Diese Lemgoer Anwältin zeigt auf Instagram, warum Vorsorge „ein Akt der Liebe“ ist

Lemgo. &bdquo;Gerne per Du oder Sie - wie Sie sich wohler fühlen! So biete ich es meinen Mandantinnen und Mandanten auch immer an.“ Mit diesen Worten empfängt Mara Kaltenborn den Besuch im Flur ihrer Lemgoer Kanzlei. So wenig wie die Begrüßung typisch ist für einen Termin beim Anwalt, so wenig ist es auch die Einrichtung: Moderne Möbel, farbige Akzente – es wirkt eher wohnlich als sachlich. Das ist der Plan, verrät die 37-Jährige: &bdquo;Sie würden lachen, wie viele meiner Mandanten mir nach einem Beratungsgespräch sagen: Ich war schon mal bei einem Notar oder Anwalt und habe mich total unwohl gefühlt. Hier war das anders.“

Frau Kaltenborn, ich bleibe der Gewohnheit halber beim Sie. Dennoch: Das Duzen und der gemütliche Stil - stimmt der Eindruck, dass hier jemand etwas anders machen will?

Mara Kaltenborn: Unbedingt. Aber nicht aufgesetzt, sondern einfach, weil es meiner Persönlichkeit entspricht. Ich kann empathisch reagieren und juristische Themen laienverständlich formulieren. Und dann geht es bei mir um sehr persönliche Dinge – da darf man auch Emotionen zeigen. Ich nehme mir die Zeit, die die Menschen brauchen, und versuche, sie erst einmal abzuholen.

Welche Rolle spielt dabei Ihr Profil auf Instagram?

Mara Kaltenborn: Als ich noch in der Kanzlei meines Vaters war, habe ich schnell gemerkt, wie viele Missverständnisse es rund um das Thema Notfallvorsorge und Erbrecht gibt. Also zu Vollmachten, Patientenverfügungen, Testamenten ... all den Dingen, über die niemand gern spricht, die aber im Ernstfall entscheidend sind. Instagram mochte ich privat ohnehin: Bilder, ein bisschen Leichtigkeit, ein Ort, an dem ich mich wohlfühlte. Dort bot sich die Möglichkeit, einer breiten Masse diese Themen näherzubringen und mit den größten Irrglauben aufzuräumen. Im Sommer 2020 habe ich einfach angefangen – mit einem Follower und dem Impuls, ins Handy zu sprechen.

Sprechen Sie ausschließlich über rechtliche Fragen?

Mara Kaltenborn: Mein Privatleben war nie Teil des Kanals. Aber: Social Media braucht Persönlichkeit, sonst fühlt man sich wie in einem juristischen Lehrbuch. Deshalb mische ich berufliche Inhalte mit Einblicken in meinen Alltag – etwa einem Video auf der Hunderunde. Ich glaube, Menschen folgen, weil sie das Gefühl haben, durchs Schlüsselloch schauen zu dürfen, ohne dass es voyeuristisch wird. Die wollen auch sehen, dass ich mal schlechte Laune habe, dass ich mal genervt bin.

Inzwischen tauchen juristische Themen öfter auf Instagram auf, doch vor fünf Jahren waren Sie vermutlich eine Pionierin?

Mara Kaltenborn: Ja, wir waren damals nur eine kleine Gruppe. Heute ist das selbstverständlich. Natürlich schauen einige ältere Kollegen immer noch skeptisch, aber das gehört wohl dazu.

Bringt Ihnen Social Media zählbaren Erfolg?

Mara Kaltenborn: Es gibt das Vorurteil, darüber könne man keine Mandanten gewinnen. Ich kann nur sagen: Doch, kann man, und zwar ganz tolle! Rund 80 bis 90 Prozent meiner Mandate akquiriere ich über Social Media, deutschlandweit. Menschen lernen mich dort über längere Zeit kennen, bauen Vertrauen auf und schreiben irgendwann: &bdquo;Jetzt möchten wir es angehen.“

Inzwischen haben Sie fast 50.000 Follower – das sind 10.000 mehr, als Lemgo Einwohner hat.

Mara Kaltenborn: Oh Gott, ja! Stellen Sie sich vor, die würden alle vor mir stehen. Und das, obwohl ich keinem Redaktionsplan folge. Ich mache das komplett aus dem Bauch heraus. Ohne perfekte Uhrzeit, ohne Strategie. Ein Videograf hat neulich gelacht und gesagt: &bdquo;Du machst eigentlich alles falsch – aber es funktioniert.“

Wären LinkedIn oder TikTok auch eine Option?

Mara Kaltenborn: Ich rate auch anderen Kollegen: Wenn du für ein Thema brennst und damit in die Sichtbarkeit willst, dann finde die Plattform, die zu dir passt. Das ist für den einen LinkedIn, für den nächsten Facebook, für den dritten vielleicht sogar TikTok, auch das soll funktionieren. Ich persönlich ertrage diesen Marktplatz allerdings nur bedingt. (lacht)

Wann schalten Sie ab?

Mara Kaltenborn: Ganz ehrlich? Viel zu selten! Hauptberuflich bin und bleibe ich nun mal Anwältin. Privat sind da mein Mann, die Kinder, Hund und Pferd. Ich mache Social Media während meiner Arbeitspausen und gern auch mal abends auf dem Sofa, wenn die Kinder im Bett sind. Da versuche ich aktuell, etwas professioneller zu werden und mir hierfür echte Arbeitszeit einzuplanen. Freizeit sollte Freizeit sein.

Wie würden Sie Ihre Zielgruppe beschreiben?

Mara Kaltenborn: Menschen zwischen 35 und 65, häufig Eltern, zu zwei Dritteln Frauen – aber zunehmend auch Männer. Es sind Menschen, die Verantwortung tragen: für Kinder, Vermögen, Unternehmen. Viele sind durch Erlebnisse im Bekannten- oder Freundeskreis sensibilisiert: ein Unfall, eine schwere Krankheit, ein Streit ums Erbe ... Dann merken sie plötzlich, wie wenig geregelt ist.

Welche Mythen begegnen Ihnen am häufigsten?

Mara Kaltenborn: Der größte Mythos ist, dass Ehepartner oder Eltern einen automatisch vertreten dürfen. Das stimmt nicht – und wäre auch ein Eingriff in die Selbstbestimmung. Das Ehegattennotvertretungsrecht existiert so erst seit 2023 und greift nur in medizinischen Akutsituationen. Aber wenn man in ein Krankenhaus eingeliefert wird, muss ja vielleicht auch mit der Polizei oder dem Arbeitgeber gesprochen werden. Es müssen Versicherungsleistungen geltend gemacht, Verträge gekündigt, Überweisungen getätigt werden. Für echte Handlungsfähigkeit braucht es eine Vorsorgevollmacht.

Mythos zwei?

Mara Kaltenborn: Taufpaten kümmern sich automatisch um die Kinder. Nein. Ohne Sorgerechtsverfügung entscheidet das Gericht! Und drittens: die Angst, dass man mit einer Patientenverfügung nicht mehr behandelt wird. Dabei geht es um konkrete Situationen am Lebensende, nicht um die Knie-OP, bei der das Herz stehen bleibt.

Gab es eigentlich einen Moment, in dem Ihnen klar wurde: Das ist mein Thema?

Mara Kaltenborn: Irgendwie kam das Thema zu mir – immer wieder, wie ein Boomerang. Sehr berührt hat mich der junge Vater, dessen Frau bei einem Autounfall schwerste Hirnschädigungen erlitt und wo innerhalb der Familie Streit über die lebenserhaltenden Maßnahmen ausbrach. Das Schlimmste ist, wenn bei mir Angehörige sitzen, die sagen: &bdquo;Ich weiß nicht, was er oder sie gewollt hätte.“

Sie sagen, Vorsorge kann Konflikte vermeiden. Wie meinen Sie das?

Mara Kaltenborn: Wer selbstbestimmt vorsorgt, schafft Klarheit. Für sich selbst, aber vor allem für die Menschen, die in den Situationen für einen da sein wollen. Notfallvorsorge ist damit ein Akt der Familienfürsorge und der Liebe. Geht man die Themen nicht an, so sind die Vertrauenspersonen im Notfall selbst unfassbaren bürokratischen Hürden, Detektivarbeit und oft innerfamiliären Konflikten ausgesetzt. I m testamentarischen Bereich tun sich häufig familiäre Abgründe auf. Es gibt immer einen, der gerade dringend Geld braucht; Geschwister zerstreiten sich.

Wie sprechen Sie über diese Themen, bei denen Unfälle, Krankheit und Tod immer mitschwingen?

Mara Kaltenborn: Offen, aber immer behutsam. Jeder Mandant braucht eine ganz individuelle Ansprache. Spreche ich mit gesunden Menschen, dann ergänze ich häufig eine wohldosierte Prise Humor. Wenn man allerdings mit jemandem spricht, der weiß, dass er innerhalb der nächsten Wochen oder Monate verstirbt, dann ist das hart und geht auch an mir nicht spurlos vorbei. Ich habe auch schon mal mit geweint.

Was ist für Sie ein gelungener Beratungstermin?

Mara Kaltenborn: Wenn Menschen sagen: &bdquo;Ich dachte, das wäre kompliziert – war es aber gar nicht.“

Sie warnen davor, dass Vordrucke aus dem Internet Probleme bereiten können. Warum?

Mara Kaltenborn: Sie haben, etwa zur Vorsorgevollmacht, drei große Nachteile: Erstens: Sie müssen für jeden irgendwie funktionieren. Da gibt es genau null Raum für Individualität. Zweitens: Sie enthalten wenig bis gar keine Erklärungen. Menschen kreuzen mit gefährlichem Halbwissen etwas an. So sehe ich immer wieder sich widersprechende Erklärungen und schlicht nicht umsetzbare Verfügungen. Drittens: Aufgrund der ersten beiden Punkte werden sie in der späteren Anwendung nach außen durch Banken, Vertragspartner oder Behörden häufig nicht anerkannt.

Aber eine individuelle Lösung ist kostspielig.

Mara Kaltenborn: Deshalb biete ich neben der individuellen anwaltlichen Beratung und Erstellung einen Kompromiss. Das Thema ist zu wichtig, um an Geld zu scheitern. Aber ich wollte auch keine Copy-Paste-Vollmachten, die später im Ernstfall scheitern. Deshalb habe ich mit viel Aufwand für unseren Shop neben einem detaillierten Notfallordner mit einem Workbook als Ausfüllhilfe einen digitalen Fragebogen mit zusätzlichen Hinweisblättern entwickelt - ich nenne das Angebot die &bdquo;Sofa-Variante“. Da werden die gleichen Fragen gestellt wie ich sie im Beratungsgespräch anwende. Am Ende entsteht ein fertiges Dokument – rechtssicher, ohne Anwaltsbesuch, aber mit Substanz. Das hat allerdings Grenzen: Ein Testament geht so nicht. Jede familiäre Situation hat ihre Besonderheiten. Und der Nicht-Jurist erkennt das nicht.

Wenn Sie jungen Menschen einen Satz mitgeben könnten – welcher wäre es?

Mara Kaltenborn: Kümmert euch um Notfallvorsorge – frühzeitig –, denn irgendwann könnte &bdquo;mach ich irgendwann“ einfach zu spät sein. Ich frage auch meine 35-jährigen Mandanten schon, wie sie sich ihre Bestattung vorstellen. Wir haben dann lustige Gespräche von &bdquo;Ich möchte in einen Diamanten gepresst werden“ bis hin zu &bdquo;Es ist mit völlig egal, was ihr mit mir macht“. Auch das ist wertvoll.

Was ist was? Vorsorgevollmacht: Wer kann mich vertreten, wenn ich einmal selbst nicht dazu in der Lage bin? (etwa Vertretung in medizinischen, finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten) Patientenverfügung: Wie möchte ich in medizinisch ausweglosen Situationen, in denen es keine Hoffnung mehr auf Besserung des Zustandes gibt, behandelt werden? (Stichwort lebenserhaltende Maßnahmen, Palliativbehandlung, Organspende, Beistand) Sorgerechtsverfügung: Wer kümmert sich um die minderjährigen Kinder, wenn beide Eltern verunglücken? (und/oder: Wer soll es auf keinen Fall machen?) Testament: Wer soll erben, wenn ich versterbe? Passt das, was das Gesetz regelt? Oder möchte ich eine individuelle Regelung?

Persönlich Mara Kaltenborn ist 37 Jahre alt und hat zwei Kinder, 9 und 12 Jahre alt. Ursprünglich kommt sie aus Bad Salzuflen. Sie besuchte eine Waldorfschule, ihr Studium absolvierte sie an der Uni Bielefeld. Auch Wirtschaftspsychologie wäre für sie eine Option gewesen, doch die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze bestätigte ihr damals schneller einen Platz für Jura. In ihrer Kanzlei &bdquo;recht-zeitig-vorsorgen“ führt sie ein Team von sieben Mitarbeitern. Seit einiger Zeit arbeitet auch ihr Ehemann im Unternehmen mit, wodurch sich Familie und Arbeit leichter koordinieren ließen. Kaltenborn hält auch regelmäßig Vorträge, zuletzt unter anderem vor Senioren in Dörentrup.

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