Mit Wut im Blick: Kalletaler schweigt zu schweren Vergewaltigungsvorwürfen

Kreis Lippe. Mit versteinerter Miene presst er den Rosenkranz in seiner Faust zusammen, als ob er seine Wut nicht anders zu kanalisieren weiß. Ein Jahr nach dem ersten Versuch nimmt der inzwischen 30-Jährige aus Kalletal erneut auf der Anklagebank Platz, seine Augen sind noch genauso zornig wie damals.

Ihm wird vorgeworfen, seine damalige Weggefährtin (heute 21) zwischen Januar und Dezember 2020 fünfmal vergewaltigt, mehrfach misshandelt, geschlagen und bestohlen zu haben. 13 Fälle trägt Staatsanwältin Jacqueline Kleine-Flaßbeck aus einer der drei umfangreichen Anklagen vor. Die anderen Vorwürfe sollen erst am zweiten Prozesstag eine Rolle spielen.

Aufenthalt in der Psychiatrie Der Angeklagte und die Hauptbelastungszeugin kennen sich aus einem Aufenthalt in einer geschlossenen Psychiatrie. Beide sind stark vorbelastet. Er will seine Alkoholsucht in den Griff bekommen, sie ihre Depressionen bekämpfen. Nach Streitigkeiten in ihrer vorherigen WG zieht die damals 18-Jährige zum Angeklagten nach Kalletal.

Zu den Tatvorwürfen, die dann passiert sein sollen, lässt sich der Arbeitslose zum erneuten Prozessauftakt nicht mehr ein. Er bestreitet lediglich, damals mit der jungen Frau eine Partnerschaft eingegangen zu sein. "Ich möchte das nicht Beziehung nennen, ich habe sie da wohnen lassen." Sie sieht das anders. "Ich war verliebt in den, den ich kennengelernt hatte", sagt die Studentin. Dann soll die Beziehung von beiden Seiten immer toxischer geworden sein.

Angeklagter ist schwer alkoholabhängig Vor Gericht spricht der durch seine Alkoholsucht stark angeschlagene Mann nur über seine persönlichen Verhältnisse. Die U-Haft habe ihm das Leben, was er sich gerade hatte aufbauen wollen, unter den Füßen weggerissen. Seit April dieses Jahres sei er aber dank des Rückhalts seiner Verlobten endlich wieder trocken, davor habe der Alkohol sein Dasein bestimmt.

Von der Mutter als Kind misshandelt, soll das exzessive Trinken erst nach einer Trennung im Jahr 2017 angefangen haben. "Mein Konsum hat sich von einem Sixpack Bier auf zweieinhalb Flaschen Whisky pro Tag gesteigert." Gelegentlich habe er auch Amphetamine genommen. Bei einem Sturz, ausgelöst durch einen Krampfanfall während eines kalten Entzugs im März 2020, bricht er sich laut Attest mehrere Wirbel, überlebt knapp ein multiples Organversagen und ist länger ans Bett gefesselt.

Die sexuellen Übergriffe sollen in der Zeit davor und auch danach stattgefunden haben, beschreibt die inzwischen 21-jährige Zeugin vor Gericht. Mehrfach muss die rund zwei Stunden andauernde Aussage unterbrochen werden, da es der Zeugin sichtlich schwer fällt, erneut in das erinnerte Erlebte abzutauchen. Wieder beschreibt sie ruhig und sachlich, was der Angeklagte ihr angetan haben soll. Er schüttelt dabei immer wieder den Kopf, fixiert den kleinen Kreuzanhänger in seiner Hand.

Aussage der Hauptbelastungszeugin wird auf Herz und Nieren geprüft Weil die Vorgeschichte der Zeugin rund um ihre psychische Stabilität sowie mutmaßlich weitere sexuelle Übergriffe in der Kindheit komplex ist, hatte die Staatsanwaltschaft schon vor einem Jahr ein aussagepsychologisches Gutachten angeregt, um die Aussage weiter zu verifizieren. Psychologin Linda Engelbrecht hinterfragt daher in der Sitzung genau, wie die junge Frau sich an die vorgeworfenen Übergriffe erinnerte.

Ganz ursprünglich hatte die Zeugin "nur" Gewalttaten und Diebstahl angezeigt, erinnert der Vorsitzende Richter Karsten Niemeyer. "Ich habe es lange nicht einordnen können", sagt die 21-Jährige. Dazu sei die Scham groß gewesen. Die sexuellen Übergriffe habe sie zunächst verdrängt, erst nach und nach seien Erinnerungsfragmente wie Flashbacks zurückgekommen. "Ich wusste, dass es falsch war. Aber ich habe die Details nicht mehr vor Augen gehabt."

Polizisten beleidigt Zum nächsten Verhandlungstermin soll das aussagepsychologische Gutachten weiter Klarheit bringen. Daneben wird sich der psychiatrische Sachverständige zur Schuldfähigkeit des Angeklagten äußern. Der muss sich parallel noch für zwei weitere Anklagen verantworten.

Nach einem Krampfanfall soll der Kalletaler im Januar 2019 in einem Rettungswagen randaliert haben und körperlich übergriffig geworden sein sowie danach bei seiner Behandlung im Lemgoer Krankenhaus Polizisten beleidigt und bedroht haben. Dazu werden weitere Zeugen gehört. Die Verhandlung wird am Freitag, 21. Oktober, fortgesetzt. Dann wird auch ein Urteil erwartet.

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