Bestatterin aus Lemgo über ihren Beruf: "Der Tod sucht sich seine Zeit selbst aus"

Lemgo. Als Bestatterin ist der Tod für Manuela Werner Alltag. Sie kümmert sich um die Versorgung der Verstorbenen, hilft Angehörigen bei bürokratischen Anliegen und wird handwerklich aktiv, wenn sie einen Sarg verschließt. Bei alldem sei ihr ein würdevoller Abschied eine Herzensangelegenheit. In einem LZ-Video spricht sie ausführlich über ihren Ausbildungsberuf, doch was denkt die Lemgoerin selbst über den Tod und ihren Beruf? Was belastet und was erfüllt die 45-Jährige? Ein Einblick in ihren Beruf und ihr Privatleben.

Frau Werner, Sie arbeiten seit 2006 als Bestatterin. Gibt es einen Trauerfall, der Sie geprägt hat?

Manuela Werner : An einen meiner ersten Trauerfälle erinnere ich mich immer wieder. Ein junger Mann starb bei einem Autounfall. Die Eltern kamen ganz aufgelöst zu mir. Der Vater wollte sich unbedingt von seinem Sohn verabschieden und ihn auch noch einmal sehen. Die Mutter war ganz verzweifelt und fand das eigentlich nicht so gut, weil sie Angst hatte und nicht wusste, wie ihr Sohn jetzt aussieht. Da habe ich ganz intuitiv gesagt, dass ich mir ihren Sohn anschauen und ihr dann von Mutter zu Mutter einen Rat geben werde.

Und was haben Sie der Mutter gesagt?

Werner : Ich habe diesen jungen Mann versorgt und habe den Eltern gesagt, dass sie ihren Sohn am offenen Sarg verabschieden können. Es kamen auch ganz viele junge Leute aus seinem Freundeskreis. Das war - positiv gemeint - wie im Taubenschlag. Es klingelte den ganzen Tag an der Haustür. Alle waren so dankbar, dass sie das erleben durften und dass sie über ihren Schatten gesprungen sind und gesagt haben: Ja, ich mache das. Das war ein ganz schönes, intensives Erlebnis.

Viele Menschen springen nicht über ihren Schatten, weil sie Angst vor dem Sterben haben. Warum haben viele diese Angst?

Werner : Niemand setzt sich gerne mit der eigenen Endlichkeit auseinander. Die verdrängt man sehr gerne. Wenn man zudem vielfach hört, wie lange manche Menschen leiden mussten - das wünscht sich keiner. Davor habe ich auch Angst. Der Tod und das, was danach mit uns geschieht, ist ja auch nicht wirklich greifbar. Das ist ein sehr großes Thema. Ein Mysterium. Und um den Tod, im wahrsten Sinne, begreifen zu können, ist eine offene Aufbahrung auch wichtig und hilfreich.

Warum ist es wichtig, mehr über den Tod zu sprechen?

Werner : Darüber zu sprechen erleichtert einfach vieles. Es nimmt Unsicherheit und Ängste, wenn man sich damit auseinandersetzt. Ich erlebe immer wieder, dass Angehörige zu mir kommen, völlig verzweifelt sind und gar nicht wissen, was sich derjenige, der gestorben ist, überhaupt gewünscht hat. Wie er oder sie sich den Abschied vorgestellt hat. Dann ist es manchmal schwierig, das mit den Hinterbliebenen zu erarbeiten. Deswegen finde ich es wichtig, sich rechtzeitig damit auseinanderzusetzen.

Das scheinen Sie zu tun. Wie sehr beeinflusst der Beruf Ihr Leben?

Werner : Sehr. Man setzt sich auch mit dem Leben ganz anders auseinander. Wenn der Tod der ständige Begleiter ist, dann nimmt man vieles bewusster wahr. Über viele Dinge, die mich früher aufgeregt haben, schüttele ich heute nur den Kopf. Sie werden einfach unwichtig. Es kostet so viel Energie, sich über Nichtigkeiten aufzuregen - diese Energie kann man im Leben viel sinnvoller einsetzen.

Wie setzen Sie diese Energie ein?

Werner : Ich möchte den Menschen einen liebevollen und würdigen Abschied ermöglichen. Das ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich finde es wertvoll, für die Angehörigen da sein zu können, sie zu bestärken und zu unterstützen. Ich gebe ihnen die Zeit und die Möglichkeit, zu trauern und sich gut zu verabschieden, von demjenigen, den sie jetzt gehen lassen müssen. Und ich helfe ihnen dabei, die ganzen bürokratischen Dinge zu bewältigen.

Wieviel Zeit haben Sie dabei? Der Körper fängt ja irgendwann an, sich zu zersetzen.

Werner : Richtig. Natürlich kann man diesen Prozess etwas verlangsamen, indem man den Körper kühlt, aber spätestens am zehnten Tag nach dem Zeitpunkt des Todes muss die Beerdigung oder aber die Einäscherung erfolgen. Die Urne muss dann innerhalb von sechs Wochen beigesetzt werden. Das ist auch gesetzlich vorgegeben.

Wie lange dauert die Versorgung eines Verstorbenen?

Werner : Das dauert gar nicht so lange. Ich brauche etwa eine halbe Stunde, um den Verstorbenen zu waschen, anzukleiden und in den Sarg zu betten. Es kommt aber auf den körperlichen Zustand der Person an.

Ihr Job erfordert flexible Arbeitszeiten. Wann haben Sie mal frei?

Werner : Als Bestatter steht man 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr für die Angehörigen bereit. Auch an Sonntagen und Feiertagen. Der Tod sucht sich seine Zeit selbst aus und wenn man selbstständig ist, so wie ich, dann muss man sich seine Freizeit so einteilen, dass das passt.

Wie vereinen Sie das mit dem Familienleben?

Werner : Man braucht einen starken Rückhalt in der Familie. Mein Mann steht voll hinter mir und unterstützt mich da sehr. Das haben wir vorher besprochen, sonst hätte ich mich gar nicht selbstständig gemacht. Als Angestellter Bestatter in einem größeren Institut hat man natürlich seine festen Arbeitszeiten. Ich habe immer Bereitschaft.

Was ist dann Ihr Ausgleich in der Freizeit?

Werner : Ich verbringe viel Zeit mit meiner Familie, meinen Freunden und Bekannten. Ich habe ein altes Haus und Garten, an denen ich dann gerne etwas rumwerkele und die Zeit zuhause dann einfach mal genieße. Außerdem lese ich viel und gerne. Wenn das Wetter schön ist, mache ich auch gerne eine Ausfahrt mit meiner Vespa. Wenn der Wind mir so um die Ohren weht, kann ich sehr gut abschalten und das genieße ich sehr. Das Telefon ist natürlich auch dann immer dabei. Man weiß ja nie.

Sie begleiten auch Eltern von Sternenkindern. Worauf achten Sie da besonders?

Werner : Wenn ein Kind stirbt, bricht für Eltern eine Welt zusammen. Mir ist es wichtig, den Eltern zu sagen: Ich bin in dieser schweren Zeit für Sie da. Ich stehe Ihnen stark zur Seite und wir gehen gemeinsam einen liebevollen, tröstenden Weg des Abschieds. Kommen Sie, so oft Sie möchten. Nehmen Sie ganz in Ruhe Abschied, lassen Sie sich ganz viel Zeit und gestalten Sie vielleicht einen Sarg selbst. Man muss diese Kinder hier erst einmal ankommen lassen, bevor man sie gehen lassen kann. Da spielt Zeit eine ganz große Rolle.

Bestatterin aus Lemgo über ihren Beruf: "Der Tod sucht sich seine Zeit selbst aus"

Tod und Trauer: «Kinder halten Wahrheit besser aus»

Neue Wege des Abschieds: So ändern sich die Bestattungsformen in Lippe

Claudia Cardinale: Letzte Ehre ohne Blumen

Die Sandwich-Falle: Eingeklemmt zwischen Sorge-Erwartungen

Kollege Tod - So werden Bestatter ausgebildet

Schlecht bezahlter Knochenjob? Neun Pflege-Azubis antworten mit einer Liebeserklärung

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €