Wenn „bei Hermeier“ in Westorf die Grillhähnchen zum Fußball-Schauen serviert werden

Kalletal-Westorf. Es ist kurz nach 16 Uhr. Die Gaststätte &bdquo;Zum stillen Eck“ in Westorf hat gerade erst geöffnet, da setzen sich bereits die ersten Gäste an den Tresen der Kneipe und bestellen ein Bier. Wirt Ralf Hermeier zapft. Er betreibt das Gasthaus schon in fünfter Generation. Es zu übernehmen, habe er nie bereut: &bdquo;Es macht einfach Spaß, sich mit den Gästen zu unterhalten, das Essen zu servieren und Feedback zu bekommen“, sagt er. Und trotzdem soll für den 67-Jährigen und seine Frau Gudrun Hermeier mit der Kneipe und dem Restaurant voraussichtlich Ende nächsten Jahres Schluss sein. Lediglich der Hotelbetrieb soll weiter bestehen bleiben.

Erste Generation Doch von vorne: Ludwig Struckmann war Bäcker, Konditor und Müller. Er stammt aus Bückeburg, wo er mit seinen Backwaren auch das Schloss belieferte und dort seine spätere Frau Ida Nehlmeier kennenlernte, die dort als Wäsche- und Schlüsseldame arbeitete. Als Wanderbursche kam Struckmann in den 1860er Jahren nach Talle. Dort pachtete er 1868 zunächst den Taller Krug. Doch es kam anders: Eine Zigeunerin riet ihm stattdessen zum Westorfer Krug, den er 1869 von einem Herrn Sundermann kaufte, der die Gaststätte wegen Krankheit seines Kindes aufgeben musste. Zum Betrieb gehörten damals auch eine Bäckerei, ein Lebensmittelgeschäft und eine kleine Landwirtschaft. Das alles geht aus einer Chronik hervor, die anlässlich der 125-Jahr-Feier des &bdquo;Stillen Ecks“ erstellt wurde.

Zweite Generation 1900 übergab Ludwig Struckmann den Betrieb an seinen Sohn Otto Struckmann, der mit Minna Scheidt verheiratet war. Sie bekamen zusammen vier Mädchen. Für die große Familie baute Struckmann ein neues Haus an das 300 Jahre alte Stammhaus. Hinzu kamen außerdem Ställe und eine große Diele, später auch noch ein Saal für die ersten Vereine, die sich in Westorf gründeten - wie der Zieglerverein von 1905.

Dritte Generation 1938 starb Otto Struckmann. Seine Witwe und Tochter Luise verpachteten das Geschäft zunächst an den Bäckermeister Friedrich Ehlert aus Selbeck. Aber 1950 übernahmen Luise und ihr Mann Rudolf Hermeier wieder den Betrieb. Rudolf war Landwirt aus Wentorf. Daher stellten sie den Bäckermeister Fritz Meiertöns ein, bei dem einer der Söhne, Gerhard, Bäcker lernte. Doch nach vier Jahren verpachteten die Hermeiers ihre Gaststätte wieder, diesmal an Bäckermeister Günther Hemesath aus Herrentrup.

Vierte Generation

Bis 1961 der erstgeborene Sohn, Rudolf Hermeier junior, den elterlichen Betrieb nach seiner Meisterprüfung übernahm. Er hatte ebenfalls Bäcker gelernt und nach seiner Gesellenprüfung 1952 in verschiedenen Bäckereien und Konditoreien gearbeitet, um seine Fähigkeiten zu erweitern. In der Bäckerei Stuhrhan in Vlotho lernte er seine spätere Frau Helga Krause kennen. Als erstes ließen beide einen neuen Backofen mit Ölheizung bauen. Ein Jahr später erfolgte der Neubau der jetzigen Gaststube mit vier Fremdenzimmern und einer Wohnung. Die Namensgebung war damals mit einem Preisausschreiben verbunden. Der Westorfer Gemeinderat, unter Vorsitz von Bürgermeister Leopold Wüstenbecker, wählte dann den Namen &bdquo;Zum stillen Eck“ aus.

1963 wurde das Lebensmittelgeschäft, das Bruder Gerhard Hermeier zusammen mit seiner Frau Elke führte, zu einem Selbstbedienungsladen umgebaut. Auch die Bäckerei leiteten sie bis 1974 gemeinsam, mussten sie dann aber aufgrund der Konkurrenz durch Supermarkt-Ketten aufgeben. Dagegen blühte die Gastwirtschaft mit Kegelbahn und Saalbetrieb auf. Helga Hermeier stand in der Küche. Damals wie heute seien Grillhähnchen die Spezialität des Hauses gewesen.

Ende der 60er bekam das Stammhaus eine zusätzliche Etage für Wohnungen und Fremdenzimmer. 1972 wurde der Saal mit Platz für 100 Personen renoviert. Drei Jahre später wurde der große Parkplatz geteert. 1978 kamen noch ein Kaminzimmer, eine Weinstube und ein Café hinzu. Die beiden Söhne Ralf und Ingo wollten den elterlichen Betrieb eigentlich gemeinsam übernehmen. &bdquo;Du wirst da reingeboren, standest mit acht, neun Jahren hinter der Theke. Das war früher ganz normal“, erinnert sich Ralf Hermeier mit einem Lächeln im Gesicht.

Er machte eine Lehre als Koch im &bdquo;Teutonia“ in Bad Meinberg und bildete sich anschließend zehn Jahre in verschiedenen Betrieben weiter, unter anderem in Münster, Frankfurt, Hannover und auf Norderney. Ingo absolvierte eine Lehre als Restaurantfachmann im Burghotel Blomberg, wo er auch seine spätere Frau Marina Rössler aus Bösingfeld kennenlernte.

Doch bei einem Verkehrsunfall verlor Ingo Hermeier sein rechtes Bein. Seither ist er arbeitsunfähig. &bdquo;Das war schon ein Schlag für uns alle“, sagt Ralf Hermeier, der nun alleine als Küchen-Chef agierte, wobei er tatkräftige Unterstützung durch seine Familie bekam und noch bekommt, vor allem von seiner Frau Gudrun, geborene Brandsmeier, aus Langenholzhausen, die er 1987 heiratete.

Aus dem Lebensmittelladen, den die Familie durch die Konkurrenz von &bdquo;WEZ“ in Hohenhausen aufgeben musste, wurden 1994 weitere Fremdenzimmer. Lediglich ein kleiner Kiosk blieb bis Anfang der 2000er, in dem sich die Kinder im Dorf nach der Schule einen Lolli oder Kaugummis holten. 1996 ließ Familie Hermeier auch den Saal zu zwei Ferienwohnungen mit dazugehöriger Außentreppe umbauen. &bdquo;Das lohnte sich nicht mehr. Das Problem war einfach, dass der Saal im zweiten Stock war. Das Essen musste hoch- und runtergebracht werden. Und bei Rieke in Bavenhausen gab es den neuen Saal im Erdgeschoss“, erklärt Ralf Hermeier.

Fünfte Generation 2007 übernahm er den Betrieb komplett. Und trotzdem half sein Vater Rudolf Hermeier, bekannt als &bdquo;singender Wirt“, weiter mit so gut es ging - bis zu seinem Tod 2021. &bdquo;Das war seine Lebensaufgabe“, sagt Sohn Ralf Hermeier. &bdquo;Um 4 Uhr nachmittags war er hier unten, zapfte das Bier, redete mit den Gästen. Das hat er einfach gerne gemacht, und es war auch eine Entlastung für uns.“ Im Familienbetrieb gehe eben alles Hand in Hand.

&bdquo;155 Jahre über fünf Generationen, das ist schon ’ne Nummer“, sagt Ralf Hermeier rückblickend. Doch die beiden Söhne Sven und Markus wollen nicht übernehmen. Die Eltern können das verstehen, sagen sie: &bdquo;Wir haben quasi eine 60-Stunden-Woche und müssen immer an den Feiertagen arbeiten, wenn andere frei haben.“ Darum soll Ende 2025 Schluss sein, wenn der angestellte Koch, der Hermeier unterstützt, in Rente geht.

Nur die Gästezimmer sollen bleiben. &bdquo;Das ist besser planbar als der Restaurantbetrieb und läuft wie verrückt“, meint Ralf Hermeier. Handwerker, Familien, Fußballvereine, die ihr Trainingslager am Westorfer Waldstadion aufschlagen, Motorradfahrer sowie viele Gäste aus Ostdeutschland und den Niederlanden würden ins beschauliche Kalletal kommen. Ein weiteres Standbein sei die erst während Corona neu geflieste Kegelbahn: &bdquo;Mittlerweile kommen wieder viele Kindergeburtstage und natürlich die Kegelclubs“, sagt Ralf Hermeier. Zwischenzeitlich seien es bis zu 29 Vereine gewesen.

Auch Stammtische und Sportvereine treffen sich noch &bdquo;bei Hermeier“, wie es im Dorf heißt. Viele Stammgäste kommen für die bürgerliche Küche und natürlich das berühmte Hähnchen - oder zum Fußball schauen. Hermeier, von Kindesbeinen an leidenschaftlicher HSV-Fan wie sein Vater, zeigt Sky auf den Bildschirmen. &bdquo;Wenn hier früher Dortmund oder Schalke gegen Bayern lief, kriegste keinen Fuß mehr in die Kneipe rein“, erinnert sich der Wirt gerne zurück an die glänzende Zeiten im &bdquo;Stillen Eck“.

Alle weiteren Teile der Gaststätten-Serie finden Sie hier.

Wenn „bei Hermeier“ in Westorf die Grillhähnchen zum Fußball-Schauen serviert werden

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