Bielefeld/Kreis Lippe. Die PCR-Pool- und Einzeltests waren eine der wenigen verlässlichen Schutzmaßnahmen an Grundschulen, nun sind sie Geschichte. Aufgrund fehlender Kapazitäten in den Laboren werden schon jetzt bei positiven Befunden innerhalb der Pooltests keine Einzeltestungen mehr ausgewertet. Stattdessen sollen Eltern und Schulen per Schnelltests rausfinden, welche Kinder genau infiziert sind. Ein Vorgehen, das auf massive Kritik von Lehrerverbänden, Opposition und Eltern stößt. „Wie soll das gehen?", fragt sich eine Bielefelder Mutter mehrerer Grundschulkinder. „Wenn man abends das positive Pool-Testergebnis bekommt, soll man sich dann morgens in irgendwelchen Schlangen an den Teststationen anstellen, die teilweise erst um neun Uhr öffnen? Abgesehen davon, dass dies eine logistische Zumutung ist, werden sich die Arbeitgeber bedanken. Es heißt immer, die Schulen bleiben offen, aber das erkenne ich hier nicht mehr." "Das ist doch kein Zustand!" Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft OWL kritisiert das chaotische Vorgehen des Landes. Durch die zunächst über die Presse und dann in der Nacht per Schulmail mitgeteilten Regelungen würden Grundschulkinder, deren Pool am Vortag positiv war, in vollen Schulbussen zur Schule gefahren, wo sie in vollen Klassenzimmern säßen – „wohlwissend, dass mindestens eines der Kinder positiv ist. Erst in der Schule erfolgt gemeinsam in der Klasse dann eine Nachtestung mittels Schnelltest", so Stephan Osterhage-Klingler von der GEW im Bezirk Detmold. „Das ist doch kein Zustand. Zum einen ist die Kommunikation seitens des Ministeriums erneut eine Katastrophe, zum anderen kann man hier von einem sinnvollen Infektionsschutz kaum noch sprechen." Auch die Opposition kritisierte die Planung. Der SPD-Vorsitzende Thomas Kutschaty warf der CDU/FDP-Landesregierung Chaos bei der kurzfristigen Umstellung vor. „An unseren Grundschulen ist das Testregime regelrecht zusammengebrochen", sagte Kutschaty. „Kinder konnten nicht zur Schule, Eltern nicht zur Arbeit." Die Verunsicherung sei am Mittwochmorgen groß gewesen. Dabei seien die Bund-Länder-Pläne zur Priorisierung bei den PCR-Tests bereits am Montag bekannt gewesen. Aber erst am Dienstagabend gegen 22.15 Uhr sei die betreffende Schulmail zum künftigen Testverfahren an die Schulen gegangen. Das sei den Lehrern gegenüber respektlos, so Kutschaty. Kinder brachen in Tränen aus Pädagogen kritisieren aber nicht nur die unsichere und komplizierte Durchführung, sie sehen auch eine erhebliche psychische Belastung auf die Grundschulkinder zukommen. Wie groß der Druck beim Thema Testen mittlerweile auch für Ältere ist, beschreibt die Lehrerin einer fünften Klasse einer weiterführenden Schule. Dort werden morgens alle Kinder innerhalb der Gruppe per Schnelltest überprüft. „Am Montag waren fünf Kinder positiv. Die brachen in Tränen aus, ihre Mitschüler liefen zu ihnen, um sie zu trösten, weinten auch. Was soll ich da als Pädagogin noch tun? Mich dazwischenwerfen im Namen des Infektionsschutzes? Die Kinder einfach sich selbst überlassen? Ich habe am Ende mit geweint, weil es so einfach nicht mehr geht." An dieser Stelle übt auch die Landeselternkonferenz NRW massive Kritik. „Das ist ein Paradigmenwechsel, der jüngeren Kindern emotional überhaupt nicht mehr zuzumuten ist", sagt die Vorsitzende Anke Staar. Sie befürchtet zudem, dass wegen einer laxeren Teststrategie mehr Eltern ihre Kinder trotz Schulpflicht aus dem Unterricht nehmen werden. „Wir hören schon jetzt vermehrt Forderungen nach Aussetzung der Präsenzpflicht. Eltern sind verängstigt, besorgt, beunruhigt. Und werden abgespeist mit der Versicherung, Kinder hätten höchstens einen milden Verlauf zu erwarten." "Vertrauensverlust ist enorm" Martina Reiske, Grundschulleiterin in Bielefeld und Vorstandsmitglied in der Schulleitervereinigung NRW, ist angesichts der Änderung fassungslos. „Es ist alles nicht mehr nachvollziehbar. Die Pandemie wird mittlerweile auf dem Rücken der Kinder, Kitas und Schulen ausgetragen." Reiske sorgt sich um ihre Schüler. „Die Förderschulen bekommen weiter PCR-Tests, weil dort so viele vulnerable Gruppen unterrichtet werden. Diese Kinder gibt es bei uns aber auch. Wer nimmt darauf Rücksicht?" Viele Eltern fragten sie, ob das alles dem Ziel diene, Kinder und Jugendliche möglichst schnell zu durchseuchen. „Der Vertrauensverlust ist enorm. Das betrifft nicht nur Eltern. An den Grundschulen, die ich kenne, herrscht in den Lehrerzimmern Fassungslosigkeit, Wut und Erschöpfung. Das will keiner mehr lange so mitmachen." Für Dennis Maelzer, familienpolitischer Sprecher der SPD im Landtag, stellt sich vor allem die Frage, warum im Vorfeld nicht mehr an den Kapazitäten der Labore geschraubt wurde. „Warum hat man zum Beispiel nicht die Veterinärämter einbezogen? Wir haben das mehrfach vorgeschlagen, das wurde aber immer abgelehnt." Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) reagierte gestern auf die Kritik. Nach dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz am Montag habe man am Abend Gespräche mit den Laboren geführt; am Dienstagmittag habe sie das neue Testsystem im Kabinett besprochen, so Gebauer. Daraufhin habe man die Schulaufsicht und Presse informiert und am frühen Abend Gespräche mit Eltern- und Lehrerverbänden geführt. Dann habe ihr Ministerium per Mail die Schulen informiert. „Ich hätte gern früher informiert, es blieb mir aber an diesem Tag aber nichts anderes übrig, als diese Reihenfolge einzuhalten." 80 Prozent Pooltests sind negativ Laut Gebauer waren zuletzt 80 Prozent der PCR-Pooltests in den Grundschulen negativ. Nur bei einem Fünftel finde anschließend wegen eines positiven Pooltests eine Testung mit einem Antigen-Selbsttest statt. Die PCR-Schultestungen haben laut Gebauer bisher rund 45 Prozent der Laborkapazitäten beansprucht. Zuletzt waren rund 93 bis 94 Prozent der Lehrkräfte im Dienst.