Neue Wege gegen den Azubi-Mangel: M-Group kauft Haus im Lemgoer Blumenviertel für Ghanaer

Lemgo . Null: So viele Bewerbungen hat Leonie Röpke von der M-Group in den vergangenen beiden Jahren von jungen Menschen auf den Schreibtisch bekommen, die Feuerungs- und Schornsteinmaurer werden wollen. Ein Riesenproblem für die Lemgoer, die Industrieunternehmen mit Feuerfesttechnik versorgen , und dringend Nachwuchs brauchen. Die Lösung sucht die M-Group nun in Westafrika. Anfang August beginnen fünf Ghanaer ihre Lehre. Ein Projekt, das bundesweit seinesgleichen sucht.

Auch in Ghana findet das Projekt Resonanz, dem, am afrikanischen Maßstab gemessen, stabilen 30-Millionen-Einwohner-Staat zwischen Togo und Elfenbeinküste. Um das Engagement der M-Group bekannt zu machen, hat Michael Blank, Chef der AHK, der deutschen Auslandshandelskammer in Accra, aus der Hauptstadt Ghanas eine Gruppe Influencer nach Deutschland begleitet.

M-Group kauft Haus Auf einer Gartenparty, die die M-Group für Projektbeteiligte und Nachbarn angeboten hat, haben die Influencer Material gesammelt, um über soziale Netze über die Chancen, die Deutschland als Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bietet, zu informieren. Blank, der das Vorhaben mit dem Lemgoer M-Group-Inhaber Klaus Röpke, dessen Tochter Leonie sowie Geschäftsführer Stefan Sasse eingefädelt hat, spricht von Deutschland &bdquo;als Tor zur Welt“ in den Augen junger Ghanaer, die in der Heimat nur schwer einen sicheren Job finden.

Mindestens genauso profitierten von der Deutschland-Ghana-Connection aber hiesige Firmen. Dessen ist sich AHK-Chef Blank sicher. Mit Blick auf die M-Group spricht der Afrika-Experte von einem &bdquo;vorbildlichen Projekt“ mit enger Betreuung der vier jungen Ghanaer. So hat die M-Group nach Worten von Geschäftsführerin Röpke ein Haus mitten im Lemgoer Blumenviertel gekauft, in dem die Männer wohnen. Eine ruhige Ecke mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, in der fünf schwarze Menschen auffallen.

&bdquo;Job, Auto und eine Frau“ Das bestätigen Emmanuel Bilson, Nana Kojo Odoi, Joseph Tetteh, Maxwell Dumenyo und Patrick Otori Andoh, die fünf ghanaischen Auszubildenden. Und doch stehen die Träume im Vordergrund, die sie mit nach Deutschland bringen. Wer sie fragt, was sie für ihre Zukunft erhoffen, bekommt Einiges von dem zu hören, was für viele junge Deutsche selbstredend ist. Nana Kojo Odoi: &bdquo;Job, Auto und eine Frau zum Heiraten.“

Den ersten Schritt ins Glück haben die fünf getan: Sie haben auf eine Anzeige der M-Group in Ghana reagiert, die hierzulande niemanden lockt. Leonie Röpke: &bdquo;Feuerungsmaurer ist ein anspruchsvoller Montagejob“, bei dem man beispielsweise Hochöfen mit feuerfesten Steinen auskleidet. Eine Arbeit in oftmals enger und sehr warmer Umgebung. &bdquo;Man ist viel unterwegs – und das spontan, daran scheitert es oft. Samstags erfährt man, dass man montags zur Notbaustelle nach England oder Brasilien fliegt“, weiß Röpke. Seinen Koffer hat ein Feuerungsmaurer der M-Group stets gepackt. Spätestens, wenn Frau und Familie ins Spiel kommen, bekommt das gute Gehalt starke Gegenargumente.

1000 Bewerber in Ghana Gegenüber 0 hierzulande haben sich in Ghana 1000 Menschen auf das M-Group-Gesuch beworben. Michael Blank wählte 20 von ihnen aus und stellte sie vor, als Klaus Röpke und Stefan Sasse – nicht zum ersten Mal – nach Accra flogen. 2023 waren die beiden zum ersten Mal da, um das &bdquo;Pilotprojekt“ (Röpke), das das Interesse der Wirtschaftspresse geweckt hat, vorzubereiten. Bei der Auswahl &bdquo;war viel Bauchgefühl dabei“, erinnert sich auch Leonie Röpke. Doch das scheint, so der erste Eindruck seit dem 24. Februar dieses Jahres, nicht zu trügen.

Die fünf Männer, die an diesem kühlen Wintermorgen landeten, hätten sich bereits sehr gut eingefunden, bestätigen Hans Coenen und Klaus Stahlberg. Der Lemgoer und der Bielefelder sind Helfer beim Senior-Expert-Service (SES). Dieser gibt ehemaligen Fach- und Führungskräften im Rentenalter – gegen eine kleine Ehrenamtspauschale – eine sinnvolle Aufgabe. Diese liegt für Stahlberg und Coenen nun im Blumenviertel. Die beiden Rentner sorgen dafür, dass die fünf Ghanaer sich gut einfinden.

Es gibt viel zu lernen Dabei betont das SES-Duo, das von Klaus Röpke persönlich angesprochen wurde, mehrfach: &bdquo;Integration ist keine Einbahnstraße.“ Natürlich haben Coenen und Stahlberg bei den Behördengängen zur Stadt und zum Ausländeramt ebenso geholfen wie bei ersten Fahrten mit dem Stadtbus, dem Einkaufen und – ganz wichtig im gepflegten Blumenviertel – der Mülltrennung. &bdquo;Auch den Afrika-Shop in Bielefeld mit Lebensmitteln aus der Heimat haben die fünf schon kennengelernt“, sagt Coenen. Einer der Jungs trainiert in einem Fitnessstudio und lässt sich seine Haare im Salon der Nachbarn flechten, einer war in Berlin, ein anderer in Bremen bei der Schwester.

Natürlich muss man erst einmal lernen, wo man hierzulande Batterien für die Fernbedienung bekommt. Wie es sich anfühlt, als &bdquo;People of Colour“ über den Wochenmarkt zu schlendern. Was das Hermannsdenkmal ist. Wo man Fußball spielen kann. Wo man ein Konto eröffnet. Wo man eine Versicherung abschließt. Dass man Rasenmähen und die Hecke schneiden muss, das Haus nach Putzplan sauber hält. &bdquo;All das funktioniert nach kürzester Zeit immer besser“, sagt Stahlberg.

Grillfest für die Nachbarn In der Nachbarschaft – und da kommt das Geben und Nehmen ins Spiel – sind die Ghanaer längst bekannt, schnacken mit einigen über den Gartenzaun oder an der Mülltonne und haben jetzt mit der M-Group zum Grillfest eingeladen. &bdquo;Alltag eben“, betont Leonie Röpke, &bdquo;während jeder der fünf mehrere Praktikumsstationen bei befreundeten Betrieben kennengelernt hat. Für die Integration. Für die Sprache – sie müssen dort Deutsch sprechen.“

Apropos: die Sprache, der Knackpunkt. Um ans begehrte Ausbildungsvisum zu kommen, mussten alle noch in Ghana den achtmonatigen B1-Sprachkurs machen. &bdquo;Ohne B1 kein Visum“, sagt Joseph Tetteh. Was er noch gelernt habe: Pünktlichkeit. Wenn Dachdecker Raabe, einer der Praktikumsbetriebe, um 6.45 Uhr zum Morgenappell rufe, dann heiße 6.45 Uhr, fertig auf dem Hof stehen. &bdquo;Und ein Bus, der um 5 Uhr fahren soll, fährt hier auch um 5“, ergänzt Patrick Otori Andoh.

Wissbegierige junge Männer In Ghana ist das anders. &bdquo;Wir haben gelernt, dass man hier mit dem Fahrrad auf dem Radweg fährt“, sagt Emmanuel Bilson. In Ghana sind Radwege unbekannt, Ampeln selten und Verkehrsregeln eher dem Chaosprinzip unterworfen. Eine Kfz-Versicherung braucht man nicht, dafür sind Autos und viele Lebensmittel für die meisten unerschwinglich. Viele junge Menschen haben nur Tagelöhner- oder gar keine Jobs. Joseph Tetteh, der junge Mann, der sich im Fitnessstudio in Form hält, hat vorher als Schweißer gearbeitet. Nana Kojo Odoi war beim &bdquo;National Service“, einem einjährigen Pflichtdienst in Ghana. Dagegen ist Deutschland die chancenreiche Kür.

Immer wieder sprechen alle von Chancen. Der Chance, Neues zu lernen. Wissbegierig treten sie auf, bestätigt Klaus Röpke. Nana Kojo Odoi: &bdquo;Mit jeder Firma habe ich mehr Erfahrung. Nächstes Jahr bin ich Profi.“ Odoi grinst. Dass die Ausbildung zum Feuerungsmauer insgesamt drei Jahre dauert und nach zwei Jahren Hochbau im letzten Jahr überhaupt erst zum eigentlichen Schwerpunkt gelangt, weiß der Ghanaer.

Erwartungshaltung der Familie Dankbarkeit schwingt bei ihm und seinen neu gewonnenen WG-Mitbewohnern aus dem Blumenviertel mit. Dankbarkeit für die Chance, etwas aufzubauen. Dankbarkeit, vielleicht auch etwas Geld heim zu schicken. Bei Joseph Tetteh als Erstgeborenem der Familie gibt es da natürlich auch eine gewisse Erwartungshaltung. &bdquo;Ein gutes Leben aufbauen – auch für die Familie zu Hause: Das ist mein Traum“, sagt Tetteh.

Kein Wunder: Liegt das mittlere Nettogehalt in Ghana bei 320 Euro, rangiert schon der Lehrlingslohn in Deutschland zwischen knapp 700 und 900 Euro (3. Lehrjahr) laut Tarifvertrag deutlich höher. Später können erfahrene Feuerfestmaurer mehr als 5000 Euro im Monat verdienen, als Durchschnitt gelten 4000.

Ghanaer wollen etwas verändern Solche Träume kennt Ghana-Experte Michael Blank. Hat das afrikanische Land früher mit Gold- und Kakao-Exporten die meisten Devisen ins Land geholt, &bdquo;sind es mittlerweile Überweisungen von Verwandten“. Der Leiter der Handelskammer: &bdquo;Schauen Sie in die Augen von ghanaischen Schülern, sehen Sie den Drang, etwas zu verändern.“ Eine Chance, die sich Deutschland nicht entgehen lassen sollte. &bdquo;Junge Ghanaer mögen Mercedes und Fußball – Deutschland genießt Ansehen.“

Obwohl neue Technologien in Accra schnell Einzug halten, sei die Bevölkerung geprägt durch hohes handwerkliches Geschick. Gepaart mit kultureller Nähe (mehr als jeder zweite Ghanaer ist Christ) und dem Fachkräftemangel hierzulande gerade in handwerklichen Berufen, sei für ihn Kooperation nur logisch, betont Blank. &bdquo;Nur, dass die jungen Menschen direkt 500 Euro von ihrem Lehrlingslohn nach Ghana schicken, den Zahn ziehen wir den Familien noch in Ghana. Die Jungs müssen hier auch gut leben und Freizeit genießen, damit sie bleiben und motiviert sind“, betont Blank.

Politik und Verwaltung unterstützen &bdquo;Die Jungs sind nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Leben gekommen“, bestätigt Leonie Röpke. Denn die Ausbildung, die im ersten Jahr größtenteils im Blockunterricht im Ruhrgebiet stattfindet, ist kein Zuckerschlecken. &bdquo;Im zweiten Jahr geht es auf Baustellen – auch im Ausland“, weiß Röpke ums Abenteuer Feuerungsmaurer.

Politische Unterstützung erntet das Projekt. Lemgos Bürgermeister Markus Baier hat die Azubis samt der Influencer mit zur Stadtführung genommen. Für Lemgos Stadtoberhaupt, der auch Wirtschaftsförderer Tobias Vietz auf das Projekt angesetzt hat, passt das Pilotvorhaben astrein zu Lemgo: &bdquo;Als alte Hansestadt stehen wir zu unserer Tradition der Weltoffenheit. Das muss man auch leben.“ Von oben vorleben.

Vortrag über &bdquo;German Mittelstand“ Das ist auch Maxime bei der M-Group. So erinnert sich M-Group-Chef Röpke noch gut an seine erste Kontaktaufnahme mit Ghana, &bdquo;einem tollen, aber einfachen Land“. Durch den Kontakt zu AHK-Chef Blank war Röpke eingeladen, in Accra einen Vortrag über den &bdquo;German Mittelstand“ zu halten.

Er sprach vor 3000 Ghanaern über die M-Group, den Maurer-Job, das Leben in Lemgo und Deutschland. &bdquo;3000 Menschen hingen an meinen Lippen“, erinnert sich der Lemgoer. Nachdem er am Ende war, wurde Röpke von Hunderten jungen Menschen umringt, die ihm und Stefan Sasse ihre Bewerbung vorbringen wollten – zur Not mündlich. Sicherheitsleute führten Röpke und Sasse hinaus.

&bdquo;Herzen der Menschen gewinnen“ Während sich Großkonzerne schwertäten, solche eine Herausforderung in ihre oft starren Strukturen zu pressen, hatte es bei Röpke klick gemacht. &bdquo;Wir können nicht nur das Interesse, sondern auch die Herzen dieser Menschen gewinnen und so eine Fachkräfte-Lücke schließen“, sagte er sich. Wo ginge das besser als bei der M-Group, global tätig, aber aus der Provinz. Mit der Familie in der Chefetage, mit überschaubaren Strukturen und einer flachen Hierarchie.

Scheitern könnte das Pilotprojekt an den privaten Umständen, der Wohnsituation, fehlenden Freundschaften und Anschluss ans gesellschaftliche Leben ... vielleicht auch an Liebeskummer. Umso mehr Unterstützung aber bekommen die Neu-Lemgoer vom SES, Familie Röpke, der M-Group-Belegschaft und den Partner- und Praktikumsbetrieben, von der Stadt, auch von Bürgermeister Mario Hecker aus Kalletal, der mit seiner Gemeinde eine Klimapartnerschaft nach Ghana pflegt und 2024 das &bdquo;World Urban Forum“ dort besucht hatte ... Je mehr mitziehen, desto besser. Dessen sind sich Klaus und Leonie Röpke sicher.

140 Euro für Handyrechnung einbehalten Werbung für Deutschland seien das Willkommen der Jungs in Deutschland und das Grillfest bei hochsommerlichen Temperaturen (38 Grad waren für Maxwell Dumenyo &bdquo;endlich mal gutes Wetter“) gewesen, so die Einschätzung von Fachmann Blank. &bdquo;Nach der Rückkehr werden die Influencer in Ghana positiv berichten und Werbung machen.“

Nur einen Fehler dürfe man nicht machen: bei allem persönlichen Einsatz den Samariter zu spielen, sagt Leonie Röpke. So bezahlen die fünf Azubis aus Ghana normal Miete an die Möller-Group für ihren Schlafplatz und die WG sowie Wasser und Strom. Auch das Fitnessstudio, Bahnfahrten und Einkäufe gehen von den Konten. &bdquo;Als einer der Jungs trotz Warnung über das Mobilnetz nach Ghana telefoniert hat, haben wir ihm die 140 Euro abgezogen“, sagt Leonie Röpke.

Wie war das bei den Expert-Senioren? Integration ist keine Einbahnstraße. Und wo’s Gegenverkehr gibt, blendet der auch auf, wenn’s kritisch wird.

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