600.000 Euro gespendet: Deshalb erleben Online-Kampagnen in Lippe einen großen Boom

Kreis Lippe . Es sind tragische Geschichten vom Tod junger Eltern, von lebensbedrohlichen Unfällen oder unheilbaren Krankheiten, die unser Mitgefühl wecken. Oftmals bleiben Angehörige gerade bei unvorhersehbaren Vorfällen ohne finanzielle Absicherung zurück. Freunde und Familie können dann nur eins tun, um sich nicht völlig machtlos zu fühlen: Spenden sammeln. Seit fünf Jahren geht das in Deutschland so einfach wie nie: Über die Online-Plattform &bdquo; GoFundMe “ kann jeder Mensch mit wenigen Klicks im Internet seine persönliche Kampagne starten, über Soziale Netzwerke teilen und dabei Geld sammeln. Seit diesem Jahr erlebt das Angebot im Kreis Lippe sogar richtige Spitzenwerte. Wie kommt das? Und gibt es eigentlich moralische Grenzen für manchen Spendenzweck?

Die allererste Kampagne im Kreis Lippe startete nach Angaben von GoFundMe im Jahr 2019, seitdem sind 172 Aktionen mit einer oder mehr Spenden von Lippe aus realisiert worden – 46 davon im laufenden Jahr. Erstaunlich ist vor allem der Blick auf die Summe, die seitdem zusammengekommen ist. 600.000 Euro sollen Lipperinnen und Lipper seit der ersten Kampagne vor Ort gespendet haben, das teilt Pressesprecherin Lydia Kröger, bei GoFundMe zuständig für den europäischen Markt, auf Anfrage mit.

Spendenkampagnen in Lippe boomen im Jahr 2023 Die Hälfte davon sei allein im Jahr 2023 gesammelt worden, hier sehe man also einen &bdquo;drastischen Anstieg“ des Spendenvolumens in Lippe, schreibt die Sprecherin. Genaue Gründe sind natürlich schwer auszumachen. Seit eineinhalb Jahren beobachte die Plattform allgemein einen fortwährenden Anstieg, was die Spendenbereitschaft und die Anzahl gestarteter Aufrufe angehe. Als messbare Faktoren seien der Kriegsbeginn in der Ukraine sowie das Erdbeben in der Türkei ausgemacht worden. Beide Ereignisse hätten zu erheblich mehr neuen Kampagnen und Spendengeldern geführt.

Doch wer prüft eigentlich, ob hinter dem Spendenaufruf ein seriöser Grund oder zumindest eine ehrliche Geschichte steckt? Laut GoFundMe verifiziert die Plattform einzig die Identität der Person sowie den Bezug zur begünstigten Person, insofern eine Kampagne für einen anderen Menschen gestartet wurde. &bdquo;Wir prüfen keinen Bedarf. Allerdings kann man eine Kampagne melden“, schreibt Sprecherin Lydia Kröger. Die Plattform prüfe die entsprechende Aktion dann, sollte kein eigentlicher Bedarf vorhanden sein. &bdquo;Schlussendlich darf allerdings jeder bei uns eine Kampagne starten und wir erlauben uns bezüglich der Bedürftigkeit kein Urteil.“

Gespendetes Geld dient bei GoFundMe als Schenkung Das funktioniert vor allem, weil der Anbieter als Crowdfundingplattform für privates Fundraising funktioniert und demnach keine Spendenquittungen ausstellt. Demzufolge gebe es &bdquo;keine Einschränkungen, wer oder wofür gefundraist werden darf“, heißt es von der Pressesprecherin.

Die Plattform selbst finanziert sich über eine freiwillige zusätzliche Spende, die auf der Internetseite nicht im ausgemachten Spendenziel angezeigt wird. Jede Person, die spenden möchte, wird am Ende gefragt, ob sie 10 Prozent extra an den Anbieter spenden möchte – das restliche Geld fließe dann nicht in die ausgewählte Kampagne, heißt es von GoFundMe .

Im Netz wirbt der Anbieter damit, private Online-Spendenkampagnen durch das unkomplizierte Erstellen, schnelle Startmöglichkeiten und die große Reichweite revolutioniert zu haben. Als &bdquo;erster und einziger Anbieter“, so steht es auf der Homepage, bietet die Plattform eine Geld-zurück-Garantie für Spenderinnen und Spender – falls etwas einmal doch nicht stimmen sollte. Laut Anbieter kommt das selten vor. Die Kreispolizeibehörde kann mittels Abfrage keine Treffer ermitteln, die auf Beschwerden gegen Organisatorinnen oder Organisatoren einer GoFundMe-Kampagne in Lippe hindeuten. Generell würde bei Auffälligkeiten in solchen Fällen aber ganz normal wegen Internetbetrugs gegen die die betreffende Privatperson – nicht die Plattform selbst – ermittelt, teilt die Polizei mit.

Auffällig ist, dass öfter private Spendenkampagnen ins Leben gerufen werden, wenn keine entsprechende Versicherungen vorliegen – beispielsweise bei schweren Unfällen während einer Auslandsreise. Ein Bad Salzufler hatte sich vor einigen Monaten bei einem Rollerunfall in Thailand das Genick gebrochen – und habe ohne entsprechende Auslandsreiseversicherung die etwa 150.000 Euro Rücktransportkosten aus eigener Tasche zahlen müssen. Über die Online-Plattform und dank der Spendenbereitschaft bekam die Familie das Geld innerhalb weniger Tage zusammen – die Kampagne gilt bisher laut Anbieter als erfolgreichste aus dem Kreis Lippe. Ein Beigeschmack bleibt dennoch. Denn wäre sie nötig gewesen?

Menschen gehen mehr Risiko ein Schließlich sind Reisende mit entsprechender Auslandversicherung schon für teils knapp 12 Euro jährlich entsprechend geschützt – viele tun es dennoch nicht. Eckhardt Maaß , Leiter des Arbeitskreises Versicherungsvermittler der Industrie- und Handelskammer Lippe zu Detmold, kennt das Problem. &bdquo;Die Menschen gehen immer mehr Risiken ein, sind aber oft nicht bereit, entsprechend vorzubeugen“, sagt er. Daher würden solche Fälle in der Praxis zunehmen. Oft gehe das auch gerade jungen Familien so, die mit unkalkulierbaren Schicksalsschlägen nicht rechneten – und dann neben der emotionalen Last noch mit finanziellen Hürden fertig werden müssten. &bdquo;Ich kann nur immer appellieren, sich beraten zu lassen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen“, sagt der lippische Versicherungsexperte. &bdquo;Das ist gar nicht so teuer, wie alle denken.“

Dann müsse die Allgemeinheit nicht im Ernstfall aufkommen. Schlechtreden wolle der Arbeitskreisleiter private Spendensammlungen aber keineswegs. Der daraus resultierende Zusammenhalt mache die Gesellschaft schließlich aus. &bdquo;Ich finde es gut, dass Menschen sammeln und würde da niemals etwa gegen sagen“, sagt Eckhardt Maaß . Er kenne plötzliche Schicksalsschläge auch aus dem persönlichen Umfeld und habe selbst für solch private Kampagnen bereits gespendet.

Nicht kleinzureden ist die Strahlkraft, die durch die Online-Plattform erreicht werden kann. Das kann Ann-Kathrin Begemann aus Dörentrup nur bestätigen. Innerhalb weniger Tage hatte die heute 37-Jährige vor einem Jahr selbst eine Kampagne über GoFundMe organisiert, weil die Lipperin seit einer wohl fehlerhaften Lumbalfunktion unter großen Schmerzen leide und größtenteils ans Bett gefesselt sei. &bdquo;An meiner Situation hat sich leider bis heute nichts geändert“, sagt die Dörentruperin . &bdquo;Aber die Hilfsbereitschaft der Menschen hat mich damals sehr gerührt und die Tränen in die Augen getrieben.“ Mehr als 20.000 Euro kamen innerhalb weniger Tage zusammen, erinnert sie sich. Ann-Katrin Begemann habe davon teils Untersuchungen bezahlt, für die sie extra in die Schweiz gefahren sei. Bis heute sei sie nicht arbeitsfähig. Auch ihre Kampagne zählt laut Plattform zu den fünf bisher erfolgreichsten in Lippe. Drei der Top 5 sind laut GoFundMe sogar erst vor Kurzem gestartet worden. Der Boom geht weiter.

Das sind die erfolgreichsten Online-Spenden-Kampagnen von GoFundMe in Lippe Die Plattform GoFundMe zögert auf Anfrage nicht, ihre Statistik zu durchforsten. Laut Plattform sind von den fünf bisher erfolgreichsten Online-Kampagnen in Lippe drei erst vor Kurzem gestartet, zwei davon sind noch aktiv – und die zwei anderen stammen aus dem Jahr 2022.

Ein Bad Salzufler verunglückt im Frühjahr 2023 bei einem Verkehrsunfall auf Ko Samui (Thailand), bricht sich dabei das Genick und den Lendenwirbel. Da er nicht auslandskrankenversichert ist, sind die Kosten für den medizinischen Rücktransport von knapp 150.000 Euro für die Familie nicht stemmbar. Freunde sammeln innerhalb weniger Tage mittels Kampagne knapp 160.000 Euro. Im Juli 2023 verstirbt der Familienvater Tobi Funke aus Schlangen völlig unerwartet. &bdquo;Sein erster Gedanke war, immer seine Familie glücklich zu machen und ein liebevoller Ehemann und Vater zu sein“, heißt es in der Kampagnen-Beschreibung. Inzwischen sind durch knapp 724 Spenderinnen und Spender mehr als 40.000 Euro zusammengekommen. Um die Kosten für eine alternative, nicht von der Krankenkasse gestützte Krebstherapie stemmen zu können, startet eine erkrankte Blombergerin vor einem Jahr eine Kampagne. Knapp 30.000 Euro kommen innerhalb von vier Tagen zusammen, schreibt die Organisatorin damals. Ein Update, ob der Krebs besiegt werden konnte, bleibt aus. Die Kampagne ist allerdings auch nicht mehr aktiv für eingehende Spenden. Eine Mailanfrage der Redaktion an die Organisatorin blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Nach einem mutmaßlichen Untersuchungsfehler leidet Ann-Kathrin Begemann aus Dörentrup unter schweren Rückenschmerzen, seit zwei Jahren ist die inzwischen 37-Jährige arbeitsunfähig. &bdquo;Heute muss ich rund 22 Stunden des Tages liegen, weil die Schmerzen im Rücken unerträglich sind“, schreibt die Organisatorin damals. Seit dem Spendenaufruf haben 372 Menschen gespendet, knapp 23.000 Euro sind zusammengekommen. Ihr angegebenes Spendenziel für eine ursprünglich angedachte Operation: 75.000 Euro. Völlig unerwartet stirbt ein 41-jähriger Familienvater aus Lemgo. Unter dem Spitznamen &bdquo;Schnubbi“ sammeln Freunde und Fußballkumpels seit Anfang August Spenden für die hinterbliebene Witwe und seine zwei Kinder. Das Spendenziel von 30.000 Euro ist fast erreicht – bisher sind laut Plattform 581 Spenden von fast 29.500 Euro eingegangen.

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