Vernachlässigung und zu viel Bürokratie: KVWL sieht Politik bei Ärztemangel in der Pflicht

Kreis Lippe. Die Frage, ob es im Kreis Lippe genügend Kinderärzte gibt, treibt Eltern und medizinisches Fachpersonal um. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) sieht für den Kreis allerdings keine Unterversorgung. Derzeit sind laut KVWL 22,75 Kinderärzte in Lippe tätig (Vollzeitäquivalente), der Versorgungsgrad liegt bei 101 Prozent. Es bestehen aber weitere Niederlassungsmöglichkeiten für Kinderärzte. Erst ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent gilt eine Region als überversorgt und wird für weitere Zulassungen gesperrt.

Wie viele Ärzte und Psychotherapeuten für eine Stadt, einen Kreis oder eine Region benötigt werden, wird, so KVWL-Pressesprecher Daniel Müller, durch die sogenannte Bedarfsplanung festgelegt. Diese solle eine ausreichende und flächendeckende Versorgung gewährleisten sowie eine Fehlversorgung vermeiden. &bdquo;Die bundesweite Bedarfsplanung ist das entscheidende Instrument zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung“, berichtet der Pressesprecher.

Bedarfsplanung wurde reformiert Die Planung führt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, durch. Er besteht, laut dem Bundesministerium für Gesundheit, aus drei unparteiischen Mitgliedern sowie aus Vertreterinnen und Vertretern der Vertragsärzteschaft, der Vertragszahnärzteschaft, der gesetzlichen Krankenkassen und der Krankenhäuser.

Die Bedarfsplanungsrichtlinie wurde, laut Müller, im Jahr 2019 grundlegend reformiert und gerade bei den Kinderärzten deutlich an den gestiegenen Bedarf angepasst. &bdquo;Wir haben dadurch fast 50 zusätzliche Zulassungsmöglichkeiten allein in Westfalen-Lippe erhalten, viele dieser Sitze sind mittlerweile auch besetzt“, so Müller weiter.

Wie realitätsnah ist die Bedarfsplanung? Einen Versorgungsgrad von 100 Prozent nennt die KVWL übereinstimmend mit den gesetzlichen Vorgaben. Doch deckt sich diese Vorgabe tatsächlich mit der Lebensrealität der Patienten? Müller sieht in dieser Frage das Problem nicht in der Bedarfsplanung, sondern im Nachwuchsmangel. Dieser mache sich deutlich bemerkbar - in vielen Fachrichtungen. &bdquo;Generell wird die Nachbesetzung von Arztsitzen in vielen Regionen, vor allem im ländlichen Bereich, schwieriger, da sich nicht genug junge Mediziner für eine (eigene) Praxis entscheiden“, erläutert der Pressesprecher.

Viele Ärztinnen und Ärzte interessierten sich heute eher für eine Tätigkeit in Anstellung oder in Teilzeit. Zum Beispiel in größeren Praxen, in denen die Verantwortung auf mehreren Schultern verteilt ist und die eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Freizeit böten. &bdquo;Große kooperative Praxen eignen sich auch zur Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten der gleichen oder anderer Arztgruppen sowie mit Personen anderer Gesundheitsprofessionen, auch dies wird häufig von Ärztinnen und Ärzten gewünscht. Kooperative Praxisformen wie Medizinische Versorgungszentren oder auch Berufsausübungsgemeinschaften bieten diese Möglichkeiten“, erläutert Müller.

Rahmenbedingungen spielen wichtige Rolle Doch nicht nur die Kooperationsbereitschaft von Ärzten sei entscheidend für die Etablierung von attraktiven Praxismodellen. &bdquo;Zugleich sind für junge Ärztinnen und Ärzte, die sich für eine Niederlassung interessieren, auch die sogenannten weichen Faktoren entscheidend“, so Müller weiter. Wichtig sei zum Beispiel, ob in einer Ortschaft eine moderne Infrastruktur vorhanden ist und es ausreichend geeignete Praxisräume zu bezahlbaren Konditionen gibt. Auch Verfügbarkeit von Baugrundstücken, Unterstützung bei Bauvorhaben, eine gute Anbindung an den ÖPNV, Kinderbetreuungsangebote und Jobmöglichkeiten für den Partner spielen laut Müller eine wichtige Rolle. Mit Blick auf den Personalmangel bei Medizinischen Fachangestellten sei eine Unterstützung bei der Personalsuche ebenfalls von Belang. &bdquo;Das sind Aufgabenfelder insbesondere für die Kommunen“, so der Pressesprecher weiter.

Um die Versorgung zu sichern und im solidarischen System bezahlbar zu halten, dürfe nicht nur die Anzahl der Ärzte in den Blick genommen werden, zumal diese nicht beliebig vermehrbar sei. Es müsse ebenso auf weitere Rahmenbedingungen wie fehlende Medizinstudienplätze geschaut werden.

Politik in der Pflicht Bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen sieht Müller eine vermehrte Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen aufgrund gesunkener Gesundheitsbildung in der Bevölkerung. Zudem habe die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen in den letzten Jahren stark zugenommen. Auch nehme das Erstellen von Gutachten bei Ärzten immer mehr Zeit in Anspruch.

Müller sieht die Politik in der Pflicht: &bdquo;Die Bundespolitik hat in den vergangenen Jahren vielen Problemen in der ambulanten Versorgung nicht die dringend nötige Aufmerksamkeit geschenkt - der ambulante Sektor wurde und wird klar benachteiligt. Die daraus resultierenden Probleme bekommen nun sukzessive die Patientinnen und Patienten zu spüren. Dies wird in naher Zukunft vermutlich Leistungskürzungen und Praxisschließungen zur Folge haben.“

Die derzeitige Gesundheitspolitik führe dazu, dass für die Menschen wichtige Anlaufstellen infrage gestellt werden: &bdquo;Die Praxen der Niedergelassenen ersticken in Bürokratie, werden finanziell unzureichend ausgestattet und mit nicht ausgereiften Digitalisierungspflichten gelähmt.“ Folge sei ein eklatanter Fachkräftemangel, sowohl was den ärztlichen Nachwuchs betrifft, als auch bei den Medizinischen Fachangestellten. &bdquo;Rund 7,4 Stunden verbringen Ärzte laut Ärztemonitor in der Woche beispielsweise mit Verwaltungsarbeit. Statistisch muss jede Praxis pro Jahr 60 Arbeitstage für Bürokratie aufwenden“, erklärt Müller. So sei immer weniger Zeit für die Patientenversorgung da.

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