Talle tritt aus dem Schatten des Kanzlers hervor

Kalletal-Talle. Hoch im Norden von Lippe liegt ein Dorf, das Talle heißt. Seinen früheren Stürmer &bdquo;Acker“ kennen alle in Deutschland. Warum: Weil er mal Bundeskanzler war. Diese Story wurde in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach erzählt. Fernsehteams waren in dem Bergdorf, diverse Illustrierte schrieben über Talle. Und alles nur wegen Gerhard Schröder. Die besten Geschichten erzählen die Taller natürlich selbst. &bdquo;Damals, als wir mit mehreren aus dem Dorf zu seinem 60. Geburtstag in Hannover eingeladen waren. Da saßen Putin und Gottschalk vor uns, Westernhagen und die Scorpions hinter uns“, erinnert sich Rainer Dubbert, heute Vorsitzender des Heimat- und Zieglervereins. Schröder ist längst Geschichte, in Talle wird sie regelmäßig neu geschrieben.

Dieter Hartwig, SPD-Legende aus Talle und seit gefühlt einer Ewigkeit Ratsherr im Kalletal, erklärt, welche Story die mit dem größten Bezug zur Gegenwart ist: &bdquo;Fraglos die Sanierung des Tempelhauses.“ Mitten im Ort, schräg gegenüber vom Alten Krug und unterhalb einer Kirche, steht das Gebäude in einer Hanglage. Und Hartwig wie Dubbert brauchen mehrere Finger, um alle Details rund um das neue Schmuckstück aneinander zu reihen. Dubbert: &bdquo;3600 Stunden Eigenleistung stecken hier drin. Und heute ist es Eigentum der Dorfgemeinschaft.“ Hartwig: &bdquo;Wir haben 40 Sitzplätze und die Gemeindeverwaltung bietet Sprechstunden zu unterschiedlichen Themen an, demnächst zum Beispiel zur kommunalen Wärmeplanung. Ansonsten findet hier das Vereinsleben statt.“

Gastwirtschaft ist ein ewiges Thema In einer Zeit, in der der Niedergang der Gastronomie in der Provinz nahezu wöchentlich einen Namen erhält, der mit Krug oder Gasthof endet, weiß Talle das neue Gebäude zu schätzen. Längst vorbei die Zeiten, in denen Talle den Ruf eines Luftkurortes hatte und Gäste aus großen Städten nach Talle kamen, um im Bergcafé ein Stück Kuchen zu essen. Und Hartwig wie Dubbert fügen nur der Vollständigkeit halber an: &bdquo;Das gilt natürlich auch für den Jägerkrug und den Alten Krug.“

Die Posse um die Gastwirtschaft mitten im Ort ist bereits mehrfach Gegenstand einer medialen Aufmerksamkeit gewesen. Der Vater von Tobias Nolte, Günter Nolte, ein Spezi vom Ex-Kanzler, hatte den Krug auch mal betrieben. Mittlerweile wohnt in dem riesigen Gebäude ein Holländer, der den Krug vor Jahrzehnten mal wild und entschlossen ersteigert hatte , um womöglich mit einer großen Renaissance der Landgastronomie Erfolge zu feiern. Über das Wunschdenken hinaus konnte die Idee allerdings nicht Fuß fassen. Tobias Nolte wiederum ist heute ein Stützpfeiler der Feuerwehr und freut sich auf das neue Gerätehaus - es liegt rund 500 Meter vor dem Sportplatz; es ist im Bau und dürfte im Sommer fertig werden.

&bdquo;Glyphosat-Irrsin“ Vom früheren Bezirksligisten TuS Talle mit seinem Stürmer &bdquo;Acker“ ist nicht viel übrig geblieben. Trotz Sporthaussanierung. Die Kicker hatten sich vor Jahren mit Westorf, später mit Lüdenhausen zusammen getan, sind heute aber so wenige, dass die Rest-Taller vom Winde verweht in mehreren Vereinen um das Bergdorf hinter den Ball treten. Dubbert kommentiert: &bdquo;Korbball wird in Talle noch auf dem Sportplatz gespielt und unsere Hobby-Fußballer sind dort aktiv.“ Und Hartwig erwähnt am Rande, dass der Glyphosat-Irrsinn auf dem Rasen des Sportplatzes womöglich der letzte &bdquo;Sargnagel“ war. Drei Jahre konnte gar nicht gekickt werden.

Fragt man im Ort nach anderen &bdquo;Spezialitäten“, die etwas mit Talle zu tun haben, werden ungewöhnliche Stichworte geliefert. Dubbert: &bdquo;Es gab mal eine Gürtelfabrik, die vorher eine Zigarrenfabrik war.“ Wirklich eine &bdquo;olle Kamelle“ ist natürlich, dass der Zeitgeist dem Ort einige wichtige Statussymbole genommen hat. Hartwig: &bdquo;Nicht nur die Fußballer, es gibt natürlich keine Sparkasse mehr und keine Volksbank. Aber noch einen Kindergarten und sogar zwei Kirchen.“ Dubbert: Der Strukturwandel hat Talle erfasst, wie andere Dörfer auch.

Häuser stehen in Tall allerdings kaum leer. Die Lücken im Bebauungsplan &bdquo;In der Welle“ aus 1993 wurden erst in den zurückliegenden Jahren vollständig geschlossen. Tobias Nolte fällt noch was ein: &bdquo;Der zertifizierte Wanderweg rund um Talle. Mit dem Wichtel. Da hatte der WDR vor Jahren mal gemeldet, dass bei uns noch Schnee liegt und wenige Stunden später standen hier 100 Autos am Wichtel.“

Fehlt hier noch was; ein Hauch &bdquo;City“ vielleicht? Dubbert schmunzelt: &bdquo;Können wir liefern. Der Lemgoer Stadtbus fährt über Kirchheide bis ins Kalletal. Und zurück nach Lemgo. Und mit dem ersten Kultursommer im neu errichteten Amphi-Theater-Talle im Berggarten neben der renovierten Kirche startet ein neues Kapitel im Bergdorf.“

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