Kreis Lippe. Noch zwei Tage. Jan Böhmermann hat nicht mehr viel Zeit. Der Satiriker hat Großes vor. Am Donnerstagabend ließ er die Bombe in seiner ZDF-Neo-Show „Neo Magazin Royale" platzen: „Ich, Jan Böhmermann, möchte Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands werden".
#neustart19 heißen die eigens für dieses Vorhaben hochgezogene Kampagne und gleichnamige Website, auf der Jan Böhmermann verspricht „Nein, das ist kein Witz". Der 38-Jährige meint es scheinbar ernst und zieht jetzt alle Register, denn die Uhr tickt.
Noch kein Mitglied
Drei Hürden gilt es noch zu überwinden, bis der Entertainer tatsächlich mit Olaf Scholz und Co. für den SPD-Parteivorsitz in die Regionalkonferenzen ziehen kann: Erstens – die Kandidatur muss formell bis Sonntag um 18 Uhr eingereicht werden. Zweitens – Sie zählt nur dann, wenn Jan Böhmermann bis dahin die Unterstützung von fünf SPD Unterbezirken, einem Bezirk oder einem Landesverband für sich gewinnen kann. Drittens – „Ich brauche bis dahin eine gültige Mitgliedschaft in der SPD". Ja, richtig. Jan Böhmermann verrät, dass er bis dato noch gar kein SPD-Mitglied ist.
„Wenn wir es schaffen, dann ist die Kacke am Dampfen und zwar auf beiden Seiten"
„Für alle die sagen, es ist ein Scherz, ein Satiriker: Darf ein Spaßvogel das jetzt machen? Viel kaputt zu machen gibt´s halt nicht. Das ist das Gute für beide Seiten. Die SPD hat nicht so viel zu verlieren. Ich glaube fast ich habe mehr zu verlieren. Warum soll ich mir den Stress geben, wenn nicht aus totaler Überzeugung, dass die SPD es schaffen könnte unter meiner Führung?"
#neustart19 steht in Weiß auf einer roten Wand vor der Jan Böhmermann bei seinem ersten Bürgerdialog sitzt. Im weißen Hemd und ungewöhnlich ernst beantwortet der Satiriker eine gute halbe Stunde Fragen zu seiner Kandidatur zum SPD-Vorsitz. Die Parteifarben stimmen schon mal und doch schwebt die Frage mit: Meint der das wirklich ernst?
Vier Unterbezirke sicher
„Das ist natürlich kein Witz. Wir haben bereits vier Unterbezirke der SPD, die mir ihre Zustimmung zugesichert haben. Ich wurde von zwei prominenten Spitzenkandidatinnen, die seit langen Jahren in der SPD mitarbeiten, auch teilweise schon Ämter innehatten, gefragt, ob sie mich unterstützen können", sagt Böhmermann. „Eine dieser Spitzenkandidatinnen ist sogar offiziell im Rennen um die Kandidatur um den Parteivorsitz und hat noch einen Unterbezirk über." Ein fünfter Unterbezirk sei also auch schon in Aussicht, da die Kandidatin den Unterbezirk abgeben wolle.
Um welche Unterbezirke es sich handelt, verrät Böhmermann noch nicht. Nur so viel: „Einer fängt mit V an, zwei sind in Ostdeutschland, einer ist in Norddeutschland, einer ist in Südwestdeutschland", sagt er augenzwinkernd. Die Mitgliedsanträge habe er bereits an die Unterbezirke geschickt. Doch: „Noch hängt meine Kandidatur an den formellen Hürden, die die SPD gestellt hat, um eben wahrscheinlich auch solche Kandidaturen wie meine in letzter Sekunde zu verhindern".
8.000 User hören live zu und stellen Fragen
Ungefähr 8000 User verfolgen die Bürgersprechstunde bei Facebook und Instagram und stellen zahlreiche Fragen. Erbschaftssteuer, GroKo, Bedingungsloses Grundeinkommen, CO 2-Steuer, erneuerbare Energien – zu allem hat Böhmermann eloquente Antworten parat, betont aber auch: „Inhalte erst nachdem die Kandidatur durch ist".
Was er trotzdem schon vorschlägt sind, ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 7.000 Euro monatlich für die Testregion Mitteldeutschland sowie ein „Grund-Marihuana-Einkommen" für jeden zum Ausprobieren, als Gegensatz zum Alkohol. Was daraus wird, bleibt abzuwarten, denn sollte es Böhmermann bis Sonntag 18 Uhr schaffen, gehen die fünf Unterbezirke erst einmal vorweg: „Ich habe absolut keine Ahnung von der Partei."
Er sei Anfänger und es würde dauern, bis er inhaltlich so aufgestellt sei, dass es für den SPD-Vorsitz reiche: „Deswegen schaue ich ganz klar zu den Unterbezirken. Wer mich mitnominiert, wer meine Kandidatur möglich macht, der hat natürlich das Sagen inhaltlich. Ist ja klar." Das Motto steht aber bereits: „Neustart19, nach vorn, nicht zurück, strg+alt+SPD".
Kandidatur erst seit Sonntag geplant
Hinter Böhmermann stehe ein ganzes Team. Innerhalb von zwei Tagen hätten sie die Kampagne auf die Beine gestellt, nachdem er sich vergangenen Sonntag dazu entschieden habe zu kandidieren. „Natürlich sind wir Laien im politischen System." Deshalb wünsche er sich eine in der SPD etablierte, prominente Frau an seiner Seite, die mit ihm zusammen die Doppelspitze anstrebe und die die fünf Unterbezirke organisieren könne.
Nach dem Bewerbungsschluss stünden dann die Regionalkonferenzen an. „Das wird eine Ochsentour, das ist schwierig zu organisieren neben der Sendung", sagt Böhmermann. „Kommt Zeit, kommt Klärung", antwortet er auf die Frage, wie es denn mit dem Neo Magazin Royale weitergehen würde.
„Ob das Satire ist oder nicht, entscheidet sich halt am Sonntag bis 18 Uhr. Wenn es nicht klappen sollte, widererwarten, dann war das ein großer Spaß und wenn es klappt, meine Kandidatur als SPD-Vorsitzender durchzubringen, dann wird es halt ernst und zwar für alle Beteiligten." Abschließend fordert Böhmermann auf: „Drückt uns die Daumen, wir brauchen weiterhin eure Hilfe. Wir sind am Rödeln hinter den Kulissen. Wenn wir es schaffen, dann ist die Kacke am Dampfen und zwar auf beiden Seiten."
Noch zwei Tage Zeit
Zwei Tage hat er noch, um die Formalitäten zu klären. Hilfe erhofft er sich von einer Frau aus der SPD, die mit ihm in die Kandidatur ziehen soll - damit die Herausforderungen „schnell, unkompliziert und vertrauensvoll" über die Bühne gehen. Ellen Stock, Vorsitzende der SPD-Lippe wird die Doppelspitze mit Jan Böhmermann wahrscheinlich eher nicht antreten. Sie sieht sein Vorhaben aber gelassen: „Das ist nicht meine Sorge, soll er machen. Jedem steht es zu zu kandidieren." Die SPD Lippe ist als Kreisverband ein Unterbezirk und wird aller Voraussicht nach keiner der fünf notwendigen Unterstützer für Böhmermann: „Das habe ich noch mit keinem von meinen Kollegen besprochen", sagt Stock.
Keine Unterstützung aus Lippe
Julian Hördemann, Vorsitzender der Jusos in Lippe, hat die Sendung am Donnerstagabend zwar verfolgt, Unterstützung wird es von den hiesigen Jusos aber nicht geben: „Nein", sagt Hördemann. Er lacht. „Es ist ganz nett, er macht das auch ganz gut – Ich halte das aber für einen großen Spaß."
Die Herausforderungen, denen sich Böhmermann noch stellen müsste, sieht er als unüberwindbar: „Nein, er wird als SPD-Mitglied gar nicht mehr aufgenommen. Das dauert ja auch. Das geht entweder online oder auf Papier und das muss dann ja auch noch bearbeitet werden. Das dauert einen oder zwei Tage. Das wird er nicht schaffen", ist er sich sicher. „Ich glaube, dass er sich über die Situation der SPD auch lustig machen will. Ich nehme die Kandidatur nicht zu ernst."
Sollte es Böhmermann tatsächlich gelingen seine Kandidatur bis Sonntag um 18 Uhr einzureichen, muss er der Mitgliederversammlung auf 23 Regionalkonferenzen Rede und Antwort stehen: „Bei den Konferenzen werden fünf festgelegte Fragen gestellt, die jeder Kandidat beantworten muss", sagt Ellen Stock. Natürlich könnten auch weitere Fragen gestellt werden. „Diese fünf Fragen müssen aber von jedem Kandidaten beantworten werden." Danach entscheiden dann die Partei-Mitglieder über die neue SPD-Spitze.
Im Wahlkampf
Auf die angekündigte Bewerbung des Jan Böhmermanns um den SPD-Vorsitz reagieren Politiker mit Humor. "Kluge Kampagne", kommentierte Juso-Chef Kevin Kühnert das Video von Böhmermanns Bewerbungsrede auf Twitter. "Es fehlen noch AWO-Tischdecke und IG Metall-Cap, dann könnten die ersten Unterbezirke weich werden. Tipp: Mehr Willy Brandt-Zitate nutzen."
"Wenn Jan Böhmermann um Mitternacht nicht die Internationale singt, gibt's von uns keine Chance auf Unterstützung», twitterte die Jugendorganisation der SPD in ihrem offiziellen Kanal."
Alexander Schweitzer aus dem SPD-Bundesvorstand sagte der Bild-Zeitung, er finde es gut, wenn der Moderator SPD-Mitglied werde. "Allerdings sollte er beim Mitgliedsbeitrag nicht zu knauserig sein und sich das mit dem Vorsitz schnell wieder abschminken."
Investor und "Höhle der Löwen"-Star Frank Thelen twitterte am Freitag begeistert: "Großartig! Ich kann Deinen Argumenten folgen, mit Dir als CEO würde ich schwach."
Einmal aufrütteln, bitte!
Ein Kommentar von LZ-Redakteurin Yvonne GlandienDemokratie als Spielplatz für Laien, Satiriker und Prominente? Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist längst nicht mehr unüblich. Donald Trump und Wolodymyr Selensky machen es in ihren hohen Positionen vor, jetzt zieht Jan Böhmermann nach, mit etwas kleineren Brötchen. Oder? Der Satiriker kündigt an, für den Vorsitz der SPD kandidieren zu wollen. Ein kluger Schachzug.
Dass Jan Böhmermann sich bis 72 Stunden vor Fristende Zeit lässt, um seine Kampagne #neustart19 zu veröffentlichen, ist mit Sicherheit kein Zufall. Denn eines sollte wohl ziemlich klar sein: Der Satiriker wird nicht ernsthaft den Parteivorsitz anstreben.
Böhmermann aber schafft es, frischen Wind in die Diskussion zu bringen. Er verschafft der SPD eine mediale Aufmerksamkeit in einer jüngeren Zielgruppe. Denn plötzlich steht der Satiriker-Fan vor der Frage: Würde ich die Sozialdemokraten wählen, wenn "Böhmi" an der Spitze stünde?
Indes gibt es der Partei selbst einen Anstoß zur Selbstreflexion. In etlichen Kommentaren auf Twitter und Co liest man von Leuten, die ihr Wahlverhalten reflektieren. Sie rufen nach Kühnert für die Doppelspitze, loben die Reaktion der Politiker auf Böhmermanns Spitzen und freuen sich über ein niedrigschwelliges Diskussionsniveau - Dinge, die sich die Sozialdemokraten aus für die Zukunft beibehalten sollten.
Auch wenn alles am Ende wohl nur ein großer Spaß sein wird - Böhmermann schafft es immer wieder, den Finger in die Wunde zu legen. Davon mag sich der ein oder andere angegriffen fühlen oder gar unterstellen, der Satiriker wolle die SPD ins Lächerliche ziehen. Das aber ist nicht seine Aufgabe. Letzten Endes hat die Aktion so oder so ein Gutes: Sie stärkt den Willen zur politischen Auseinandersetzung in einer Zielgruppe, die damit nicht immer Berührungspunkte hat.
Und vielleicht wird am Ende auch eine Warnung dabei herauskommen. Denn letztendlich stellt sich die Frage: Unterstützen und wählen wir nach Kompetenz oder nach Charisma? Kann jemand ohne politischen Background in eine Spitzenposition aufsteigen? Ist das, was in den USA bereits passiert ist, auch in Deutschland möglich? Letztendlich kann uns eine Welt gefährlich werden, in der blendende Fernseh-Charaktere mit großen Worten und ohne Ahnung das Zepter in der Hand halten.