Von Ghana auf Lemgos Dächer: Wie Integration im Handwerk gelingt

Lemgo. B eim Überqueren des Mittelmeers hat Awine Ayaba seine ganzen Papiere verloren. Dass der Geflüchtete aus Ghana in Deutschland lange nicht seine Identität nachweisen konnte, hat ihn vor einige Probleme gestellt. Inzwischen scheint der 30-Jährige aber richtig angekommen zu sein. Er hat eine kleine Familie und einen festen Job. Awine Ayaba steht an diesem Mittag gelassen neben seinem Chef Stefan Raabe und lässt den Dachdeckermeister vor großem Publikum ihre gemeinsame Geschichte erzählen. Es geht nicht darum, was Ayaba auf der Flucht durchgemacht hat. Es geht um das Leben, das er sich in Deutschland mühsam aufgebaut hat.

Was muss eine Integrationsgeschichte haben, um erfolgreich sein zu können? Dieser Frage will das Ministerium für Wirtschaft, Industrie und Klimaschutz NRW gemeinsam mit der Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe auf den Grund gehen. Dazu kommen an einem Montagmittag rund 70 Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen, Verbänden und Kammern dort zusammen, wo sich laut Ministerin Mona Neubaur &bdquo;Handwerk und Wissenschaft vereinen“ – im InnovationSpin auf den Campus der Technischen Hochschule OWL in Lemgo. Beim Runden Tisch &bdquo;Geflüchtete erfolgreich integrieren“ will die Branche samt ihrer Kenner über Schwachstellen und Chancen der Integration sprechen.

Geschichte aus Lemgo zählt zu Best-Practice-Beispielen der Region

Die Geschichte von Awine Ayaba und dem Dachdeckerbetrieb Raabe aus Lemgo zählt zu einem der zwei Best-Practice-Beispiele, die inspirieren sollen. Laut der Wirtschaftsministerin liegen in der Integration von Erwerbsarbeit immens große Chancen, daher erzähle sie besonders gern von den Erfolgsgeschichten, die sie höre. &bdquo;Was in der Wirtschaft zählt, ist nicht die Herkunft oder die Religion, sondern dass man motiviert und tatkräftig seinen Teil zum Erfolg des Unternehmens beiträgt“, sagt Mona Neubaur auf Anfrage der LZ.

Allerdings sei Zuwanderung &bdquo;nicht nur eine Chance“, sondern inzwischen unumgänglich für die Wirtschaft. &bdquo;Wir brauchen Zuwanderung.“ Die Gründe dafür lägen auf der Hand. In Zeiten, in denen doppelt so viele Menschen 60 Jahre alt sind wie geboren werden, müsste deutlich mehr an den Stellschrauben gedreht werden, um Integration für Handwerksbetriebe noch niedrigschwelliger zu gestalten. Zu viele Möglichkeiten seien verschlafen worden, meint Neubaur. Offenbar hätte man das Thema in den vergangenen Jahrzehnten nicht ernst genug genommen. Dabei seien Arbeitskräfte aus anderen Ländern nötiger als je zuvor.

Die Geschichte aus Lemgo zählt daher zu den Musterbeispielen. Stefan Raabe führt den Familienbetrieb in fünfter Generation. Inzwischen ist der Chef seit 20 Jahren im Betrieb. Dass Awine Ayaba bei ihm angefangen habe, sei nur einem engagierten Lehrer in der Auffangklasse für Geflüchtete zu verdanken gewesen, sagt Raabe. Der habe ihn proaktiv darauf angesprochen, ob er dem Jungen nicht eine Chance geben wolle. &bdquo;Einen Flüchtling aus Afrika einzustellen, war für mich natürlich auch Neuland“, sagt Stefan Raabe. Das war im Jahr 2015.

Sein Team habe anfangs durchaus Vorbehalte gehabt – auch durch Negativbeispiele – das will Raabe an dieser Stelle nicht weglassen. Trotzdem startete Awine Ayaba bei ihm als Tagespraktikant und behauptete sich. Dreimal pro Woche war Ayaba dann in der Firma, sein Einsatz habe sich nach und nach gesteigert. &bdquo;Irgendwann haben ihm meine Mitarbeiter ein altes Fahrrad zusammengebaut, damit er vom Bahnhof schneller zur Arbeit konnte“, sagt Raabe. Beide müssen schmunzeln. Damals wohnte der Praktikant noch in Leopoldshöhe in einer Unterkunft, inzwischen lebt er mit Frau und Kind in Lemgo.

Sprache als größte Herausforderung

Bis Ayaba die Ausbildung wirklich anfangen kann, zieht aber noch einige Zeit ins Land. Es gibt Probleme mit dem Aufenthaltsstatus, immer wieder müssen Stefan Raabe und seine Frau bei Behörden vorsprechen und gefühlt immer und immer wieder das Gleiche erzählen. &bdquo;Es wäre gut, wenn es eine Stelle gäbe, die alles vernetzen würde“, sagt Raabe. &bdquo;Damit alle Beteiligten auf dem gleichen Wissensstand sind.“

Irgendwann klappt es dann doch. Auch wenn noch einige Schritte dazwischen liegen. Awine Ayaba macht erst ein Einstiegsqualifizierungsjahr (EQ), um sich an Beruf, Sprache und Berufsschule zu gewöhnen. Das vom Jobcenter getragene Angebot sieht ein Langzeitpraktikum für etwa sechs bis zwölf Monate vor – dazu gibt es Sprachkurse.

Die Sprache nennt Raabe als eine der großen Herausforderungen, die jedoch den Weg für eine gelungene Integration ebnet. &bdquo;Die Menschen sprachlich weiterzubringen, ist das Wichtigste.“ Wenn das funktioniere, komme der Rest von ganz allein. Zumindest wenn es die Beteiligten, wie in seinem Fall, unbedingt wollen.

&bdquo;Wenn man es will, kann man es haben“, sagt Awine Ayaba, als aus dem Plenum die Frage kommt, wie er es geschafft habe, durchzuhalten. &bdquo;Mein Meister hat immer gesagt, Übung macht den Meister.“ Die dreijährige Ausbildung zum Dachdecker habe Ayaba &bdquo;mit Bravour“ abgeschlossen, sagt sein Chef stolz. Im Fach Deutsch erzielte sein Azubi sogar die Note 2. &bdquo;Das schaffen viele deutsche Schüler nicht“, sagt Raabe. Dass seine Geschichte eine Erfolgsgeschichte ist, liege vor allem am Willen und dem Engagement aller Beteiligten – nicht zuletzt seines Azubis. Heute ist Awine Ayaba ein fester Mitarbeiter, den Raabe nicht missen möchte. Als wolle Ayaba es beweisen, trägt er in Lemgo den Arbeitspulli mit Firmenlogo.

Herausforderungen für Unternehmen bei Integration Immer wieder kommt in der Diskussion hoch, dass der Behördendschungel vielen Unternehmen zu schaffen macht, wenn es darum geht, Geflüchtete einstellen. Häufiges Problem: Aufenthaltsduldungen, die noch keine Erlaubnis beinhalten und damit verhindern, dass die Geflüchteten überhaupt eine Ausbildung anfangen können. &bdquo;Die Bürokratie hat es einem nicht so leicht gemacht“, sagt Katharina Ellemund vom Metallverarbeitungsunternehmen Fried Ellemund in Preußisch Oldendorf. Sie bringt mit ihrem Auszubildenden das zweite Best-Practice-Beispiel aus der Region mit. Der 34-jährige Joao Ledjo Ngangu musste knapp sieben Jahre warten, bis er überhaupt eine Ausbildung beginnen durfte. &bdquo;Man hängt immer in den Seilen“, sagt seine Chefin. Ngangu sei aber motiviert gewesen und habe sich selbst gekümmert. Mickel Biere, Kreishandwerksmeister Paderborn-Lippe führt an, dass er rund vier bis fünf Geflüchtete in seinen Bäckereien beschäftigt. Aus seiner Sicht muss vor allem mehr Kraft in vernünftige Sprachangebote investiert werden, damit sich nicht alle selbst darum kümmern müssten. Vertreterinnen des Kreises Lippe weisen darauf hin, dass es bereits viele Angebote gibt. Unter anderem könne man über die &bdquo;Integreat-App“ wichtige Informationen mehrsprachig weitergeben. Manchmal scheitere es vielleicht einfach daran, dass die Betroffenen nicht wüssten, wo sie suchen müssten.

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