Detmolder Notar erklärt: Warum eine Vorsorgevollmacht in jedem Alter wichtig ist

Kreis Lippe. Wer entscheidet für mich, wenn ich selbst nicht mehr dazu in der Lage bin? Eine Frage, mit der sich niemand gerne auseinandersetzt. Krankheit, Unfälle, Schicksalsschläge machen allerdings vor keinem Alter halt. Deshalb sind regelnde Bausteine wie eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht entscheidend, um für den Ernstfall gewappnet zu sein.

Zur landesweiten Woche des Betreuungsrechts will das Landgericht Detmold daher zusammen mit den hiesigen Amtsgerichten Menschen in der Region niederschwellig an diese Themen heranführen. Dafür gibt es am Montag, 28. April, einen entsprechenden Info-Abend. Einer der Referenten, Wolf-Dieter Tölle, Rechtsanwalt und Notar in Detmold, ist überzeugt: Die Thematik geht alle etwas an - egal ob sie 18 oder 100 Jahre alt sind. Warum er selbst lange gezögert hat und worauf es ankommt, erklärt der Vorsitzende des lippischen Anwaltvereins im Interview.

Herr Tölle, Sie sind schon lange als Rechtsanwalt und Notar tätig. Wann raten Sie Menschen in Ihrem privaten Umfeld, sich mit einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht auseinanderzusetzen?

Wolf-Dieter Tölle: So früh wie möglich, kann ich nur sagen, weil immer etwas passieren kann. Unfall, Schlaganfall, Herzinfarkt können wir alle kriegen, das betrifft auch jüngere Leute. Aber es kann auch ganz andere Ursachen geben, warum man mal nicht geschäftsfähig ist. Man muss sich allein bewusst machen: Wenn Kinder gerade volljährig sind, noch zu Hause wohnen und dann einen Unfall haben, haben die Eltern grundsätzlich kein Recht mehr, über ihren Zustand im Krankenhaus informiert zu werden. Das ist ganz furchtbar, lässt sich aber vermeiden.

Haben Sie denn Ihren eigenen Rat befolgt und sich frühzeitig gekümmert?

Tölle: Wenn ich an mich selbst denke, muss ich zugeben, dass ich relativ spät dran war. Mein Kollege hat mir vor 20 Jahren eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung aufgesetzt, weil ich das immer vor mir hergeschoben habe. Da hatte ich schon jahrelang praktiziert. Es ist natürlich so: Man berät und denkt an diese Situation für sich selbst nicht, weil man gesund ist und sich fit fühlt. Und dann ist man es plötzlich nicht mehr oder erlebt in der Familie, wie der Großvater eine Demenz entwickelt und die eigenen Eltern alt werden.

Was ist aus Ihrer Sicht wichtiger: Eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht?

Tölle: Beides ist wichtig und auch vom Stellenwert gleich, weil es einfach ein bisschen ineinandergreift, auch wenn es unabhängig voneinander steht. Aber um das eine umzusetzen, brauche ich das andere, und damit ich mit der Vollmacht agieren kann, muss ich auch wissen, was wünscht sich derjenige im medizinischen Bereich.

Wo liegen überhaupt die Unterschiede?

Tölle: Es ist mehr als Zusammenspiel zu sehen. Die Patientenverfügung hält die medizinischen Wünsche fest, wenn ich beispielsweise nicht mehr künstlich am Leben gehalten oder bestimmte Behandlungsmethoden, wie eine Magensonde, ablehne. Mit der Vollmacht habe ich dann die Handlungsmöglichkeit, das alles für den anderen umzusetzen. Letztere muss nur dann notariell beglaubigt, sogar beurkundet werden, wenn es um Vermögen mit Immobilien oder bestimmten Gesellschaftsanteilen geht.

Wie wähle ich denn am besten solch eine Person aus, die nach meinem Willen handelt?

Tölle: Erst mal muss ein echtes Vertrauen da sein, das halte ich für ganz, ganz wichtig und natürlich sollte die Person in einer gesicherten Vermögenssituation sein. Immer dann, wenn das Geld knapp ist, kann die Versuchung natürlich mal aufkommen, dass man sich an irgendwas bedient. Missbrauch findet eben vornehmlich im Vermögensbereich statt. Ja, ich glaube, dass Eltern ihre Kinder nach vielen Jahrzehnten kennen und sich nicht einfach blenden lassen dürfen.

Also Familie ist nicht alles?

Tölle: Die eigenen Kinder zu beauftragen ist zumindest nicht immer die beste Wahl. Frühen Beziehungen würde ich auch nicht gleich eine Vollmacht geben, sondern zurückhaltender sein oder die Vollmacht beschränken. Wir müssen ja nicht gleich immer Generalvollmachten erteilen, sondern können diese Vollmachten auch auf bestimmte Beträge oder andere Dinge begrenzen und so weiter. Da sollte im Einzelfall immer drüber nachgedacht werden.

Was sind denn die größten Fehler, die man machen kann?

Tölle: Auf keinen Fall sollte man sie unwiderruflich gestalten. Zivilrechtlich wäre das möglich, aber eine Situation kann sich immer wieder ändern, auch eine Vertrauenssituation ändert sich, gerade bei der Vollmacht ist eben ein hohes Maß an Vertrauen in diese Person erforderlich. Natürlich darf der Vollmachtnehmer nicht gegen den Willen des anderen handeln, aber die Möglichkeit besteht, wenn ich diese Vollmacht im Original in der Hand habe. Missbrauch von Vollmachten, also dass Leute diese Position ausnutzen, ist ein großes Thema.

Das sehen wir gerade bei einem aktuellen Fall, der in Detmold verhandelt wird. Da sitzt eine Rechtsanwältin auf der Anklagebank, die vorrangig als gesetzliche Betreuerin gearbeitet hat und dieses Amt mehrfach missbraucht haben soll ...

Tölle: Dieses Verfahren hat die Menschen in der Region natürlich immens verunsichert. Es spielt auch nicht gerade dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Anwaltschaft in die Karten. Das ist das Ärgerliche. Wir haben hier in der Region so viele Berufsbetreuerinnen und -betreuer, die ihren Job ernst nehmen und gut machen, denen setzt dieser Einzelfall schon zu.

Wann kommen die überhaupt ins Spiel?

Tölle: Wenn es keinen Bevollmächtigten gibt oder die bestimmte Person selbst erkrankt oder organisatorisch nicht in der Lage ist, die Vollmacht auszuführen, dann sieht das Gesetz vor, dass ein Betreuer bestellt werden darf und das Betreuungsgericht wählt einen aus, versucht das natürlich auch hier möglichst aus dem Angehörigenkreis zu machen, muss aber auch gleichzeitig gucken, ob derjenige geeignet und in der Lage ist, das zu tun. Wenn das nicht geht, dann wird eben ein sogenannter Fremdbetreuer bestellt. Das sind in der Regel Berufsbetreuer, häufig ja Rechtsanwälte, Rechtsanwältinnen, manche haben einen anderen beruflichen Hintergrund.

Welchen Appell würden Sie Menschen mitgeben, die hellhörig geworden sind und das Thema jetzt angehen wollen?

Tölle: Man sollte nicht einfach so eine Vollmacht ausstellen, sondern sich vorher damit auseinandersetzen und auf keinen Fall überall Kreuzchen machen, ohne darüber nachgedacht zu haben. Es gibt viele Informationen im Internet, man kann sich bei Rechtsanwälten und Notaren beraten lassen, aber auch bei den Betreuungsstellen - oder bei den zuständigen Amtsgerichten, auch wenn das nicht deren Hauptaufgabe ist. Ich denke, das Thema spielt für Jung und Alt eine Rolle. Jeden Menschen zwischen 18 und 100 Jahren betrifft es gleichermaßen.

Infos vom Notar Wolf-Dieter Tölle ist 58 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei Kindern. Seit 1999 ist der gebürtige Beller als Rechtsanwalt tätig. Darüber hinaus wurde Tölle 2004 zum Steuerberater bestellt und ist seit dem Jahr 2014 Notar. Er ist ebenfalls Vorsitzender des Lippischen Anwalt- und Notarvereins. Dieser ist für den Landgerichtsbezirk Detmold mit den Amtsgerichten Blomberg, Detmold und Lemgo zuständig und zählt derzeit rund 180 Mitglieder. Schätzungsweise sind im Kreis Lippe etwa 250 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte tätig. Tölle wird seine Expertise als einer der Referenten am Montag, 28. April, von 17 bis 19 Uhr im Landgericht Detmold (Sitzungssaal 143) einbringen.

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