So ordnen Kalletaler Jugendliche den AfD-Erfolg bei der Jugendwahl in Nordlippe ein

Kalletal/Berlin. Wie wichtig Mitbestimmung in politischen Prozessen ist, macht die Hertie-Stiftung mit ihrem Projekt &bdquo; Jugend entscheidet “ deutlich. Als eine von insgesamt neun Kommunen in Deutschland hatte die Gemeinde Kalletal 2021 den Zuschlag bekommen und konnte das Projekt vor Ort durchführen. Ziel ist es, junge Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern und sie zu motivieren, ihre Interessen und Anliegen zu vertreten.

Mit dabei waren auch Marco Hildebrand (15) und Leon Voigt (18) aus Kalletal, die im Juni auf Einladung der Stiftung in Berlin von ihren Erfahrungen berichtet haben. Beide waren auch im Kommunalen Entwicklungsbeirat der Gemeinde vertreten und haben klare Meinungen zum Thema Demokratie. Beide ordnen die Jugendwahl ein, die im Vorfeld der Europawahl in Nordlippe stattgefunden hat.

Aus der eigenen Erfahrung heraus: Hat sich bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren etwas verändert, was die politische Positionierung angeht?

Marco Hildebrand: Ja, das hat sich definitiv gewandelt. Wir hatten bei uns eine Juniorwahl, bei der ich auch Wahlhelfer war, da war die AfD schon stärkste Kraft. Als wir 2021 eine Juniorwahl im Vorfeld der Bundestagswahl hatten, sah es noch ganz anders aus, da war die AfD drittstärkste Kraft, was meiner Meinung auch nichts Gutes ist. Allerdings wird das immer extremer. Und was ich da zum Beispiel auch beobachte, ist, dass die AfD in den sozialen Medien ein Millionenpublikum erreicht und andere Parteien das leider verpasst haben, diese Medien zu nutzen. Und wenn sich Jugendliche radikalisieren, dann wird es immer schwieriger, sie in demokratische Prozesse einzubinden. Das ist die Problematik, die ich dahinter sehe.

Leon Voigt: Da schließe ich mich an. Ich bin zwei Jahre weiter als Marco, also in der 12. Klasse, aber auch da merke ich Schwierigkeiten, was das Thema AfD und das Thema Politik angeht, weil auch eine gewisse Unaufgeklärtheit besteht. Die sind nicht aufgeklärt, die Jugendlichen. Wir haben zum Beispiel vor einigen Wochen im Politikunterricht ein Video geschaut: &bdquo;Was wäre, wenn die AfD an die Macht kommt?“ und da gab es Kommentare: &bdquo;Das ist Propaganda gegen die AfD.“ Und da sehe ich einfach ein riesiges Problem. Die gucken dann nur auf die Wahlprogramme, aber nicht auf das, was zum Beispiel im Fernsehen gesagt wird. Im Wahlprogramm steht zum Beispiel nichts von &bdquo;Remigration“ und das ist dann nicht wichtig für die. Die sind einfach nicht aufgeklärt und das beginnt schon in der Schule.

Marco Hildebrand: Das stimmt. Es fehlt ganz viel an politischer Bildung. Besonders was die Parteien angeht und da muss viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wir haben vor der Europawahl den Wahl-O-Mat gemacht und da kam 70 bis 75 Prozent AfD raus.

Wurde das weiter behandelt?

Marco Hildebrand: Das wurde nicht weiter behandelt. Der Lehrer fand das auch nicht gut, aber es wurde nicht weiter drüber geredet und das ist halt ein Problem.

Leon Voigt: Das war bei mir genauso. Wir haben das nicht als Klasse gemacht, sondern untereinander, aber was da rauskam, ist einfach traurig und sehr erschreckend.

Was würdet ihr euch wünschen, wie mit solchen Dingen umgegangen wird?

Marco Hildebrand: Das muss aufgegriffen werden, das geht nicht anders. Es wird jetzt viel darüber geredet, dass bei Bundestagswahlen, bei Landtagswahlen Wählen ab 16 ist. Dann gibt es die Stimmen, die sagen, dass Jugendliche politisch noch zu ungebildet sind. Da denke ich mir: &bdquo;Da muss man doch etwas dagegen machen, dass sie eben nicht mehr so ungebildet sind.“

Leon Voigt: Das muss schon aber der fünften Klasse angegangen werden. Klar, kann man da noch nicht ins Detail gehen aber versuchen, eine Art spielerische Aufklärung zu erreichen. Dass man einfach in den Jahren daran wächst und in den Jahren sieht, wie man logisch über das Thema Politik denken kann.

Wenn ihr euch mit Mitschülerinnen und Mitschülern unterhaltet, was werden da für Gründe genannt, Parteien wie die AfD zu wählen?

Marco Hildebrand: Dass aus Protest gewählt, würde ich nicht unterschreiben. Ich glaube eher, das ist eine Art Hilfeschrei. Nach bestimmten Themen, die andere Parteien nicht aufgreifen. Ich kenne eine Mitschülerin, die offen sagt, dass sie die AfD wählt, schon seit 2021. Da gab es die Corona-Regeln, gegen die sich die AfD gewehrt hat. Dass zum Beispiel im Bundestag Abgeordnete ein löchriges Tuch vor dem Gesicht hatten statt einer Maske. Und das finden halt viele super, dass die sich gegen den Vorschlag der Bundesregierung wehren und wirklich das Trotzverhalten eines zweijährigen Kindes an den Tag legen. Ich hatte auch einen in der Parallelklasse, der gesagt hat: &bdquo;Ja, wir haben uns mit allen abgesprochen, dass wir die AfD wählen. Was denn sonst?“

Leon Voigt: Bei mir war es größtenteils so, dass es von der Familie vorgelebt wurde, wie man zu wählen hat. Da gab es dann in den Gesprächen untereinander kaum eine Erklärung, warum man das wirklich möchte, sondern das kam dann wirklich von zu Hause. Und dann tragen die das an andere in der Klasse weiter. Und wenn man fragt, ob sie das wirklich wollen für Deutschland, stößt man größtenteils auf Ablehnung. Da fehlt Aufklärung, auch in der Familie.

Marco Hildebrand: Die AfD gibt offenbar vielen Jugendlichen eine politische Heimat, welche sie vorher so nicht gefunden haben. Ich hatte einen in der Parallelklasse, der ist aufgestanden als wir eine Schweigeminute wegen des Krieges in Israel gemacht und hat gesagt: &bdquo;Wer auch gegen Juden ist, der geht jetzt mit mir vor die Tür.“ Und solchen Leuten gibt die AfD eine Heimat. Das ist unfassbar gefährlich. Durch solche Leute bekommt die AfD so viel Macht.

Was hat euch dazu bewogen, bei &bdquo;Jugend entscheidet“ mitzumachen?

Leon Voigt: Ich war damals Schülersprecher an der Jacobi-Schule und wurde von Schulleiter Eike Stiller angesprochen. Das hab ich gemacht und das war mit Abstand die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.

Marco Hildebrand: Ich bin politisch interessiert, seit ich etwa acht Jahre alt war, und hab da schon gerne mit Bürgermeistern, Landräten, Landrats- und Bundestagsabgeordneten unterhalten und recht schnell ein Verständnis für demokratische Werte entwickelt. Und als dann die Einladung der Gemeinde Kalletal zu &bdquo;Jugend entscheidet“ kam, war für mich sofort klar, dass ich da gerne mitwirken möchte. Ich wollte demokratische Werte weiter in meinem Leben verankern, kennenlernen und umsetzen und da hat das Projekt mir sehr geholfen.

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