Historie einer Weltmarke: Sinalco-Musical in Detmold feiert glänzende Premiere

Detmold. Ein Musical, das Licht in die Geschichte einer Limonade bringt: Sinalco, obwohl schon lange keine lippische Firma mehr, ist für viele immer noch eine Art heimisches Kulturgut. &bdquo;Das Glück ist eine Orange“ hatte nun Premiere. Eine Uraufführung – es ist ein großes Verdienst des Landestheaters, dass es diese Detmolder Geschichte in Auftrag gegeben hat.

Anfangs scheint alles noch in bester Ordnung. Sinalco: eine Weltfirma. Die Belegschaft: eine Familie. Viele bleiben ihr ein Arbeitsleben lang treu, die Sozialleistungen sind vorbildlich. Alle sind stolz auf ihren Betrieb, von der Arbeiterin an der Orangenpresse bis zum Direktor. Das wird zu Beginn fröhlich, bunt und laut gefeiert, gesungen, getanzt.

Risse in der Harmonie Doch bald zeigen sich Risse in der Harmonie. Wir sind im Jahr 1960, das Wirtschaftswunder floriert, die junge Franziska Hinkler tritt als Stenotypistin in die Firma ein. Und merkt schnell, dass sich hinter der schönen Fassade hässliche Geheimnisse verbergen.

Die Handlung springt zwischen zwei Zeitebenen hin und her, den 1940ern und den 1960ern. Sichtbar wird das an dem Porträt des Direktors Gustav G. Hardorp, das immer wieder wechselt: einmal in Nazi-Uniform und einmal in bürgerlichem Zivil. Ansonsten bleibt Hardorp äußerlich gleich: Nichts ändert sich an seiner Gesinnung. Nach dem Krieg muss er gehen, kommt aber wenige Jahre später als Generaldirektor zurück. Mit der Wirtschaft geht es aufwärts, mit Sinalco auch.

Ein Jude muss gehen Seit 1936 ist der strenge, aber väterliche Chef Generaldirektor. Sein Vorgänger Carl Vogel, ein Jude, wurde zuvor aus antisemitischen Gründen auf miese Weise abserviert. Hardorp ist ein strammer Nazi, der seine Stenotypistin und Ziehtochter Anneliese Stratmann anweist, die Belegschaft auszuspionieren: Er will herauszufinden, wer sich nicht konform zur herrschenden Ideologie verhält. Er will aus Sinalco einen NS-Vorzeigebetrieb machen.

Die mütterliche Kollegin Emma Puhlmann hat schon mit zwölf Jahren in Heimarbeit ihre erste Orange ausgepresst. Von ihr erfährt Franziska, wie das in der Nazizeit so lief bei Sinalco. Fast alle waren in der Partei. Misstrauen, Angst vor Denunziation vergiftete das Klima. Selbst ein Kommunist trat pro forma in die NSDAP ein, aus Sorge um seine kinderreiche Familie. Und schwieg darüber, solange er lebte. Das erzählt sein Sohn, der aufmüpfige Heinrich &bdquo;Henne“ Krüger, der heute als Fahrer arbeitet.

Historische Fakten In die historischen Fakten sind Beziehungsgeschichten verwoben. Anneliese verliebt sich in den schwulen Werbefachmann Michael Brandt, der ihre Gefühle nicht erwidern kann. Gut zwanzig Jahre später geht es Franziska ebenso. Michael reflektiert in einem berührenden Lied über seine Homosexualität: &bdquo;Wenn ich mich verliebe, ist das strafbar.“

Alle Rollen sind exzellent besetzt – gesanglich und schauspielerisch. Sandra Leitner als nachdenkliche, auch selbstbewusste Franziska; Patrick Cieslik als sympathischer, still leidender Michael; Brigitte Bauma als resolute Emma, die den Laden kennt und auch vor dem Chef nicht kuscht; Nikos Striezel als aufmüpfiger &bdquo;Henne“ Krüger; Annette Blazyczek als Elsbeth Wessling, strenge Chefsekretärin alter Schule. Thorsten Tinney gibt den maßlos von sich überzeugten Patriarchen mit Chef-Gehabe. Franziska Pfalzgraf ist die hoffnungslos verliebte Anneliese, die als Spitzel missbraucht und in einen tiefen Konflikt gestürzt wird. Und Heiner Junghans, sanft-melancholischer ehemaliger jüdischer Generaldirektor, tritt als Figur aus der Vergangenheit auf.

Wenn der Direktor, der nach dem Krieg wieder oben schwimmt, von Vertrauen singt, wenn ein machtvoller Chor ihn dabei begleitet, dann jagt einem das kalte Schauer über den Rücken. Später erfährt der Zuschauer, dass sich Anneliese Stratmann 1947 mit 31 Jahren das Leben genommen hat.

Franziska ist nachdenklich geworden. Im Elternhaus hat sie nichts über den Faschismus erfahren: &bdquo;Die böse Zeit kommt niemals wieder, und darum schau’n wir nicht zurück“, heißt es anfangs noch. Doch am Ende fragt sie sich: &bdquo;Was hätte ich getan?“ Mit dieser offenen Frage endet das Stück. Es endet leise: keine große Revuenummer, sondern Zwischentöne.

&bdquo;So einen Opa hat doch jeder von uns“ &bdquo;Eigentlich kann man anhand von Sinalco-Firmengeschichte eine gesamt bundesrepublikanische Geschichte erzählen“, sagt Textautor und Regisseur Peter Lund. Jeder kann in seiner Familie zurückschauen: Wie war das damals? Hardorp blieb seiner Gesinnung bis zu seinem Tod 1964 treu. &bdquo;Henne“, der Sohn des verstummten Kommunisten, sagt: &bdquo;So einen Opa hat doch jeder von uns in der Verwandtschaft.“

Die Musik von Thomas Zaufke spiegelt den Zeitraum der Handlung. Sie reicht vom Sound der &bdquo;Comedian Harmonists“ über Rock’n’Roll à la Peter Kraus bis zu einer Parodie auf &bdquo;Komm ein bisschen mit nach Italien“ von Caterina Valente. Und so ist ein buntes, vielfältiges und kontrastreiches Musical entstanden, das unter der musikalischen Leitung von Mathias Mönius vom Symphonischen Orchester, von Ballett und Opernchor des Landestheaters glänzend dargeboten wurde. Das Premierenpublikum war begeistert.

Vortrag: Dichtung und Wahrheit Dr. Hans-Joachim Keil, der die Vorlage für den historischen Teil des Musicals vorgelegt hat, beantwortet am Montag, 27. Oktober, um 19 Uhr in der Volkshochschule (VHS) Detmold die Frage: &bdquo;Was ist im Sinalco Musical Dichtung und was ist Wahrheit?“ Der Multimedia-Vortrag im Vortragsraum der VHS Detmold, Krumme Straße 20, ist kostenlos.

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