Sport und Bewegung geben Astrid Gutting Kraft für die Krebstherapie

Kreis Lippe/Detmold. Astrid Gutting ist ein sportlich aktiver Mensch. Die gebürtige Ambergerin ist gerne in der Natur unterwegs, egal ob zum (Schneeschuh-) Wandern oder mit dem Fahrrad. Doch eine Krebserkrankung hat die lebenslustige Wahl-Detmolderin ausgebremst. Die Medikamente nehmen der Architektin Kraft und Motivation. In dieser Situation hilft ihr die Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT): &bdquo;Ich bin froh, dass es dieses betreute Sportprogramm gibt", betont sie.

Es ist noch gar nicht lange her, da besuchte die 43-Jährige mehrmals pro Woche Fitnesskurse und trainierte viel in der freien Natur. 2019 bekam sie erstmals die erschütternde Diagnose: Unterleibskrebs. &bdquo;Doch während meiner ersten Chemo hab ich mich trotzdem immer fit gefühlt", berichtet sie. Sie konnte weiterhin größere Spaziergänge machen, begann sogar mit dem Rennradfahren und ging zum Frühschwimmen.

Nach zwei Reha-Aufenthalten ging es ihr gut, doch dann eines Tages im Oktober 2021 beschlich sie das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sei. Sie ging zum Arzt und erfuhr, dass der Krebs zurückgekommen war, ein Rezidiv, das nicht operabel ist. Es folgte eine weitere Chemotherapie, und seither hat die agile Frau körperlich abgebaut: &bdquo;Ich bin mit meinem Körper derzeit per Sie", beschreibt Astrid Gutting, wie sie mit ihrer schlechten Kondition und Konstitution sowie der Gewichtszunahme hadert. Sie sei maximal ein paar Stunden am Tag leistungsfähig, sehr schnell müde, verspüre Schmerzen in den Gelenken und ein schmerzhaftes Kribbeln in den Füßen, habe Schlafstörungen und ihr sei häufig übel und schwindelig, beschreibt sie die Nebenwirkungen der Medikamente.

"Mehr schaffe ich nicht" Als sie im April eine Selbsthilfegruppe besucht, hört sie erstmals von der Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie. Ihre behandelnde Onkologin habe ihr die Physiotherapie verschrieben und sie bestärkt in dem Plan, sich für das spezielle Sportprogramm anzumelden. Derzeit durchläuft sie den Zirkel einmal pro Woche: &bdquo;Mehr schaffe ich im Moment einfach nicht", sagt sie. An ihrer Seite ist stets ein ausgebildeter OTT-Therapeut. Heute ist es Paul Bukowski. Die Übungen seien individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmt, betont Bukowski, der Astrid Guttigs Krankengeschichte ebenso kennt wie ihre sportliche Vergangenheit. Er weiß, was er ihr zumuten kann.

Astrid Gutting kniet auf einem Balancekissen während sie bei einer Seilzugübung ihre Muskulatur trainiert. Sieht leicht aus, erfordert aber auch guten Gleichgewichtssinn. Daran können auch Gesunde scheitern. Doch die Patientin hat ein Geheimnis: Zuhause habe sei ein kleines Balancekissen, mit dem sie immer übe, beispielsweise beim Zähneputzen, gesteht die 43-Jährige lachend. Die Übungen machen ihr sichtlich Spaß, auch wenn sie sie sehr anstrengen. &bdquo;Dass ich hier unter Beobachtung stehe, finde ich sehr gut", sagt sie. Das helfe ihr, an ihre Grenzen zu gehen.

Selbstvertrauen ist ein Thema Während es für normale Fitnessstudio-Kunden eher darum gehe, die Grundfitness zu steigern, sei ihr Ziel, wieder ihr Selbstvertrauen zurückzuerlangen. Denn immer wieder beschleicht sie das Gefühl, nicht in ihrem Körper zu stecken. An den drei Standorten der Lippe Reha, sagt Inhaber und Geschäftsführer Frank Ziegenbein, trainierten jeweils etwa eine handvoll Patienten nach der OTT-Methode.

Ziegenbein wünscht sich, dass es mehr werden und das Programm auch Menschen erreicht, die vor ihrer Erkrankung wenig oder gar keinen Sport getrieben haben. Es wäre schön, wenn die Ärzte ihren Blick weiten und ihre Patienten animieren würden, OTT zu nutzen, sagt er: &bdquo;Neben den Medikamenten, einer Operation, Strahlen- oder Chemotherapie ist OTT sinnvoll, um die körperliche Konstitution zu verbessern, den Krebs zu bekämpfen und mehr Lebensqualität zu erlangen", ist Ziegenbein überzeugt.

Uniklinik Köln ist Vorreiter Für Tumorpatienten ist Sport und Bewegung ein wichtiger Baustein ihrer Therapie. Darin sind sich die beiden Mediziner Dorothé Düpont und Prof. Dr. Frank Hartmann vom Klinikum Lippe einig. Inzwischen gebe es viele Studien, die belegten, dass verschiedene Trainingsmethoden sich positiv auf das Wohlbefinden, die Verträglichkeit der Medikamente und den Therapieerfolg auswirkten, sagt Hartmann, Chefarzt der Onkologie. Seit rund einem Jahrzehnt forschten die Uniklinik Köln und die dortige Sporthochschule zu dem Thema.

&bdquo;Wir werden immer wieder von Patienten gefragt, was sie neben ihrer Chemotherapie tun könnten", sagt Düpont, die Leiterin des Brustzentrums in Lemgo ist. Sie plädiert für Sport unter Aufsicht – beispielsweise während der Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie (OTT). Aber auch andere Sportarten kämen in Betracht: Schwimmen für Patienten mit Knochenmetastasen, für die die Gefahr von Knochenbrüchen besteht. Auch Reha-Sport in der Gruppe sei eine Möglichkeit.

Kein falscher Ehrgeiz Wie leistungsfähig ein Patient ist und welche Möglichkeiten der körperlichen Betätigung er hat, ist abhängig von der Erkrankung und der aktuellen Therapie und Medikamentengabe sehr unterschiedlich. Die beiden Mediziner warnen deshalb vor falsch verstandenem Ehrgeiz. &bdquo;Manche neigen dazu, es zu übertreiben und ihre Grenzen zu überschreiten. Das ist kontraproduktiv und gilt es zu vermeiden", so Düpont. Das betreffe vor allem Patienten, die vorher schon sportlich aktiv waren. Diejenigen Patienten, die sich vorher wenig bewegt hätten, seien mitunter schwer von den Vorteilen zu überzeugen. Dabei könne dadurch Muskulatur erhalten, Osteoporose vorgebeugt werden. Bewegung sei auch bei Schlappheit (Fatigue) zu empfehlen.

Die Stärkung des Herz-Kreislaufsystems und der Krafterhalt seien lohnenswerte Ziele, von denen der Patient profitiere, betont Hartmann. In der Vergangenheit hätten die Experten eher auf Sport nach der (Krebs-) Therapie gesetzt, das habe sich inzwischen gewandelt. &bdquo;Ich muss gestehen, dass ich Sport als einen Therapiebaustein früher auch nicht im Fokus gehabt habe."

Das umfasst die OTT-Therapie Am Anfang der Therapie steht das Anamnesegespräch mit erfahrenen und speziell qualifizierten OTT-Therapeuten zur Erarbeitung eines individuellen Trainingstherapie-Plans mit Kraft-, Ausdauer- und Koordinationsübungen. Allgemein empfehlen Ziegenbein und seine Kollegen ein- bis zweimal pro Woche über einen Zeitraum von mindestens zwölf Wochen zu trainieren. Es sollte zwischen den Therapieeinheiten eine Regenerationszeit von einem Tag liegen.

Um den Trainingserfolg aufzuzeigen und das Training auf den aktuellen Leistungsstand anzupassen, wird im Abstand von sechs Wochen erneut eine Diagnostik durchgeführt, bei der u.a. die Trainingsintensitäten angepasst werden. Am Ende gibts Tipps für eine Fortführung des Trainings in der Einrichtung oder zuhause.

Interview: Gegen Belastung aus der Corona-Zeit Sport für Krebspatienten, die auch vorher sportlich aktiv waren, klingt erstmal nicht so ungewöhnlich. Was ist das Besondere an OTT?

Frank Ziegenbein: Die OTT ist individuell geprägt und verbindet damit die sozialen Aspekte des Sporttreibens mit einer ganz auf den Patienten abgestimmten Trainingstherapie. Wir bieten Menschen mit einer Krebserkrankung Trainingstherapie-Programme, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und individuell an den Patienten und seine spezifischen Bedürfnisse angepasst werden. Das Training wird unter anderem an medizinischen Kraft- und Ausdauertrainingsgeräten durchgeführt. Die Trainingstherapie wird von Sport- beziehungsweise Physiotherapeuten angeleitet, welche durch die Uniklinik Köln ausgebildet und zertifiziert wurden.

Gibt es Patienten, für die sich die Therapie besonders eignet?

Die onkologische Trainingstherapie ist grundsätzlich geeignet für Patientinnen und Patienten aller Krebsarten, Altersgruppen und Fitnesslevel. Ein ausführliches Anamnesegespräch und die individuelle Anpassung des Trainings an Krebsart, Nebenwirkungen, Fitnesslevel und Zielsetzung der Patientinnen und Patienten geben die Sicherheit, genau das Richtige zu tun!

Und die Vorteile für Patienten?

Als wichtige Ziele und Ergebnisse lassen sich eine deutliche Reduzierung der Nebenwirkungen der Krebserkrankung beziehungsweise der medizinischen Behandlung (z.B. Fatigue, Polyneuropathie, Inkontinenz) sowie damit verbesserte Lebensqualität und Stärkung der mentalen Verfassung beschreiben.

Wann kann mit der Trainingstherapie begonnen werden?

Ein Training kann mit der Diagnosestellung begonnen werden. In enger Abstimmung mit dem behandelnden Arzt werden die ersten Einheiten geplant und durchgeführt.

Sie bieten die Therapie seit Mai in Ihrer Praxis an. Wie sind bis dato Ihre Erfahrungen?

Wir haben seit Ende des letzten Jahres eine ganze Reihe von Krebspatienten an den drei Standorten in Lemgo, Bad Salzuflen und Detmold begleitet. Die Coronapandemie hat diese hoch vulnerable Patientengruppe natürlich besonders belastet und auch ausgebremst. Alle Patienten, die ein regelmäßiges Training umsetzen konnten, haben positive Effekte beschrieben.

Können sich Patienten die OTT-Therapie vom Arzt verordnen lassen?

Derzeit gibt es noch kein Heilmittel speziell für die Onkologische Trainingstherapie. In der Regel dürfen aber die bestehenden physiotherapeutischen Heilmittel genutzt werden, so dass es zu einer Kostenbeteiligung der Krankenkassen kommt.

Wie stehen niedergelassene Mediziner und Klinikum zu der Therapie?

Der Bedarf an Aufklärung und Therapie für Krebspatienten ist sehr groß, und mittlerweile sprechen sich die positiven Effekte herum, so dass die Empfehlung der Ärzte langsam aber stetig steigt. Frau Düpont, Leiterin des Brustkrebszentrums am Klinikum in Lemgo, unterstützt uns nach Kräften und wirkt im Krankenhaus auf ihre Kollegen. Sport und Bewegung wirken wie ein &bdquo;Booster" im Zusammenspiel mit den anderen Therapien, so dass wir uns weiter dafür einsetzen, gemeinsam mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten das beste für die Patientinnen und Patienten zu erreichen!

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