Dem Tod ganz nah: 24-jähriger Detmolder engagiert sich seit Jahren in der Hospizarbeit

Kreis Lippe . Es mag vielleicht so etwas wie Schicksal gewesen sein, dass Jason Maximilian Jochem kein Arzt geworden ist. Obwohl der 24-jährige Masterstudent der Psychologie und Erziehungswissenschaften auch heute noch mit seinem großen Lebenstraum hadert. Dafür ist der Detmolder einen anderen Weg gegangen – und der scheint mindestens genauso sinnstiftend zu sein. Seit fast zehn Jahren engagiert Jochem sich ehrenamtlich in der Hospizarbeit, hat seinen eigenen Verein für Sterbe- und Trauerbegleitung gegründet. Heute rettet er Leben – nur eben auf eine ganz andere Art.

Wie außergewöhnlich das Engagement des jungen Mannes hinter dem Verein &bdquo;Courage“ ist, hat auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier längst erkannt. Vor wenigen Wochen gehörte Jason Jochem daher zu den etwa 60 ausgewählten Menschen, die beim Neujahrsempfang im Schloss Bellevue geehrt worden sind. Eingeladen zu sein, ist eine besondere Ehre.

Am Esszimmertisch seiner offenen WG-Küche im Herzen von Pivitsheide V.L. sitzend, wirkt das ganze Abenteuer für Jason Jochem mehr wie das Überbleibsel eines Fiebertraums. An der Wohnzimmerwand hängen historische Badmintonschläger, ein Teddybär sitzt auf der Küchenzeile, im Regal stapeln sich Schallplatten. Drei junge Männer wohnen hier – zusammen mit drei Katzen und einem Hund, alle aus dem Tierschutz.

Von hier aus wirkt das Schloss Bellevue weit weg. Jason Jochem spricht nur kurz über den großen Abend, es soll um Wichtigeres gehen. &bdquo;Für mich als Arbeiterkind war das natürlich etwas Außergewöhnliches“, sagt er. Wenn er spricht, wählt er die Worte mit Bedacht. Selbst bei Kritik bleibt die Stimme sanft.

Hilfsgüter für die Ukraine

Das festliche Bankett, die unzähligen Servicekräfte mit den schwingenden Tabletts, die vielen prominenten Gesichter, die sich dort tummelten – würde nur ein Bruchteil des für dieses Event ausgegebenen Geldes in die Vereine selbst fließen, da ist Jason Jochem sicher, vielen Ehrenamtlichen hätte das mehr gegeben. &bdquo;Ich will nicht undankbar wirken. Es ist toll, dass man unsere Arbeit wertschätzt. Aber wir alle kämpfen sehr.“

Er weiß, wovon er spricht. Die Reparatur des Bullis, mit dem Jochem und sein Freund sowie &bdquo;Courage“-Mitbegründer Kevin Kößler schon dreimal Hilfsgüter in das Kriegsgebiet in der Ukraine gebracht haben, haben sie gerade erst aus eigener Tasche finanziert, sagt er. &bdquo;Das geht natürlich nicht immer.“ Es muss aber gehen. Zu wichtig sei es, zu helfen. Auf dem Esstisch liegen Bilder, die erahnen lassen, woher die Entschlossenheit in der Stimme des Detmolders kommt.

Einige Fotos zeigen zertrümmerte Wohnblöcke, auf anderen reihen sich dicht an dicht gestellte Betten aus dem Kinderhospiz aneinander – dort beginnt jeder ihrer Ukraine-Trips, sagt Jochem. Neben der Dunkelheit blitzen lachende Kinderaugen auf einzelnen Fotos durch. Ein Mädchen hält stolz einen Teddy im Arm. &bdquo;Sie war so glücklich, dass sie den behalten durfte.“

Der Tod gehört dazu

Für Jason Jochem gehört der Tod schon seit Jahren dazu. Er war gerade mal 17 Jahre alt, als er anfing, sich beim Hospiz- und Palliativberatungsdienst in Lippe zu engagieren. Schon damals lag sein Fokus auf der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Der Jüngste im Team zu sein, das habe ihm oft einiges abverlangt, gibt Jochem zu. &bdquo;Es ist schon so, dass viele das Alter irritiert – und man erst nicht ernstgenommen wird.“ Teilweise ergehe es ihm heute – mit Mitte 20 – noch genauso. Dabei hat er sich längst einen Namen gemacht.

Seit dem Jahr 2022 gehört der junge Detmolder zum Vorstand des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes. Viele, die sich dort engagieren, sind erfahrene Ärzte, Wissenschaftlerinnen oder Soziologen. &bdquo;Da habe ich mich beim ersten Treffen schon etwas klein gefühlt.“ Inzwischen gehe er mit mehr Selbstvertrauen an seine Funktion heran. Der Verband helfe dabei, sich zu vernetzen und die eigenen Ziele weiterzuentwickeln.

Aber wie kommt ein junger Mensch dazu, sich dem Tod und der Trauer zu verschreiben? Es ist kein Schicksalsschlag in der eigenen Biografie gewesen, der den 24-Jährigen zur Hospizarbeit gebracht hat. Viel mehr sei es die eine schicksalhafte Begegnung gewesen, die ihm während eines Praktikums vor zehn Jahren im Krankenhaus – er wollte ja Arzt werden – die Augen öffnete.

Trauerarbeit mit Kindern

Durch Zufall habe er Kontakt mit einer sterbenden Patientin auf der Hospizstation gehabt, der intensiver wurde. &bdquo;Ich habe da gemerkt, dass es mehr gibt, als Leben zu retten. Es gehört auch dazu, Menschen gehen zu lassen.“ Dieser Moment habe den Schüler inspiriert, Sterbende und Trauernde zu begleiten. &bdquo;Mein Ziel ist es, eine Haltung zu vermitteln, die Menschen hilft, einander zu begegnen.“

Dazu gehöre, die Gefühle des anderen einfach auszuhalten. &bdquo;Man muss die Menschen gar nicht abholen. Es reicht oft, mit ihnen stehenzubleiben.“ Diese Erkenntnis habe Jason Jochem bei seiner Arbeit als Rettungssanitäter und vor allem als Notfallseelsorger weitergebracht.

Dass er heute mit dem offiziell 2023 gegründeten Verein &bdquo;Courage“ Menschen und Bildungseinrichtungen beim Thema Tod und Trauer berät, geht auf diese innere Haltung zurück. Initialzündung sei ein Erste-Hilfe-Kurs gewesen, den Jochem 2019/2020 für den Arbeiter-Samariterbund gegeben hatte. &bdquo;Wir hatten ein bisschen Zeit, darum habe ich von Trauerarbeit mit Kindern erzählt .“ Aus dem spontanen Vortrag entstand die Idee für ein Seminar – und daraus ein Konzept. Inzwischen kooperiert der Detmolder mit etwa zehn Kindertagesstätten in Lippe, in Bad Salzuflen gibt es eine Beratungsstelle.

Auch Schulen verfügten zwar in der Schublade über Fachwissen, oft seien die Institutionen aber überfordert, wenn es wirklich zu einem Todesfall käme. &bdquo;Eine Schulsozialarbeiterin aus dem Rheinland rief mal an, dass ein Kind gestorben sei“, sagt Jochem. &bdquo;Die Lehrerin soll erzählt haben, das Kind sei ausgewandert.“ Vorwürfe macht er der Schule nicht. Dass diese erste Reaktion darauf beruhe, die Kinder beschützen zu wollen, kann der 24-Jährige nachvollziehen. Doch auch die Kleinen hätten ein Recht dazu, die Wahrheit zu erfahren und daran zu wachsen.

Jason Jochem hilft ihnen dabei. Genau diese Arbeit füllt ihn aus. Und wenn er doch mal das gewöhnliche Leben eines 24-Jährigen führen will, setzt er sich auf sein Motorrad oder legt eine Jazzplatte auf. Mindestens genauso gern geht er mit Bella spazieren. Die Hündin mit dem schwarz umrandeten Auge hat er im April aus der Ukraine mitgenommen. Sie hockte in Trümmern.

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LZ-Serie &bdquo;Mit Herz für Detmold“

Ohne sie geht es nicht: Etwa die Hälfte aller Detmolder ist ehrenamtlich tätig. Menschen, die sich besonders stark engagieren, wollen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in der Serie &bdquo;Mit Herz für Detmold“ vorstellen. Lassen Sie sich inspirieren von den Geschichten und Erlebnissen der &bdquo;Detmolder Helden“. Und vielleicht kennen auch Sie jemanden, über dessen Einsatz und Motivation Sie gerne lesen würden - dann melden Sie sich per E-Mail an jbeckmann@lz.de Wir freuen uns auf Ihre Hinweise, Tipps und Inspirationen.

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