Kreis Lippe. Sie sind quadratisch, aus Messing gefertigt und beschriftet mit von Hand eingeschlagenen Lettern. Aufmerksamen Spaziergängern dürften sie auch in Lippe aufgefallen sein – Stolpersteine. Mit den kleinen Gedenktafeln soll an die Menschen erinnert werden, die während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet, verschleppt oder vertrieben wurden. In der Regel werden sie vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der Opfer in den Gehweg eingelassen. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von Künstler Gunter Demnig. Auch in Detmold, Barntrup, Bad Salzuflen und Lemgo sind Stolpersteine zu finden. Die LZ hat sich zum heutigen Tag des Gedenkens , 27. Januar, an die Opfer des Nationalsozialismus auf die Suche begeben.
Insgesamt 112 Stolpersteine finden sich in Lippe, davon 22 im Ortskern von Bad Salzuflen, 34 in Schötmar, 51 in Lemgo, 4 in Barntrup sowie 1 (Update: seit dem 23. Juni 2020 sind es 6, insgesamt in Lippe also 117) in Detmold. Dass sich teils zahlreiche Steine nebeneinander befinden liegt daran, dass oft mehrere Familienmitglieder oder Bewohner aus ihrem Zuhause verschleppt wurden.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Wir bieten an dieser Stelle weitere externe Informationen zu dem Artikel an. Mit einem Klick können Sie sich diese anzeigen lassen und auch wieder ausblenden.
„Stolpersteine sind die bekannteste Form der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus in ganz Europa", sagt Micheline Prüter-Müller, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Detmold. „Sie fungieren als dezentrale Erinnerungsform im Gegensatz zu Gedenkstätten." Denn Stolpersteine seien auffälliger, da man, daher auch der Name, gewissermaßen über sie stolpere und beginne, Fragen zu stellen. Das Beugen über die kleinen Tafeln lasse sich auch als Verneigen vor den Opfern deuten. Den ersten Stolperstein in Lippe bekam im Juni 2009 Lemgo, 2010 folgte Bad Salzuflen. 2011 wurden in Detmold und Barntrup Steine verlegt.
Emma Grünewald
JG. 1862
Deportiert 1942
Theresienstadt
Ermordet
Familien sollen zusammengeführt werden
„Der Verlegung voraus geht immer eine genaue Recherche über das Leben derer, die auf den Tafeln verewigt werden sollen", erklärt Annette Paschke-Lehmann, Vorstandsmitglied des Vereins Stolpersteine in Lemgo. Anschließend werde eine Genehmigung für das Verlegen im öffentlichen Raum beantragt und mit Gunter Demnig ein Termin ausgemacht. Dabei folgt der Künstler einigen Grundsätzen. So sollen im Gedenken die Familien wieder „zusammengeführt" werden und auch überlebende Angehörige einbezogen werden. Die Inschrift jedes Steins beginnt in der Regel mit „Hier wohnte". Außerdem sollen neben dem Namen und dem Geburtsdatum auch Angaben zur Deportation und dem jeweiligen Schicksal recherchiert werden.
Warum in Detmold bisher lediglich ein Stein verlegt wurde, hat laut Pressesprecherin Petra Schröder-Heidrich vielfache Gründe. In der Stadt habe sich in den letzten 15 Jahren eine lebendige Erinnerungs- und Gedenkkultur entwickelt, die von verschiedenen Organisationen, Vereinen und Schulen getragen wird. Individuelle Formen des Erinnerns wie Stolpersteine könnten dabei sinnvolle Ergänzungen sein, das alleinige Verlegen reiche aber nicht aus. Jährlich organisiere die Stadt Detmold zudem Gedenkfeiern zum 27. Januar und 9. November, in die vor allem die Schulen eingebunden werden. Daher sei die Zahl der Anträge in den vergangenen Jahren auch zurückgegangen.
Irmgard Heiss Geb. Stellbrink JG. 1897 Eingewiesen 1941 Heilanstalt Weilmünster Tot an Folgen 1944 Lindenhaus-Brake
Für eine Verlegung der Steine müssen außerdem bestimmte Vorgaben erfüllt sein. So liegt die etwa Verantwortung und Finanzierung beim Antragsteller.
Während in den anderen Kommunen derzeit offiziell keine Anträge für neue Steine vorliegen, erhält die Stadt Detmold im kommenden Jahr fünf neue Tafeln, die der Familie Herzberg gewidmet sind. Lange Zeit hatte sich Joanne Herzberg dafür eingesetzt, dem Schicksal ihrer Familie so gedenken zu können. „Geplant ist, die Verlegung im Rahmen einer unserer Gedenkfeiern vorzunehmen", sagt Petra Schröder-Heidrich. Die Familie Herzberg war 1919 nach Detmold gezogen und hat ein Konfektionsgeschäft in der Langen Straße betrieben. 14 Familienmitglieder waren dem Völkermord zum Opfer gefallen. (Update: Die Steine für die Familie Herzberg sind am 23. Juni 2020 in der Karlstraße verlegt worden, die Bilder im Artikel wurden entsprechend ergänzt.)
Rosalie Abraham
JG. 1895
Deportiert 1941 Riga
Ermordet
Ein letztes Lebenszeichen aus dem Zug nach Auschwitz
Ein Dutzend schmale Zeilen umfasst die mit der Schreibmaschine gefertigte Abschrift. Das Datum 30. Januar 1943 scheint zuletzt eingetippt worden zu sein. Zu finden ist es in einer Akte im Detmolder Landesarchiv, die aus dem Nachlass eines jüdischen Herforders stammt. Historiker Jürgen Hartmann, der sich seit rund 35 Jahren mit der Geschichte Lippes beschäftigt, arbeitet anhand dieser Aufzeichnungen den Tod der Familie Hamlet, drei jüdischen Bürgern aus Bad Salzuflen und Schötmar auf.
„Der tragische Inhalt dieser Abschrift erschließt sich erst bei genauer Betrachtung", sagt Hartmann. Augenscheinlich, so vermutet der Historiker, handelt es sich bei dem Text um den einer Postkarte, die an eine befreundete Familie in Herford gerichtet war. Unterzeichnet ist sie von Richard Hamlet, seiner Ehefrau Lina sowie von Paul Hamlet. Sie waren am 31. Juli 1942 von Bielefeld ins Ghetto Theresienstadt verschleppt worden. Ihre Namen finden sich in der Eingangsliste vom 1. August mit den Nummern 141, 142 und 143.
Ein halbes Jahr später, erläutert Jürgen Hartmann, befinden sich die drei Hamlets wieder in einem Transportzug. „Nach Ossnowitsche bei Kattowitz", schreibt die Familie. Und weiter: „Wir sind alle gottlob gesund". Daneben gibt es kurze Mitteilungen zu weiteren Bekannten in Theresienstadt.
Beklemmend, so Hartmann, sind diese Zeilen, vor allem mit dem Wissen, dass es sich bei Ossnowitsche um den polnischen Namen für Auschwitz handelt. Am 29. Januar 1943 werden die drei schließlich unter den Nummern 354 bis 356 mit einem Zug ins Vernichtungslager überstellt. Von den knapp 1000 Deportierten überleben nur zwölf – die Hamlets sind nicht darunter. Von wo und wie die Postkarte ihren Weg genommen hat, ist laut Hartmann nicht bekannt. Vermutlich sei sie aus dem Zug geworfen oder an einen wohlwollenden Menschen übergeben worden. Schließlich jedenfalls fand sie ihren Weg in einen Briefkasten und dann nach Herford. Offenbar kursierte die Postkarte unter den verbliebenen jüdischen Männern und Frauen, die bis dahin vom Abtransport verschont blieben.
Insgesamt sechs Stolpersteine in Bad Salzuflen und Schötmar erinnern an die ermordeten Mitgliedern der Familie Hamlet. Die Abschrift ihrer Karte bleibt als letztes Lebenszeichen von Lina, Paul und Richard erhalten.
Ins Leben gerufen hat das Projekt Gunter Demnig 1992. Zum 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation von Sinti und Roma, dem sogenannten Auschwitz-Erlass, ließ er einen ersten Stein vor dem Kölner Rathaus in den Boden ein. Inzwischen sind die Steine nicht nur in Deutschland, sondern auch in 23 weiteren europäischen Ländern zu finden.
Ende des vergangenen Jahres verlegte Demnig den 75.000. Stolperstein. Intention des Künstlers ist es, den NS-Opfern, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Gesichter zurückzugeben. Kritiker jedoch bemängeln, die Namen ermordeter Juden auf Tafeln zu lesen, auf denen mit Füßen herumgetreten wird. Außerdem seien sie anfällig für Verschmutzungen und Vandalismus.