Warum Anke Kirsch ihr Geschäft in Dörentrup schließt

Dörentrup. "Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören", sagt Anke Kirsch. Wer die umtriebige Geschäftsfrau kennt, kann nicht glauben, dass sie es ernst meint. Doch die Schließung ihres Ladens "New Classic Lifestyle" in Spork ist beschlossene Sache. Anke Kirsch, gerade 60 geworden, hat Höhen und Tiefen erlebt, eine schwere Krebserkrankung hinter sich gebracht, zur selben Zeit in der Coronazeit den Lockdown erlebt und die jüngste Verunsicherung der Menschen durch Krieg und Inflation. Trotzdem: "Ich habe alles erreicht, was möglich war. Nun ist Schluss", hat sie entschieden.

Wie kann man nur in Spork einen Laden eröffnen, hätten die Leute gesagt, als sie sich vor 17 Jahren zum Umzug von Brake nach Dörentrup entschieden habe, erinnert sich Anke Kirsch und lacht. In Brake liegt die eigentliche Keimzelle, dort begann alles mit einer kleinen Deko-Ecke im Möbelhaus Hennig, welche immer größere Ausmaße annahm, bis sich Anke Kirsch und Ehemann Jörg Hennig entschieden, in Spork gemeinsame Sache zu machen: Er eröffnete ein Küchenstudio, sie den Dekoladen.

Baby Lilly war immer dabei 2006 war das, Anke Kirsch war gerade mit ihrer jüngsten Tochter Lilly hochschwanger. Und anfangs diente das hintere Zimmer ihres Geschäfts als Still- und Wickelraum, schließlich war Baby Lilly immer dabei. Doch das Sortiment erweiterte sich zusehends, plötzlich gab es nicht nur Deko und Trockengestecke, sondern auch Mode und Accessoires. Jeder Raum wurde benötigt, auch das Herrenzimmer, in dem Männer bei Kaffee, Fernsehen und Zeitung auf ihre shoppenden Frauen warten konnten, musste Platz machen für Ware. Inzwischen liegt der Schwerpunkt auf Kleidung und Schuhen.

Die Kundinnen kommen nicht nur aus Lippe, sondern auch aus größeren Städten wie Herford, Bielefeld oder Hameln. Das Gästebuch ist mit mehreren tausend Einträgen proppevoll. Denn so ein Geschäft in der lippischen Provinz hat viele Vorteile: Parkplätze direkt vor der Tür, keine weiten Wege durch die Fußgängerzone und ein breit gefächertes Sortiment in einem einzigen Laden.

Einkauf wird zum Erlebnis Und Anke Kirsch tat einiges, um den Einkauf zum Erlebnis werden zu lassen: große Weihnachtsausstellungen und Modenschauen mit Fingerfood, zweimal im Jahr Schlussverkäufe, bei denen es ebenfalls nicht nur Schnäppchen, sondern auch Schnittchen gab. Die Vorbereitungen machten viel Arbeit, dabei habe sie immer auf ihre Mitarbeiterinnen, Familienangehörigen und tolle Freunde zählen können: "Hier im Geschäft sind viele besondere Freundschaften entstanden." Kundinnen liefen als Models über den Laufsteg, eine Kundin aus Berlin, Christine Schmid, ist nach ihrem Umzug nach Lippe sogar zur Mitarbeiterin geworden.

Die Mitarbeiterinnen waren es auch, auf die Anke Kirsch zählen konnte, als sie 2019 schwer an Krebs erkrankte. Heike Berkel war seit der ersten Stunde dabei, sie schmiss den Laden zusammen mit Susi Burchard und Ulrike Nakath-Steinhart. Dann kam Corona und Anke Kirsch etablierte einen Online-Shop. Sie avancierte noch während ihrer Therapie zur Auslieferungsfahrerin, stellte den Kundinnen die Tüten mit der georderten Ware vor die Tür: "Ich hatte eine Aufgabe, das hat mir Kraft gegeben."

So ein Geschäft mit 600 Quadratmetern Verkaufsfläche zu führen bedeutet nicht nur, Mode zu verkaufen. Es geht um Buchführung und Kalkulation, um Kundenpflege, Reklamationen und die Bearbeitung vieler Retouren aus dem Onlineversand - aber vor allem auch ums Ordern auf Messen und in Showrooms, und darum, die ständig eintreffende neue Ware harmonisch in den Bestand einzupassen. Sechs Tage die Woche ist geöffnet, Ware traf fast täglich ein, oft wurde auch noch sonntags eingeräumt und dekoriert.

Das Outfit vom Körper weggekauft Das Erfolgsgeheimnis? &bdquo;Vielleicht liegt es darin, dass ich ordere, was mir selbst gefällt. Bei Social Media stellen Anke Kirsch und ihre Mitarbeiterinnen die Kleidung selbst vor, die zu ihnen passen. Stories bei Facebook oder Instagram kurbeln den Verkauf an. Und hin und wieder haben Kundinnen im Laden der Chefin auch schon mal ein Outfit vom Körper gekauft - dann hieß es aus- und umziehen.

"Stammkunden sehen trotz der Fülle an Ware die Neuheiten auf einen Blick", sagt Kirsch. Manch eine Frau fühlte sich jedoch erschlagen von dem Angebot. Dann traten die Verkäuferinnen auf den Plan. Und die mussten den richtigen Blick für die Figur der Kundin haben und passende Modelle auswählen und hin und wieder - mit viel Fingerspitzengefühl - anmerken, dass ein Kleidungsstück nicht den optimalen Schnitt hat: "Mir geht es nicht ums Verkaufen um jeden Preis - die Kundin muss sich wohlfühlen und gut aussehen", unterstreicht die 60-Jährige. Schließlich war und ist jedes Kleidungsstück, jedes Accessoire, jeder Schuh auch Werbung für den Laden - und wenn's unvorteilhaft sitzt, auch Anti-Werbung.

Wenn die gerade 60-Jährige so erzählt, glaubt man, der Tag habe bei ihr mehr als 24 Stunden. Und auch wenn sie am 1. September nicht den Schlüssel umdreht, sondern der unbegrenzte Räumungsverkauf startet – irgendwann in naher Zukunft ist es vorbei, und dann kommt viel Freizeit. Wie will sie die bloß füllen? Mehr Zeit und Muße für alles Schöne wolle sie haben, sagt sie. Für den großen Garten, die vier Hunde, Freunde und natürlich die Familie. Enkelkind Nummer drei ist am Montag geboren. Und dann gebe es auch schon ein paar Jobangebote in der Modebranche. Hört sich nicht nach Langeweile an. Hört sich an, als wolle sie das Leben genießen.

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