Stemmen hat ein Hotel für gefiederte und vierbeinige Gäste

Kalletal-Stemmen. Vier Rinder grasen vor dem Haus. Unschwer am Ring an der Nase zu erkennen, wacht der Bulle über die jungen Kühe. Braune Angus-Rinder, die gemächlich die Wiese abweiden und nebenbei per Kuhfladen für das Ökosystem rund um das Artenschutzhaus in Stemmen sorgen. Tierische Landschaftsgärtner – auch dank ihrer Hilfe gedeiht an der Weserstraße in Stemmen gleich neben dem Kieswerk ein einzigartiges Naturprojekt.

Auf gut 2,3 Hektar wird der Natur hier Raum gegeben, sollen vor allem Wildtiere und Pflanzen Lebensraum und Rückzugsmöglichkeit finden. Und dafür hat ihnen das Kiesunternehmen Reese ein besonderes Terrain geschenkt, das nicht nur über Wiesen und Grün verfügt, sondern auch mit einem eigenen Haus aufwarten kann. Das liegt hinter den friedlich weidenden braunen Rindern, über deren Rücken hinweg Heinz-Jürgen Requardt und Christian Höppner die graue Fassade betrachten. Vergitterte Fenster, hinten denen nur noch vereinzelt Scheiben hervorblitzen, Türen mit kleinen Öffnungen und Mauern mit Löchern in der Wand. Was zunächst verwahrlost aussieht, ist genau auf die Bedürfnisse der neuen Bewohner zugeschnitten: Vögel, Insekten, Amphibien, Fledermäuse oder auch kleine Nager sollen hier Unterschlupf finden und eben dafür haben die Männer das leer stehende Haus passend zurecht gemacht.

In den 1930er Jahren erbaut, verkauften die Besitzer das Haus 2013 an das benachbarte Kiesunternehmen Reese. Danach stand das Gemäuer über Jahre leer und immer wieder hatten es die Eigentümer mit Vandalismus zu tun, wie Heinz-Jürgen Requardt erzählt, der nicht nur für das Kiesunternehmen arbeitet, sondern auch Züchter der Angus-Rinder ist. Müllberge wurden auf dem Gelände abgeladen, was also tun, mit der traurigen Immobilie? Phillip Reese fragte bei Christian Höppner, Geschäftsführer der Ökologischen Betriebbegleitung patroVit, an und der hatte die passende Idee: Ein Refugium für Tiere sollte es werden, ein Haus, in dem sich Hase und Igel im wahrsten Sinne des Wortes Gute Nacht sagen.

Erste Mieter gibt es bereits - samt Nachwuchs

Die Idee kam an und im vergangenen Jahr machte sich Christian Höppner zusammen mit Helfern von Nabu und Mitarbeitern des Kiesunternehmens ans Werk. Es wurde entrümpelt, abgerissen und geräumt, gepflanzt und neu &bdquo;möbliert". 50.000 Euro hat das Unternehmen Reese mittlerweile in das Artenschutzhaus investiert, das deutschlandweit wohl seines Gleichen sucht.

An der Fassade sind die ersten Nistkästen schon bezogen. Blaumeisen-Nachwuchs meldet piepend seinen Hunger an, Mauersegler und Schwalben hingegen lassen noch auf sich warten. 80 Pflanzen sind rund um das Haus gesetzt, sollen die kommenden Jahre die Fassade komplett begrünen, mit dem Ziel, das Haus für Vögel, Insekten und Kleintiere noch attraktiver zu machen. Doch auch so haben sie ihre Wege schon gefunden. Dafür hat Christian Höppner die Fliegengitter vor den Kellerfenstern entfernt und mit Netzen und Balken Ausstiegshilfen verlegt.

Der Keller, erzählt er, während er die Seitentür aufschließt, ist als Winterquartier für Fledermäuse und Amphibien gedacht. Im Erdgeschoss kommen die kleinen Säugetiere unter, während die erste Etage vor allem den Vögeln vorbehalten ist. Grobe Stahlgitter sind hier vor den Fenstern angebracht, die Durchschlupf für Vögel oder auch Kleintiere bieten, dem Menschen aber den Zutritt verwehren.

Über die Seitentür geht es hinein in das Treppenhaus des alten Hauses. Geblümte Tapeten im Stil der 60er-Jahre hängen von der Wand, auf dem Boden liegen Stroh, Ziegel, Naturstein-Haufen oder Holzstämme. Selbst hinter der Tapete ist ausreichend Platz, wie der Landschaftsökologe erklärt. Hier könnten sich Fledermaus oder auch Schmetterling verstecken. Jedes scheinbar so achtlos verteilte Stück in den Räumen hat dabei seinen Sinn. Stämme mit Löchern bieten den Insekten ein Heim, im Steinhaufen finden Amphibien Schutz.

Wildkameras zeichnen Gäste auf

Im Eingangsbereich ist eine der vier Wildkameras angebracht. Eine Hauskatze, Steinmarder und Waschbär hat sie schon aufgezeichnet. &bdquo;Nicht ganz so gut", sagt der 35-Jährige, schließlich sollten die Jäger im Haus keinen gedeckten Tisch vorfinden. Handlungsbedarf indes sieht er noch nicht, vielmehr reiche es, die Strukturen stetig zu überprüfen. Christian Höppner öffnet die Tür zum nächsten Raum. &bdquo;Die bleibt immer zu, durch die Fenster können dann nur Vögel und Insekten rein."

Die tierischen Gäste wissen ihr Hotel bereits zu schätzen. Emsiges Piepen ist aus einem der Nistkästen zu hören, unter dem Dach zeigt Christian Höppner auf die dunklen Haufen am Boden. Gewölle. Hier ist der Waldkauz eingezogen. Im Anbau lassen die Fledermäuse noch auf sich warten und – der Landschaftsökologe hebt vorsichtig den Deckel – auch im geräumigen Anflugkasten hat sich noch keine Schleiereule niedergelassen. Normal – denn das Artenschutzhaus muss jetzt wachsen: Mit den Wiesen, den 44 gepflanzten alten Obstsorten auf der Wiese und dem kleinen Tümpel. Dabei sind die Tiere sich selbst überlassen.

&bdquo;Meine Arbeit ist jetzt im Wesentlichen abgeschlossen", sagt Christian Höppner. Per Monitoring wird er versuchen, die Artenvielfalt vor Ort zu erfassen und immer wieder überprüfen, ob das Zusammenleben auch klappt. Und sollte Corona erst einmal vorbei sein, hofft er, mit dem Artenschutzhaus auch bei Schulklassen und anderen Gruppen Begeisterung für die Natur zu entfachen. Wer mehr über das Projekt wissen möchte: www.patrovit.de.

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