Kreis Lippe. Egal, wohin man schaut: Triefende Nasen, Husten und fahle Gesichter prägen das Stadtbild - die Erkältungswelle hat Lippe derzeit fest im Griff. Und nicht nur der normale Schnupfen geht herum, auch Corona, Grippe und das RS-Virus bei Kindern greifen an. Daher sind Arztpraxen rappelvoll und auch lippische Apotheken klagen derzeit über Medikamentenengpässe, was Fieber- und Schmerzmittel für die Jüngsten angeht. Panisch werden sollten Familien deshalb trotzdem nicht, sagt Christian Schmidt, Sprecher der Bezirksgruppe Lippe des Apothekerverbandes. "Der Markt ist zwar eng, aber in Rücksprache mit dem Arzt findet man immer Alternativen." Dennoch scheint die Situation extrem zu sein. Die kinderärztliche Notfallpraxis in Detmold stellt derzeit phasenweise ein "verdoppeltes Patientenaufkommen im Vergleich zu vergangenen Grippezeiten fest", teilt die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) auf Anfrage mit. Daher habe die KVWL die Personalkapazitäten hier entsprechend angepasst, um das erhöhte Aufkommen überhaupt zu bewältigen. "Darüber hinaus haben wir zwei Wartezimmer eingerichtet, damit sich nichtinfektiöse Säuglinge nicht auch noch im Wartebereich infizieren", schreibt KVWL-Sprecher Daniel Müller. Eltern müssten zwar mit Wartezeiten rechnen, es werde aber jeder Patient behandelt. Mehr als 100 Krankschreibungen an einem Tag Dagegen herrsche in den Notfallpraxen für Erwachsene in Lemgo und Detmold laut KVWL trotz vereinzelter Wartezeiten ein für die Grippe-Saison typisches Patientenaufkommen. Unglaubliches scheint sich derzeit dennoch in lippischen Hausarztpraxen abzuspielen. Mehr als 100 Patientinnen und Patienten habe die Detmolder Gemeinschaftspraxis von Allgemeinmediziner Karl Arne Faust allein am Montag krankschreiben müssen, berichtet er - alle hätten an Infektionskrankheiten gelitten. Normalerweise kämen ungefähr etwa die Hälfte mit solchen Erkrankungen. "Wir hatten an diesem Tag dann insgesamt 500 Patienten in der Praxis", sagt der Chef im Verwaltungsbezirk Detmold der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Das Team gehe derzeit wahrlich auf dem Zahnfleisch, gebe aber alles, sagt Faust. Die aktuelle Situation hätte sich zudem angekündigt. "Es war zu erwarten, dass uns die Infektionswelle dieses Jahr früher trifft", sagt der Mediziner weiter. Das seit drei Jahren durch Schutzmaßnahmen gut behütete Immunsystem reagiere auf die lange Zeit frei grassierenden Erreger derzeit verschärft - und das sei völlig normal. "Gerade wenn man jetzt in Menschenansammlungen unterwegs ist, sollte man sich fragen, welche Schutzmaßnahmen man lieber aufrecht erhält." Der konsequente Maskenschutz habe uns viele Erreger vom Hals gehalten, sagt Faust. Eltern müssen mit ihrem Kind nicht immer direkt den Arzt aufsuchen Auch die KVWL führt die Pandemie als Erklärung für die hohe Zahl der Atemwegserkrankungen bei Kindern an. Das Immunsystem habe ein stückweit den Umgang mit Infektionen verlernt, schreibt Pressesprecher Daniel Müller. "Die Zahl der Antikörper ist bei vielen so stark abgebaut, dass Infekte, die in der Vergangenheit leichter verlaufen wären, jetzt stärker wirken und hartnäckiger sind." "Die Kinderärzte sind am Limit", erklärt Dr. Hans-Christian Körner, Sprecher der lippischen Hausärzte. Ein Grund dafür sei auch, dass Eltern oftmals auch dann den Arzt aufsuchten, wenn dies gar nicht erforderlich sei - nämlich bei einfachen Infekten mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit. Oft komme es bei solchen Erkältungen zu Fieber, aber auch das sei kein zwingender Grund für einen Arztbesuch. So lange das Kind esse und trinke und das Fieber nicht zu hoch ansteige, könne das Kind seinen Infekt allein auskurieren. Fieberzäpfchen und Paracetamol würden dabei helfen, die Symptome zu lindern. Gleichzeitig weist Körner darauf hin, dass Fieber aber auch durchaus sinnvoll sei. Es sei ein Zeichen dafür, dass der Körper sich gegen die Erreger wehre. Bei bestimmten Warnsignalen, etwa einer stark verringerten Flüssigkeitsaufnahme, Teilnahmslosigkeit oder Halluzinationen, müsse hingegen in jedem Fall ein Arzt hinzugezogen werden. Körner bedauert, dass Eltern ein stückweit das Bauchgefühl dafür verloren hätten, ab wann ein Arztbesuch wirklich ratsam ist. Er empfiehlt, dass Eltern die Praxis zunächst telefonisch kontaktieren sollten. So könnten auch lange Wartezeiten sowie die Überlastung durch einfache Infekte verhindert werden. Schmerz- und Fiebermittel für Kinder kommen nur in geringen Mengen nach In der Apotheke bekommt Christian Schmidt die Krankenwelle phasenweise zu spüren. Herrsche manchmal eine gewisse Ruhe vor dem Sturm, würden Erkrankte dann tsunamiartig angespült. "Es ist alles machbar, aber momentan ist es echt extrem", sagt Schmidt. Die Marktsituation sei zudem gerade bei den Schmerz- und Fiebermitteln für Kinder angespannt, nur geringe Mengen kämen nach und die seien dann im Tagesgeschäft schnell weg. Der Apotheker rät daher, in Absprache mit dem Arzt durchaus auch Alternativen in Betracht zu ziehen. "Auch Wadenwickel helfen gut bei Fieber", sagt Schmidt. Genauso könnten Ibuprofen-Tabletten geteilt, zerbröselt und unter Umständen im Essen verabreicht werden. Bei den klassischen Erkältungsmedikamenten wie Paracetamol und Ibuprofen gebe es derzeit zumindest keine Lieferengpässe, sagt Allgemeinmediziner Karl Arne Faust.