zu den Dienstzeiten sitzen hier vier Näherinnen und Näher und stellen die Kostüme fertig. Die Schnitte habe ich dann schon konstruiert“, erzählt Wende. Echtes Handwerk. Der Stolz über das Wirken am Landestheater ist Sabrina Wende deutlich anzuhören.

Messen, entwerfen, zeichnen, schneiden und nähen - Dinge, die Sabrina bereits in ihrer Kindheit gerne gemacht hat. &bdquo;Ich glaube, ich war sieben oder acht Jahre alt, als ich meine erste Nähmaschine bekommen habe.“ Als Teenager schneidert sie sich gemeinsam mit einer Freundin Cosplay-Kostüme aus der japanischen Manga-Welt. Verkleidet sich, geht auf Conventions mit Gleichgesinnten. Nach der Schule ist für sie schnell klar, sie will das einmal auch beruflich machen. Sie macht in einem kleinen Bielefelder Mode-Atelier eine dreijährige Ausbildung zur Damenmaßschneiderin.

Danach will sie ans Theater - weg von gewöhnlichen Kleidungsstücken und hin zu kreativen und ausgefallenen Unikaten. &bdquo;Meine erste Bewerbung am Landestheater war erfolglos“, erzählt Wende. Die Enttäuschung ist groß, doch die damals Anfang 20-Jährige gibt nicht auf. Arbeitet als Gesellin in einer Änderungsschneiderei, in Stoffgeschäften, in einem Hutatelier - alles um Geld für eine Weiterbildung zur Meisterin in Düsseldorf zu verdienen. Als sie das in der Tasche hat, versucht sie es im vergangenen Jahr erneut und hat Glück. Sie wird für die Führungsposition ausgesucht. &bdquo;Meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich, herausfordernd und auch kreativ. Natürlich auch ab und zu stressig - das ist am Theater nun mal so“, sagt Wende.

Das heißt aber nicht, dass nicht auch mal ein Kleid durch ihre Finger Form annimmt. Denn am Theater kommt es auch immer wieder vor, dass Schauspieler in Kleidern zu sehen sind. &bdquo;Ein Herrenchor hat Krankenschwesterkostüme getragen. Das war schon eine Herausforderung.“

Entwirft sie selbst Kostüme? &bdquo;Nein, das ist Aufgabe der Ausstatter eines Stücks. Die kommen mit ihren Figurinen in die Schneiderei und wir besprechen in großer Runde, welche Stücke eventuell aus dem Fundus genommen und umgearbeitet werden können. Oder wir besprechen, wie ein Entwurf umgesetzt werden kann. Mit welchem Stoff, welche Details wichtig sind und wie der Gesamteindruck sein soll. Dazu mache ich Vorschläge und zeige Beispiele“, erklärt Wende.

Wenn alles abgestimmt ist, macht sich die Lotherin ans Werk. In ihrem Büro konstruiert sie einen passenden Schnitt, bestimmt Stoffe, Nähte, Taschen, Proportionen & Co. Das Bündel geht dann in die Näherei und wird dort umgesetzt. Wende hat dabei die Aufsicht über alle Schritte und kontrolliert Fortgang und Qualität. Ihr Pendant in der Damenschneiderei hat die gleichen Aufgaben.

Warum sind Damen- und Herrenschneiderei getrennt? &bdquo;Das ist historisch so gewachsen, auch die Ausbildung war früher unterteilt. Die Schnitte sind einfach ganz anders“, erzählt Wende. Zwei Etagen drüber ist ihr kleines, vollgestopftes Stofflager mit Hunderten Ballen, Resten, Tüten & Co. Seit ihrem Start am Landestheater versucht sie, Ordnung in die Stapel zu bringen. Wie wird aussortiert? &bdquo;Ganz schwieriges Thema“, meint Wende auch mit Blick auf den Kostümfundus des Theaters.

Das ist riesig. Von Galaroben, über Hawaiihemden bis zur Nachtwäsche lagern auch Schuhe, Hüte, Taschen und vieles mehr an unterschiedlichen Stellen im Landestheater. &bdquo;Die Fundus-Mitarbeiterinnen schaffen hier regelmäßig ihre 20.000 Schritte pro Tag. Die müssen richtig oft hin und her flitzen, wenn etwas gebraucht wird“, weiß Wende.

Nicht alles, was auf der Bühne getragen wird, muss auch genäht werden. Sachen aus dem Fundus werden wiederverwendet oder aufgepeppt. Dazu müssen manche Teile auch gekauft werden, weil eine Anfertigung in der Näherei zu zeitaufwendig oder der gewünschte Stoff nicht verfügbar ist. &bdquo;Für ein Männersakko brauchen wir in der Näherei zirka eine Woche. Ein Outfit aus Sakko, Weste und Hose kann dann schon mal einen Monat in Anspruch nehmen“, sagt Wende und hängt ein Hemd an den Bügel. Moment, ist das ein Schild von H&M? &bdquo;Ja, wir kaufen auch einzelne Basic-Teile bei H&M“, erzählt Wende. So bleibe Zeit, für die entscheidenden Teile eines Kostüms. Zum Beispiel die außergewöhnliche Clownshose aus dem Stück &bdquo;Feuerwerk“. &bdquo;Das war eine türkisfarbene Hose aus einem glänzenden Stoff, die von der Hüfte weit abging und dann schmaler wurde und am Rand kleine Dreiecke aufgenäht hatte. Ein ganz besonderes Unikat.“

Was macht ihr am meisten Spaß? &bdquo;Mit edlen Stoffen arbeiten, raffinierte Schnitte ausprobieren. Färben. Aus dem Entwurf Realität werden zu lassen“, sagt Sabrina Wende. Wo soll die Reise noch hingehen für sie? &bdquo;Na ja, ich bin momentan sehr glücklich und zufrieden hier. Vielleicht verschlägt es mich mal zum Film. Meine Kostüme im Fernsehen zu sehen, das wäre was.“

Vokabeln aus der Welt des Nähens Stiche einschlagen: Übertragen der Kreidelinien auf die rechte Stoff-Seite mithilfe von Heftgarn Pikieren : Handstich zum Einarbeiten der Rollweite am Revers

Anschlagen : Befestigung von Nahtzugaben mit Handstichen

Abgabe : Vorstellung der Kostüme einer neuen Produktion durch den Ausstatter

Staffieren : Unsichtbares Verbinden von Stofflager, meist verwendet beim Einarbeiten von Futter Abstecher: In einem auswärtigen Theater aufgeführte Produktion

Traumjob Gewandmeisterin: Sabrina Wende näht Kostüme am Landestheater

Kreativität im Verborgenen: Wo die Detmolder Theaterkostüme entstehen

Kraftakt: Warum das Detmolder Landestheater oft auf Reisen geht

Halloween ohne Stress: Tipps für entspannte Vierbeiner

Deutschrock am Piano in der Detmolder Stadthalle

Drei Dealer aus der Detmolder Obdachlosenszene zu Haftstrafen verurteilt

Überbordende Fantasie in Holz

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €