Hintergrund zu tödlichen Schüssen in Detmold lässt sich trotz Video schwer aufarbeiten

Detmold. Der erste Schuss geht ins Leere, dann folgen zwei weitere. Sie klingen dumpf und härter als davor. Kurz darauf sackt ein Mann auf der Straße zusammen. Die Szene zeigt, wie ein 43-jähriger Familienvater am helllichten Tag in einem Detmolder Wohngebiet angeschossen wird. Mehrfach spielt die Vorsitzende Richterin Anke Grudda genau diese Videosequenz zum Prozessauftakt ab. Für die Angehörigen sind die Bilder auf der Leinwand kaum zu ertragen.

Das Opfer verstarb einen Tag später im Krankenhaus, die Kugel traf ihn laut Obduktion mitten im Gesicht. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hatte er mit dem Schuss nicht rechnen können. Deshalb geht es beim Prozess vor der Großen Jugendkammer um Mord aus Heimtücke sowie Beihilfe. Angeklagt sind zwei 19-Jährige aus Detmold. Obwohl es mit dem Video ein objektives Beweismittel gibt, bleibt der Fall vom 4. Januar dieses Jahres um die tödlichen Schüsse in der Bachstraße verworren.

Die Dashcam eines vorbeifahrenden Autos hatte die Eskalation zufällig aufgezeichnet. Auf der Sequenz ist zu sehen, wie das Opfer (43), sein Sohn (20) und dessen Cousin (24) zuvor an einem Parkplatz an der Ecke Kissinger Straße/ Bachstraße auf den späteren Schützen losgehen und ihn verprügeln. Mitten auf dem Gehweg parkt noch das Auto. Die wahren Hintergründe des Streits bleiben verborgen.

Fest steht: Das angeklagte Duo soll kurz vor dem Aufeinandertreffen bei einem Familienmitglied des Trios an der Haustür randaliert haben. Die Vorgeschichte bestätigen die Angeklagten selbst. Wenige Minuten später kommt es gegen 14.30 Uhr zu einer folgenschweren Konfrontation. Der Sohn des Getöteten berichtet später als Zeuge vor Gericht, es habe Streit wegen einer geplatzten Silvesterparty gegeben. Man habe das klären wollen. Die Vorsitzende glaubt ihm das nicht.

Sicherheitsvorkehrungen vor Prozesstart angehoben Schon vor Verhandlungsbeginn ist die Anspannung auf dem Flur spürbar, die Sicherheitsvorkehrungen sind schärfer als gewöhnlich. Vor dem Gerichtsgebäude positioniert sich die Polizei über Stunden. Jeder Platz im Zuschauerraum ist am Vormittag besetzt, Fernsehteams umringen die Prozessbeteiligten. Und das sind einige.

Drei Verteidiger sitzen an der Seite ihrer beiden Mandanten, vier Nebenklagevertreter für Familienmitglieder des Opfers nehmen auf der anderen Seite Platz. Richterin Grudda hat mehrfach zu tun, die Prozessbeteiligten samt wechselseitiger Provokationen wieder einzufangen. Sie bleibt dabei ruhig. &bdquo;Ich finde das albern, es geht hier um einen Mord“, sagt die Vorsitzende. &bdquo;Hier ist jemand gestorben.“

Die beiden 19-Jährigen wirken wie Kinder auf der Anklagebank. Sie überlassen ihren Verteidigern das Wort. Der wegen Mordes aus Heimtücke Angeklagte räumt per Erklärung ein, dreimal mit einem Revolver geschossen zu haben, weil er in der Situation Angst um sein Leben gehabt habe.

Er habe sich körperlich unterlegen gefühlt, als am besagten Nachmittag drei Personen aus dem Auto sprangen und ihn angriffen, heißt es. &bdquo;Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Sache vorbei war“, trägt Verteidiger Christoph Rautenstengel aus Hannover vor. Er vertritt den Detmolder gemeinsam mit Dr. Tobias Dietrich aus Bad Oeynhausen. Der Mandant sei kein geübter Schütze, er habe zunächst einen Warnschuss abgeben wollen.

Sohn des Getöteten macht Aussage Die Waffe habe er sich nur besorgt, weil er sich selbst bedroht gefühlt hätte. Der Mitangeklagte habe seinem Kumpel nur helfen wollen, heißt es weiter. Von dem Revolver habe er nichts gewusst. Das bestätigt auch dessen Verteidiger Ali Mojab für seinen Mandanten. &bdquo;Für mich kamen die Schüsse völlig überraschend“, erklärt der Angeklagte.

Der Sohn des Getöteten verfolgt den ganzen Verhandlungstag als Nebenkläger an der Seite seines Anwalts Burkhard Benecken aus Marl. Später sagt er selbst aus. &bdquo;Ich war voller Wut und Adrenalin“, gibt der 20-Jährige nach anfänglichen Zögern zu. &bdquo;Wir wollten ihm eine Abreibung verpassen.“

Der Sohn räumt auch ein, den späteren Schützen mit dem Messer verletzt zu haben. Als er den 19-Jährigen im Schwitzkasten gehabt habe, hätte er etwas Hartes an dessen Hosenbund gespürt, sagt er - und deshalb zugestochen. &bdquo;Mein Instinkt hat einfach reagiert.“

Laut Rechtsmediziner war die Stichverletzung in der Brust potenziell lebensbedrohlich, in diesem konkreten Fall jedoch nicht. Der Sohn des Getöteten wird sich mit seinem Cousin für den Angriff separat am 16. Juni vor dem Jugendschöffengericht verantworten.

Noch ein Mordversuch? Zum Schluss wird es noch einmal unruhig im Saal, weil einer der Nebenklage-Vertreter den rechtlichen Hinweis anregt, es könne sich bei einem der Schüsse auch um einen Mordversuch gegen den Sohn des Getöteten handeln. Der hatte in der Verhandlung nämlich ebenfalls ausgesagt, er habe einen Druck an seinem Kopf gespürt, als ob ein Fußball an ihm vorbeigeschossen sei.

Die Kammer lehnt den daraufhin vorsorglich gestellten Antrag der Verteidigung ab, die Hauptverhandlung auszusetzen oder hilfsweise zu unterbrechen. Am eigentlichen Sachverhalt würde das nämlich aus Sicht des Gerichts nicht ändern.

Der Prozess wird am 20. Juni fortgesetzt.

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