Jens Gnisa kritisiert das geplante Infektionsschutzgesetz

Kreis Lippe. Mit deutlichen Worten hat der Horn-Bad Meinberger Jurist Jens Gnisa das geplante Infektionsschutzgesetz auf &bdquo;Facebook" kritisiert. Die Schelte des Ex-Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes an der Bundesregierung schlägt hohe Wellen. Der 57-Jährige, der 2020 für die CDU Lippe ins Rennen um das Amt des Landrates gegangen war, warnt: &bdquo;Das Ganze kommt mir vor wie in einem Unwetter, in dem der Flugkapitän den Autopiloten anstellt und das Cockpit verlässt. In Krisen muss aber von vorne geführt werden."

Herr Gnisa, Sie kritisieren, dass die Bundesregierung mit dem im Raum stehenden Infektionsschutzgesetz nicht verhältnismäßig agiert. Damit lehnen Sie sich als Richter und Direktor des Amtsgerichts Bielefeld ganz schön weit aus dem Fenster, oder?

Jens Gnisa: Ich habe dazu auf meinem Facebookaccount eine private Einschätzung abgegeben. Ich halte es für gerechtfertigt, als Jurist hier zu warnen. Das ist als persönliche Meinungsäußerung auch so für Richter zulässig.

Sie bemängeln die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Was wäre aus Ihrer Sicht in der jetzigen Situation verhältnismäßig?

Gnisa: Den diskutierten zwei- oder dreiwöchigen Lockdown hielte ich durchaus für rechtlich zulässig. Darum geht es aber in dem Gesetz gerade nicht. Es soll einen Automatismus geben, und zwar ohne jede Korrekturmöglichkeit vor Ort. Die Städte und Kreise – auch hier in Lippe – haben doch bisher einen guten Job gemacht. Das Gesetz führt nun aber in einen automatischen Lockdown, wenn eine feste Inzidenz überschritten ist, und zwar ohne jede Möglichkeit der örtlichen Reaktion. Nur Berlin selbst kann hieran dann etwas ändern. Der Bund kann aber vom Kanzleramt aus nicht die Situation aller Kreise im Blick behalten. Auf Deutsch: Es wird also keinerlei Anpassung an die Besonderheiten der jeweiligen Situation vor Ort geben. Das werden nach dem wochenlangen Hin und Her im Moment viele für richtig halten. Juristisch müssen wir aber weiter schauen. Wir begeben uns in ein Zwangskorsett, aus dem wir auch dann kaum noch herauskommen, wenn die Situation sich vermutlich ab Frühsommer deutlich bessern wird. Das Ganze kommt mir vor wie in einem Unwetter, in dem der Flugkapitän den Autopiloten anstellt und das Cockpit verlässt. In Krisen muss aber von vorne geführt werden. Das kann nicht gut gehen.

Sie werfen Ihrer Parteikollegin, der Bundeskanzlerin Angela Merkel, Willkür und Nichtachtung der Justiz vor. Warum?

Gnisa: Natürlich nicht pauschal. Im Einzelfall ist das Gesetz aber schlecht durchdacht. Ich kritisiere beispielsweise das alleinige Abstellen auf die Inzidenz. Das führt dazu, dass andere wichtige Faktoren ausgeblendet werden. Sogar ein Hotspotausbuch – wie etwa in Lage – würde zwingend und unweigerlich wieder in den kompletten Lockdown für den gesamten Kreis führen. Dies gilt selbst dann, wenn niemand mehr auf der Intensivstation liegen würde und seit Wochen niemand mehr gestorben wäre. Wir müssen hier andere Faktoren – wie die Situation auf den Intensivstationen – hinzuziehen. Weiter muss man wissen, dass kein Verwaltungsgericht auch nur ein Wort dieses Gesetzes für unwirksam erklären darf. Das kann nur noch das Bundesverfassungsgericht tun. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird aus dem Spiel genommen, weil man nicht mehr durch Rechtsverordnungen und Erlasse handelt, sondern direkt durch ein Gesetz. Der Rechtsschutz wird jedenfalls drastisch eingeschränkt.

Sie fürchten einen Dauer-Lockdown, dem immer wieder diskutierten Brücken-Lockdown würden Sie aber zustimmen. Eine Brücke kann aber auch sehr sehr lang sein...oder?

Gnisa: Meine persönliche Meinung ist, jetzt noch mal &bdquo;Augen zu und durch". Also einen kurzen und harten Lockdown und dann darauf setzen, dass die anderen Maßnahmen wie Impfungen greifen. Nun wird aber ein Gesetz geschaffen, das so lange gilt bis der Bundestag die Pandemielage für beendet erklärt. Das kann auch erst im nächsten Frühjahr sein. Wenn das Gesetz so kommt, werden wir ein ständiges Hin und Her zwischen Öffnungen und zwingenden Schließungen bekommen. Wir werden uns immer an der Zahl 100 knapp entlanghangeln, mal nach oben, mal nach unten. Langfristige Planungen werden unmöglich. Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie sollten ein Geschäft, einen Frisiersalon oder eine Autowerkstatt unter diesen Bedingungen betreiben. Oder wie wollen sie beispielsweise in Bad Salzuflen dann noch eine Messe für den Herbst planen? Das ist unmöglich.

Sie sagen &bdquo;Dieses Gesetz führt zu einem kaum noch steuerbaren Dauerzustand (...)Kein Bürgermeister, kein Landrat, kein Ministerpräsident, kein Landtag nicht einmal ein Verwaltungsgericht kann mehr korrigierend eingreifen" – sind Sie vor diesem Hintergrund froh, nicht Landrat von Lippe geworden zu sein?

Gnisa: Lippe hat entschieden, und das ist in Ordnung so. &bdquo;Was wäre wenn" ist nicht meine Lesart. Ich arbeite gerne als Richter und Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und kann mich – wie man sieht – ja auch auf dieser Ebene gut einbringen.

Anders gefragt – wenn Sie jetzt in Lippe in der politischen Verantwortung wären, was würden Sie tun?

Gnisa: Der Job des Landrats ist im Moment schwierig genug. Ich werde deshalb nicht von der &bdquo;Seitenauslinie hereinrufen". Mein Zuruf gilt im Moment Berlin, nicht dem Kreis. Meine Sorge ist die des Juristen, der über 30 Jahre Richter ist und mit vielen Gesetzen zu tun hatte. Im Moment fürchte ich um unser Grundgesetz. Dies gilt nämlich auch in der Pandemie oder besser gesagt: Es muss sich gerade in einer solchen Krise bewähren

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