Detmold. Begleitet von einigen Nickeligkeiten, aber weitestgehend fair haben sich Lippes fünf Landratskandidaten Mittwochabend auf Einladung von Radio Lippe und Lippischer Landes-Zeitung im Funkhaus in Detmold einen live gesendeten und per Stream ins Internet übertragenen Schlagabtausch geliefert.
In einer Frage war sich Amtsinhaber Dr. Axel Lehmann (SPD) mit seinen Herausforderern Jens Gnisa (CDU), Robin Wagener (Grüne), Carsten Möller (FDP) und Ursula Jacob-Reisinger (Die Linke) einig: Alle kalkulieren mit einer Stichwahl um den Chefsessel im lippischen Kreishaus. Alles andere wäre eine faustdicke Überraschung.
Auf Nachfrage des Moderatoren-Duos, der Chefredakteure Markus Knoblich (Radio Lippe) und Dirk Baldus (Lippische Landes-Zeitung), setzten drei der Kandidaten die „Klimakrise" an Position 1 bei der Agenda für die Kreispolitik der kommenden Jahre: So wird das ur-grüne Thema inzwischen nicht nur von Robin Wagener, sondern auch von Ursula Jacob-Reisinger und Axel Lehmann vereinnahmt. Für Jens Gnisa („Wir stehen vor einer Insolvenzwelle") und Carsten Möller muss es nun hingegen um Wirtschaftspolitik gehen. Möller: „Sonst können wir uns Sozialstaat und Klimaziele nicht leisten."
Diskussionen um Lügde und die Polizei
Merkbar empfindlich zeigte sich Lehmann beim Vorwurf des Behördenversagens im Fall des massenhaften Kindesmissbrauchs in Lügde. Ein Fass, das unter anderem Grünen-Kandidat Robin Wagener aufmachte: „Ich finde es grauenhaft, zu sagen, in Lippe sind keine Fehler passiert." Lehmann versicherte: „Ich schiebe nicht alles nach Hameln ab."
Von wegen Polizei und Sicherheit: Beamte auch weiter in der Fläche zu haben, steht für keinen der Fünf zur Disposition. Allerdings gebe es, so Carsten Möller und Jens Gnisa unisono, durchaus Ecken und Straßenzüge in Lippe, an denen Ordnungshüter durchaus öfter patrouillieren dürften.
Werden sie auch, wenn es nach Landrat Axel Lehmann geht. Er will seinen Job behalten, um auf „fünf gute Jahre, in denen vieles angestoßen wurde, einiges aber noch nicht beendet ist" einige weitere draufzusetzen. Dann werde es auch noch mal um die Struktur der Polizei gehen.
Vom „Buhmann zurück zum Stolz" müsse für die Polizeibeamten das Motto sein, fordert Jens Gnisa, der den Landkreis im harten Kontrast zum Amtsinhaber keineswegs nur auf der Gewinnerstraße sieht. „In den fünf Jahren hat Lippe auch Boden verloren", betont Gnisa. Stichworte: Handynetz, Wirtschaft, Digitalisierung, Verkehrsprobleme.
Wende für den Verkehr
Letztere wollen alle Fünf anpacken – Jacob-Reisinger und Wagener versprechen dazu kostenlosen ÖPNV, der nach Meinung des Grünen auf Knopfdruck im 30-Minuten-Takt jedes lippische Dörfchen erreichen muss. Nicht übertreiben lautet dagegen das Credo von Carsten Möller. „Ökologie mit Augenmaß", so die Maxime des Liberalen, der in der Blitzumfrage unter den fünf Kombattanten übrigens die meisten Kompatibilitätspunkte für sich einsackte.
Dem Trend-Verkehrsmittel Fahrrad traut sich keiner der Kandidaten etwas Böses anzuhängen. Mobilitätsstationen an Bahnhöfen, Abstellboxen mit Ladestecker, neue Radwege – all das tut nicht weh, all das können die Kandidaten schmerzfrei versprechen, ohne dass sie das später einholt.
Das Wort Mobilitätswende, das den einen oder anderen Pendler dann doch in seinen Grundfesten erschüttern dürfte, nimmt denn auch nur Grünen-Kandidat Wagener in den Mund. Für Gnisa gehören die unterschiedlichen lippischen Verkehrsgesellschaften unter ein Dach und eine Pünktlichkeitsoffensive bei der Bahn auf den Tisch – ebenso wie der 30-Minuten-Takt Lemgo-Bielefeld und der Durchstich Richtung Hannover.
Fridays for Future wirkt nach
Als Straßenbau-Fan möchte sich, ein Jahr nach dem Fridays-for-Future-Boom, keiner outen. Nur zwei Projekte haben Priorität, sagt Lehmann: die Lemgoer Nordumgehung und der Durchstich von der B 66 zur Ostwestfalenstraße. Es fehlt: die B 239 n.
In Sachen Wirtschaft gibt’s sowohl von Lehmann, Gnisa als auch Möller ein klares Ja zur Ansiedlung von Amazon in Belle. „Seriös" (Gnisa), „Jobs" (Lehmann), „Gewerbesteuer" (Möller) lauten die Argumente. Wagener und Jacob-Reisinger sind dagegen: ökologisch, verkehrlich – und, so Wagener, „weil bei Amazon bald Roboter die Arbeit übernehmen". Jobs? Pustekuchen.
Amazon, die Brücke zum gebeutelten Handel, dessen Krise Corona noch verschärft. Patentrezepte, um den Kaufleuten zu helfen, hat keiner. Allenfalls, den Regionalvertrieb übers Netz zu fördern. Dass Jacob-Reisinger als Verdi-Funktionärin einen Schwinger für die erst vergangene Woche durchgeboxte Verhinderung der verkaufsoffenen Sonntage einstecken muss ... erwartbar.