Geständnis nach Missbrauch: Weshalb ein Verteidiger 10.000 Euro in bar übergibt

Detmold. Es ist derselbe Platz, auf dem er vor anderthalb Jahren vehement seine Unschuld beteuert hat, nur jetzt sitzt der inzwischen 29-Jährige sichtlich schambehaftet und mit gesenktem Kopf auf der Anklagebank in Saal 165. Er spielt nervös mit den Händen, reibt sich Tränen aus dem Gesicht, während sein Verteidiger Remzi Yalcin die schon im vergangenen Urteil festgestellten Tatvorwürfe einzeln durchgeht - und diesmal alles im Namen seines Mandanten “vollumfänglich” einräumt. Es ist ein Geständnis, das spät kommt, aber viel bringt. Statt einer mehrjährigen Haftstrafe, wie im Urteil davor, hält die große Jugendkammer als Auffangkammer in der Neuauflage des Prozesses eine Bewährungsstrafe für angemessen. Der Weg dahin ist steinig.

Es tue seinem Mandanten sehr leid, führt der Verteidiger nach einem einstündigen und ergebnisoffenen Rechtsgespräch weiter aus, der Angeklagte könne es sich nicht erklären, wie es zu den schweren sexuellen Übergriffen kommen konnte und er bereue die Taten zutiefst. Mit dem Geständnis wolle er seinem Bruder nun eine erneute detaillierte Aussage ersparen. Alle Tatvorwürfe hätten sich genauso abgespielt.

In sieben Fällen hat sich der Detmolder z wischen April 2014 und Sommer 2017 an seinem sieben Jahre jüngeren Halbbruder - damals noch im falschen Körper als Mädchen lebend - vergangen. Es geht um schweren sexuellen Missbrauch, erzwungenen Oralverkehr und Vergewaltigung. Zum Zeitpunkt der Übergriffe war der Geschädigte teils noch 13 Jahre alt. Als sich der damals Anfang 20-jährige Angeklagte an dem schlafenden Kind vergreift, leben die Halbgeschwister gerade vorübergehend gemeinsam bei ihrer leiblichen Mutter in Lage. Der Jüngere lässt die Taten aus “Überforderung, Angst und Scham” über sich ergehen - erst Jahre später vertraut er sich Freunden an.

Angeklagter will 15.000 Euro Schmerzensgeld zahlen Es sind genau die Taten, für die der Angeklagte bereits im Juni 2022 nach einer langwierigen Beweisaufnahme - ohne Geständnis - nach Jugendstrafrecht zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das Urteil nach der seitens der Verteidigung eingelegten Revision im April 2023 wieder aufgehoben. Aus Sicht des BGHs hatte das Landgericht die Begründung in dieser Aussage-gegen-Aussage-Situation nicht detailliert genug aufgeschrieben. Deshalb habe das Revisionsgericht sich anhand des Urteils keinen eigenen Eindruck machen können, wie konstant sich die Aussage des Geschädigten tatsächlich entwickelt hatte, hieß es vom BHG.

Deshalb kommt es an diesem verregneten Montagmorgen zur Neuauflage des Prozesses. Nur diesmal deutet sich nach einem Rechtsgespräch ein anderer Tenor an, auch wenn es nicht zu einer Verständigung kommt. Beide Verteidiger wollen bei einem Geständnis eine bewährungsfähige Strafe erreichen, berichtet Landgerichtssprecher Dr. Wolfram Wormuth im Anschluss. Staatsanwaltschaft und Kammer möchten sich wegen der Schwere der Vorwürfe aber nicht festlegen. Erst als Rechtsanwältin Anke Reese als Nebenklage-Vertreterin nach Angaben des Gerichts bezeugt, ihr Mandant könne bei einer aufrichtigen Entschuldigung und bei einem höheren Schmerzensgeld von 15.000 Euro mit einer Bewährungsstrafe leben, geht es mit der Verhandlung weiter.

Geschädigten bleibt detaillierte Aussage erspart Noch im Saal übergibt der zweite Verteidiger, Hendrik Schnelle aus Detmold, der Nebenklage schon einmal den größten Teil des mittels Vergleichs festgehaltenen Schmerzensgelden: 10.000 Euro in bar. Weitere 5000 Euro soll der Angeklagte bis Ende des Jahres zahlen, hält das Gericht im entsprechenden von der Nebenklage eingereichten Adhäsionsantrag fest. Damit seien alle &bdquo;immateriellen und materiellen Schäden” beglichen, sagt Rechtsanwältin Anke Reese. All das passiert, noch bevor der Betroffene selbst als Zeuge in den Saal tritt und unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagt. Diesmal bleibt ihm erspart, die sexuellen Übergriffe vor Gericht erneut intensiv durchleben zu müssen.

Am Ende der Beweisaufnahme verurteilt das Gericht den Angeklagten dann in der Gesamtschau zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe, sagt Landgerichtssprecher Dr. Wolfram Wormuth . Die Staatsanwaltschaft hatte auf zwei Jahre und sechs Monate Haft plädiert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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