„Hurra, hurra, Germania!“: 100 Jahre Hermannslauf – zur Geschichte des modernen „Hermanns“

Kreis Lippe. 100 Jahre Hermannslauf – wie kann das sein, mag sich manch Leser fragen. Ist der Hermannslauf zwischen Detmold und Bielefeld nicht ein Kind der 1970er-Jahre? Tatsächlich hat der heutige Hermannslauf einen Vorgänger ganz anderer Art und auch das Denkmal selbst hat eine im wörtlichen Sinn bewegte und durchaus sportliche Vergangenheit. Waren es in den 1840er-Jahren zunächst Detmolder Turner, die zum Sockel des geplanten Denkmals zogen und der deutschen Nation und ihrem Nationalhelden, dem &bdquo;Hermann“, huldigten, kamen die Turner nach der Fertigstellung des Denkmals 1875 aus ganz Deutschland. 1913 war &bdquo;der Hermann“ dann erstmals Start eines großen Laufereignisses, als einer der Startpunkte eines großen Stern- und Staffellaufs zum Völkerschlachtsdenkmal in Leipzig.

Nationales Laufereignis 1925 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums seiner Einweihung war das Hermannsdenkmal dann selbst Ziel eines großen nationalen Laufereignisses. So hatten sich die Deutschen Turner den prestigeträchtigen Jubiläumstermin rund um den 16. August gesichert – dem Tag der Denkmaleröffnung 1875. Ermöglicht wurde es von einem Verzicht des Landespräsidiums um Heinrich Drake auf diesen &bdquo;monarchistischen“ Termin, hatte doch Kaiser Wilhelm I. einst das Denkmal eröffnet.

Tatsächlich brachen im August 1925 &bdquo;Wellen von Festlichkeiten“ über die Detmolder herein. Die ausrichtenden Organisationen kamen meist aus dem bürgerlichen und nationalistischen Milieu wie der Bismarckjugend, den Kriegervereinen, dem Frontkämpferbund, dem Alldeutschen Verband, aber auch aus breiter aufgestellten Verbänden wie dem ADAC oder verschiedenen Gesangsvereinen. Gemeinsam hatten viele Veranstaltungen neben einer nationalistischen und teilweise auch antisemitischen Grundausrichtung eine explizit antifranzösische Stoßrichtung und fanden gerade einmal sieben Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in einer aufgeheizten politischen Atmosphäre statt.

Längst blickte der Hermann mit seinem Schwert und seinem drohenden Blick Richtung Rhein nicht mehr den Römern von einst entgegen, sondern dem französischen Kriegsgegner der Gegenwart. Aber auch Reden wie die eines lippischen Gymnasialschulleiters, der vor Schülern die Hoffnung aussprach, dass diese bald in einem neuen Krieg für Deutschland kämpfen und sterben dürften, entsetzen heute und entsprachen doch dem Zeitgeist.

Große Pläne Der Detmolder Stadtverordnetenvorsteher Gustav Kühne – zugleich Vorsitzender des Detmolder Turnvereins – hatte dabei große Pläne. Gemeinsam mit dem Bundesvorstand der Deutschen Turnerschaft organisierte er einen Sternlauf zum Hermannsdenkmal in Detmold. Von dutzenden Orten im Reichsgebiet, von Ostpreußen, Cuxhaven, der dänischen Grenze im Norden, von der ostfriesischen Insel Borkum, von Aachen ganz im Westen, aus dem Erzgebirge oder Saarbrücken, aber auch aus Österreich oder von der Zugspitze, begaben sich am 14. August zehntausende Läufer auf ihren oft nur einige hundert, manchmal aber auch einige tausend Meter langen Abschnitt bis zur Übergabe des Staffelstabs an den nächsten Läufer.

Diese Stäbe waren gefüllt mit Urkunden und patriotischen Grüßen aus dem gesamten Reichsgebiet. Die Reichsorganisation der Deutschen Turner hatte vielerorts kleine Volksfeste am Streckenrand organisiert und technisch und medial alles aufgeboten, was 1925 möglich war. So entstand sogar ein Kinofilm über den Lauf, der die wichtigsten Orte am Rande (in Lippe etwa die Übergabe des Staffelstabs auf dem Lemgoer Marktplatz) in bewegten Bildern festhielt.

Dabei bleibt festzuhalten, dass zwar insgesamt weit mehr als 100.000 Läufer an diesen Tagen und Nächten auf ihrem Laufabschnitt nach Detmold unterwegs waren und dabei insgesamt gut 18.000 Kilometer zurücklegten. Vor allem aber waren es die lippischen Turner aller Altersklassen, die jeden Stab an der Landesgrenze abholten und dabei sprichwörtlich &bdquo;in Bewegung“ gehalten wurden.

Festmarsch durch die Detmolder Innenstadt Der Höhepunkt am 16. August bot neben der Zielankunft der Staffelläufer auch ein Schauturnen sowie einen gewaltigen Festmarsch durch die Detmolder Innenstadt, an dem sich auch die angereisten Delegationen der Turnvereine aus aller Welt, wie etwa der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika (dem heutigen Namibia), präsentierten.

Nicht zuletzt prägten viele Reden die Feierlichkeiten – denn Sport war und ist bis heute immer auch politisch. Viele der 1925 gehaltenen Ansprachen sind aus heutiger Sicht als nationalistisch, rassistisch, antifranzösisch und gewaltverherrlichend einzuschätzen. Der &bdquo;Hermann“ wurde gepriesen, es gab viele &bdquo;Hurras“ auf Germania, eine wehrhafte sowie starke Nation wurde beschworen und die &bdquo;Rettung des Volkes durch einen starken Führer“ erhofft.

Kein Kampf um Bestzeiten Einzig sportliche Wettkämpfe im Sinne eines Leistungsvergleichs fanden nicht statt. Der Hermannslauf von 1925 hatte keinen Sieger oder Verlierer und kannte keine Bestzeiten. Die deutschen Turner distanzierten sich in diesen Tagen auch vom als &bdquo;englisch“ diffamierten individuellen Leistungsgedanken, dem &bdquo;Sport“, der seinen ungleichen Bruder heute doch so prägt. Stattdessen stand der Lauf viel mehr für eine nationalpolitische Demonstration der kollektiven Einheit und Stärke des Volkes. Der Lauf kann somit eher als einer der Vorläufer des 1936 in Berlin von den Nationalsozialisten erstmals durchgeführten Olympischen Fackellaufs gesehen werden.

Für den Detmolder Gustav Kühne waren die Feierlichkeiten Höhepunkt wie zugleich Ende seiner überörtlichen Funktionärskarriere. &bdquo;Von einem völligen Versagen des Orts-Festausschusses“, sprach der Reichsverband nach Abschluss der Feierlichkeiten. Ohne Weiteres dürften die ehrenamtlich agierenden Detmolder Turner mit einer Feierlichkeit dieser Größe teilweise auch an ihre Grenzen gekommen sein. Der ergiebige Dauerregen, der Detmold am Festtag heimsuchte, hatte zudem viele Besucher von der vollständig als Freiluftveranstaltung geplanten Feierlichkeit abgehalten.

Beleidigte Gäste So mancher Detmolder war gewiss den Feierlichkeiten und Reden auch müde, so dass die Besucherzahlen in Detmold hinter den Erwartungen zurückblieben. Der wahre Grund für den Ärger war jedoch überwiegend profaner Natur: So musste der Vorstand der Deutschen Turnerschaft mehrere Minuten auf einen freien Tisch beim Festmahl der Ehrengäste warten, bevor er sich setzen konnte. Daraufhin beendeten die beleidigten Honoratioren des Reichsverbandes die Karriere des Gustav Kühne, bevor sie begonnen hatte.

Da Hitler selbst keine größere Leidenschaft für das Hermannsdenkmal zeigte und nach 1945 nationalpolitische Veranstaltungen in der Bundesrepublik anders, vor allem weniger antifranzösisch, begangen wurden, geriet der Hermannslauf von 1925 immer mehr in Vergessenheit. Die Gründer des heutigen Hermannslaufs hatten bei der Erstorganisation 1971 keine Kenntnisse von der sporthistorischen Geschichte des Namens. Wie sich die Organisatoren 2009 erinnerten, wurden sie erst bei einem Urlaub in Bayern Jahre später durch eine vorhandene Gedenktafel auf die Vorgeschichte aufmerksam gemacht.

Alles zum Hermannslauf finden Sie hier: www.lz.de/serien/hermannslauf

„Hurra, hurra, Germania!“: 100 Jahre Hermannslauf – zur Geschichte des modernen „Hermanns“

Neue Ausstellung beleuchtet Detmolds Beziehung zum Hermannsdenkmal

Der Detmolder Hermann feiert und wird Denkmal des Monats

150 Jahre Hermannsdenkmal: Ausstellung beleuchtet die Verbindung Detmolds zum Monument

Podcast „Mythos Arminius“: Wie der Hermann nach Detmold kam - jetzt Folge 2 hören

Heute vor 150 Jahren: Als der Kaiser das Hermannsdenkmal einweihte

Das „Picknick mit dem Kaiser“ schließt das große Hermann-Wochenende in Detmold ab

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus