Risikofaktor Nummer eins: Chef des Lungenkrebszentrums Lemgo über Rauchen und Vaping

Lemgo. Zigaretten, Tabak, E-Zigaretten, Vapes: Wer in Deutschland Nikotin konsumieren möchte, hat dafür zahlreiche Möglichkeiten. Doch ohne Risiko ist das nicht machbar. &bdquo;Rauchen stellt ein großes gesellschaftliches und gesundheitliches Problem dar“, sagt dazu Dr. Jan Groetzner, Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie am Klinikum Lippe, der täglich mit den Auswirkungen des Rauchens konfrontiert ist.

Geht es um das Thema Lungenkrebs, sei das Tabakrauchen weiterhin der größte Risikofaktor. &bdquo;Danach kommt kilometerweit gar nichts. Aber Rauchen ist auch ein Risikofaktor für wirklich alle anderen Arten von Krebs“, erklärt der Spezialist. Sogar das Risiko für eine Hautkrebserkrankung sei für Raucher zwei- bis dreimal höher als für Nichtraucher. Dazu kommen weitere Probleme wie Herzkreislauferkrankungen.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland laut Groetzner etwa 55.000 Menschen an Lungenkrebs. Dieses Krankheitsbild betrifft einen großen Teil der von ihm behandelten Patienten. Sehr häufig müsse er diese darauf hinweisen, dass sie mit dem Rauchen aufhören müssen. &bdquo;Dann kommen sie viel besser durch die Operation, haben es nachher viel leichter mit der Lunge“, berichtet der Chefarzt. Er beobachtet dabei häufig einen Realitätsverlust unter den Betroffenen - obwohl die Informationslage klar sei. &bdquo;Raucher flüchten sich gerne in Halbwahrheiten und Träume.“

Nie zu spät zum Aufhören Er habe aber festgestellt, dass die direkte Ansprache durch eine Fachperson den Betroffenen dabei hilft, zumindest während der Zeit der Behandlung mit dem Rauchen aufzuhören. &bdquo;Wenn man denen ganz klar sagt, sie müssen das machen, weil sonst das und das passiert - dann ist der Mensch in der Lage, mit einer Quote von knapp 90 Prozent, während der Behandlung rauchabstinent zu sein“, so Groetzner weiter. Dabei würde häufig ein klarer Schnitt ohne weitere Hilfsmittel gut funktionieren.

Generell sei es nie zu spät, mit dem Rauchen aufzuhören. &bdquo;Durch einen kompletten Nikotinstop fällt das Krebsrisiko auch irgendwann wieder ab. Aber es ist leider auch zunehmend so, dass Patienten zu uns kommen, die seit zehn oder 15 Jahren nicht mehr rauchen und die dann irgendeine Krebserkrankung in der Lunge haben.“ Das falle vor allem deshalb auf, weil die medizinische Versorgung sich generell verbessert habe und die Menschen älter werden. Die Zahl der Lungenkrebserkrankungen reduziere sich nur langsam. Das liegt laut Groetzner vor allem daran, dass andere Risikofaktoren, wie die Feinstaubbelastung, seit Jahrzehnten rückläufig seien. &bdquo;Es ist nicht so, dass man da einen Durchbruch hat“, berichtet Grotzner, der diesen eher bei den Behandlungsergebnissen sieht.

Die Überlebenschancen seien bei Patienten am größten, deren Erkrankung in Frühphasen festgestellt werde. Allerdings hat Lungenkrebs, anders als die meisten anderen Krebsarten, kaum Symptome, die in den Frühphasen spürbar sind. &bdquo;Die Lunge ist ein großes Organ, und darin haben Sie keine Schmerzfasern“, erläutert der Chefarzt. Erst wenn die Wucherungen zum Beispiel eine Ader betreffen und der Patient anfängt, Blut zu husten, sei klar, dass etwas im Argen liegt - dass passiere allerdings häufig in späten Stadien der Krankheit. &bdquo;Das ist der Grund, warum die Ergebnisse bei Lungenkrebsbehandlungen immer relativ schlecht gewesen sind und sich nur graduell verbessert haben.“ Alle weiteren Krankheitszeichen von Lungenkrebs seien meist völlig unspezifisch. Luftnot zum Beispiel spiele dabei nur sehr selten eine Rolle: &bdquo;Das sind alles Sachen, die jeder Zweite mal haben könnte.“

Im Zweifelsfall zum Arzt Dennoch sollte besonders bei Husten, der über mehrere Wochen andauert, der Arzt aufgesucht und der Sache nachgegangen werden - zum Beispiel mit einem Röntgenbild. Besonders Menschen, die rauchen und mehr als 40 Jahre alt sind, sollten besonders aufmerksam sein. Es sei nicht zielführend, die Symptome zu ignorieren und Gefahren zu verdrängen. &bdquo;Die Ehrlichkeit mit sich selber ist meiner Erfahrung nach bei Rauchern der wunde Punkt“, sagt der Chefarzt, der selbst vor vielen Jahren mit dem Rauchen aufgehört hat.

Ein Früherkennungsprogramm für Lungenkrebs gibt es in Deutschland bisher nicht. Groetzner hofft aber darauf, dass sich dies in den nächsten zwei Jahren ändern wird. Anders als zum Beispiel beim Mammografieprogramm würde der Anspruch auf Lungenkrebsfrüherkennung nicht für jeden Bürger ab einem bestimmten Alter bestehen, sondern den Risikogruppen vorbehalten sein. Wer mindestens 15 Schachteln Zigaretten pro Jahr konsumiert und über 40 Jahre alt ist, könnte laut dem Chefarzt zu dieser Gruppe gezählt werden. Durchgeführt würde die Untersuchung mittels Computertomografie (CT), die aber mit einer geringeren Strahlendosis auskomme, als dies bei herkömmlichen Untersuchungen der Fall ist. So könnten kleinere Rundherde und frühe Formen von Krebs recht gut erkannt werden, ist sich Groetzner sicher und fordert: &bdquo;Das muss wirklich kommen.“

Doch neben dem Rauchen hat sich in den vergangenen Jahren auch ein Trend zum Vapen entwickelt. Diese Form des Nikotinkonsums ist besonders unter jungen Menschen beliebt. Dabei wird eine Flüssigkeit, die Nikotin und Aromastoffe enthält, verdampft - also vaporisiert - und inhaliert. Die Geschmacksrichtungen sind vielfältig und haben mit dem Tabakrauchen nur wenig gemein. Der Dampf schmeckt meist sehr süß und fruchtig und enthält häufig auch Menthol oder eine andere &bdquo;frische“ Note. Mittlerweile gibt es neben nachfüllbaren E-Zigaretten auch eine Vielzahl an Einweg-Varianten, die fast überall erhältlich sind - doch was genau drin steckt, bleibt oft unklar.

Was drin ist, bleibt oft unklar &bdquo;Teilweise verändern sich die Produkte von Monat zu Monat. Bei der Zusammensetzung besteht keine Konsistenz, sodass es extrem schwierig ist, Untersuchungsergebnisse zu haben“, berichtet Groetzner. Natürlich sei es erst mal naheliegend, dass auch Vaping-Produkte schlecht für den Körper sein könnten. In der Medizin sei man aber auf Empirie angewiesen. &bdquo;Wir würden den Leuten gerne evidenzbasiert sagen: Ja, das ist auch schlecht“, erläutert Groetzner. Doch die Studienlage sei momentan äußerst dünn und die öffentliche Hand tue sich schwer damit, Studien zu finanzieren. &bdquo;Es bringt aber nichts, wenn das die Anbieter finanzieren - wie man das mehr als 50 Jahre lang mit der Tabakindustrie gemacht hat.“

Auch wenn die Studienlage schlecht ist, gebe es bereits Hinweise darauf, dass Vaping große gesundheitliche Risiken birgt. &bdquo;Grundsätzlich hat man Fallbeispiele von Jugendlichen weltweit, die so abhängig waren, dass sie ihre Lungen komplett zerstört haben. In einem Ausmaß, das die Zigarette so nicht erreicht hätte“, ergänzt dazu Katharina Heisig, Gesundheitsberaterin am Klinikum, die in der Tabakentwöhnungssprechstunde der Lungenklinik tätig ist. &bdquo;Man spricht von einer ,Vape-asociated-lung-injury’. Das ist gar nicht so selten“, erläutert der Chefarzt weiter.

Er geht dabei von Hunderten Fällen in Deutschland aus, bei denen es sich häufig um akute Fälle handele, aber auch hier seien die Langzeitfolgen weiter unklar. &bdquo;Für die akuten Schädigungen gibt es Nachweise“, ergänzt der Chefarzt. Dabei kann es sich zum Beispiel um Bronchiolitis obliterans, oder auch &bdquo;Popcorn-Lunge“ genannt, handeln. Das Wort lässt sich auf das Jahr 2000 zurückdatieren. Damals wurden Arbeiter einer Fabrik für Mikrowellen &bdquo;Popcorn-krank“, weil sie über längeren Zeitraum Diacetyl, ein chemisches Aromamittel für Buttergeschmack, eingeatmet hatten. Dieser Stoff kann auch in Vapes vorkommen.

Auch krebserregende Stoffe in Vapes enthalten Und auch zu einem weiteren Bereich in Sachen Vaping gebe es Studien. Diese befassen sich mit den Karzinogenen, also den krebserregenden Stoffen. &bdquo;Wir wissen, da gibt es karzinogene Stoffe, die nachweislich auch in anderen Zusammenhängen krebserregend sind. Diese sind dann nach dem Vapen auch in den unterschiedlichen Organen nachweisbar“, erklärt Groetzner und ergänzt: &bdquo;Es ist nicht so, besonders bei jüngeren Leuten, die ein aktives Immunsystem haben, dass man eine Karzinogenexposition hat, und zehn Minuten später teilen sich die Zellen in Krebszellen und drei Monate später hat man eine Erkrankung. Auch da braucht man Langzeituntersuchungen.“ Es sei aber absehbar, dass das Vapen wahrscheinlich nicht in dem Maße krebserregend ist, wie das Rauchen von Tabak. Ungefährlich sei das Ganze deshalb aber noch lange nicht.

Er würde jedenfalls niemandem empfehlen, mit dem Konsum von Vapes und E-Zigaretten anzufangen, um mit dem Rauchen aufzuhören. Zwar könnten das kleine Krücken sein, das Wichtigste sei aber, sich als Raucher darüber klar zu werden, was man eigentlich will und was wichtig ist. Um das Ganze auch verhaltenstherapeutisch zu unterstützen, haben Groetzner und seine Kollegen vor zwei Jahren eine Sprechstunde zur Rauchentwöhnung ins Leben gerufen.

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