Wie der Prozess gegen eine Detmolder Anwältin das ganze Betreuungssystem infrage stellt

Detmold. &bdquo;Das ist die Gier“, dieser Satz fällt häufig, wenn es um das vermutete Motiv einer Detmolder Rechtsanwältin geht, die sich seit Monaten vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts verantwortet. Die 59-jährige Juristin, die vorrangig als gesetzliche Betreuerin tätig war, soll ausgerechnet die Menschen finanziell ausgebeutet haben, um die sie sich hätte kümmern sollen. Ein Fall, der das System infrage stellt.

Im Kern wirft die Staatsanwaltschaft Detmold der Anwältin erwerbsmäßigen Betrug sowie Untreue in 38 Fällen vor. Der reale Sachschaden liegt bei etwa 65.000 Euro. Mit einem Urteil ist erst Ende September zu rechnen - nach fast einjähriger Beweisaufnahme. Je weiter der Prozess voranschreitet, desto mehr drängt sich eine entscheidende Frage auf: Wie kann Missbrauch innerhalb gesetzlicher Betreuungen überhaupt gelingen? Und weshalb greifen die verfügbaren Kontrollinstanzen nicht? Ein Erklärungsversuch.

Eins vorab: Solange die angeklagte Anwältin nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt die Unschuldsvermutung. Trotzdem deuten die Anklagevorwürfe dieses konkreten Falls auf Schwachstellen im System hin. Einige Lücken offenbarten sich ganz nebenbei durch Zeugenaussagen im Gerichtssaal.

Wie konnte das passieren? Ein Blick ins System Fakt ist: Für jedes Betreuungsverfahren gibt es zuständige Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, die Rechnungen prüfen und größere Rechtsgeschäfte - zum Beispiel Eigentumsverkäufe - genehmigen müssen, heißt es vom Amtsgericht Detmold. Hier ist jede Planstelle für rund 900 betreute Menschen zuständig. Insgesamt gibt es 6500 Menschen, die in Lippe betreut werden. Aber wo waren die Kontrollinstanzen, als es darauf ankam?

Amtsgerichtsdirektor Michael Wölfinger hat keinen Zweifel am System, kommt aber zu einer bitteren Erkenntnis. &bdquo;Da, wo kriminelle Energie vorhanden ist, gibt es in nahezu jedem Bereich Möglichkeiten, eine gewisse Zeit unentdeckt zu bleiben.“ Selbst in einem videoüberwachten und mit Ladendetektiv ausgestatteten Supermarkt sei dies der Fall. Da es im Betreuungsrecht aber um Menschen gehe, die aus unterschiedlichsten Gründen auf Hilfe angewiesen wären, sei hier ein Betrug besonders tragisch - und verwerflich.

Das System sei deshalb stark reglementiert. Laut Wölfinger sind Betreuerinnen und Betreuer verpflichtet, einen Jahresbericht abzugeben. Der müsse eine Übersicht über die Eingaben und Ausgaben sowie entsprechende Belege enthalten, damit die Rechnungslegung am Ende vollständig sei. All das werde jährlich geprüft - zumindest formell.

Kontrolle stößt an Grenzen Nur die inhaltliche Kontrolle stößt offenbar an Grenzen. Beim Betreuungsgericht in Lemgo war beispielsweise zunächst nicht aufgefallen, dass der gesondert verfolgte Ehemann der angeklagten Anwältin eine Handwerksrechnung gleich zweimal eingereicht hatte. Dazu hatte ein Lemgoer Rechtspfleger im Prozess ausgesagt.

Wie kann das passieren? &bdquo; Handwerkerrechnungen, die mit der Rechnungslegung der Betreuer vorgelegt werden, werden nur begrenzt inhaltlich geprüft“, teilt Lemgos Amtsgerichtsdirektorin Petra Borgschulte mit. Die zuständigen Rechtspfleger kontrollierten ausschließlich, ob der vom Betreuer gezahlte Betrag der Rechnung entspreche und ob die Tätigkeit sich auf das Haus oder die Wohnung des Betreuten beziehe.

&bdquo;Dagegen wird nicht geprüft, ob die Handwerkertätigkeit auch wirklich erforderlich war und tatsächlich erbracht wurde“, erklärt Borgschulte. &bdquo;Eine solche Prüfung ist durch die Rechtspfleger schlechterdings nicht möglich, da sie dann sämtliche Handwerkerleistungen vor Ort prüfen müssten.“ In dem konkreten Fall seien die Beträge auf zwei Jahre, also zwei Rechnungslegungen, verteilt gewesen und von zwei unterschiedlichen Rechtspflegern durchgesehen worden. Deshalb sei der Fehler nicht aufgefallen.

Missbrauch in der Anfangsphase möglich Dieses Beispiel ist speziell, es gibt aber auch offensichtliche Schwachstellen, die Missbrauch begünstigen. &bdquo;Dazu zählt die Anfangsphase einer Betreuung“, gibt Detmolds Amtsgerichtsdirektor Michael Wölfinger zu. Wenn das Gericht einen gesetzlichen Betreuer oder eine Betreuerin einsetze, müsse der- oder diejenige ein Vermögensverzeichnis der betreuten Person erstellen. &bdquo;Was darin nicht auftaucht, von dem hat das Betreuungsgericht natürlich keine Kenntnis“, sagt der Amtsgerichtsdirektor.

Diese Situation biete die Möglichkeit, Sparbücher, goldene Uhren, Bargeld oder Testamente aus dem Haus verschwinden zu lassen. Von Letzterem sei man nie ganz gefeit, insofern der letzte Wille nicht an offizieller Stelle hinterlegt sei. Auch Familienangehörige könnten Testamente nach dem Tod wegschmeißen. &bdquo;Wer wirklich möchte, dass etwas umgesetzt wird, für den wäre es ein guter Weg, das Testament bei Gericht zu hinterlegen.“

Richter Michael Wölfinger war persönlich aufgefallen, dass die Unterschrift auf einem von der Anwältin eingereichten Testament gefälscht sein könnte. I nzwischen wird diese These durch ein LKA-Gutachten gestützt. &bdquo;Mein Argwohn war, dass einzelne Schriftzüge nicht zu der Unterschrift einer Seniorin passten“, erklärt Wölfinger. Die Buchstaben seien zu rund und geschwungen gewesen.

Ein möglicherweise gefälschtes Dokument direkt zu erkennen, sei Glückssache, da man oft keine Vergleichsunterschriften zur Hand habe. Seit dem 1. Januar 2023 dürfen Berufsbetreuerinnen und -betreuer laut Gesetz sowieso keine Erbschaften mehr annehmen. Dies soll verhindern, dass Betreuer ihre Position ausnutzen, um sich selbst zu bereichern. Angegebene Sparbücher würden eh mit einem Sperrvermerk versehen.

Als weiteren Kontrollmechanismus sieht das System vor, dass Betreuerinnen und Betreuer den Verkehr bargeldlos abwickeln müssen. &bdquo;Wenn Betreute Bargeld wollen, muss das quittiert werden“, sagt Wölfinger. Im Fall der angeklagten Anwältin stritt ein Senior ab, regelmäßig hohe Bargeldbeträge erhalten, geschweige denn Quittungen dafür unterschrieben zu haben.

Vollmachten als &bdquo;Einfallstor für Betrug“ Besonders gefährlich aber könne es werden, wenn die Kontrolle nicht mehr Aufgabe des Gerichtes sei, erklärt Oberstaatsanwalt Christopher Imig, der das Ermittlungsverfahren gegen die Anwältin seit mehr als zwei Jahren leitet. Vier Geschädigte sollen der Angeklagten letztendlich eine umfassende Vollmacht ausgestellt haben. Daher sei die Anwältin weiterhin zuständig gewesen, aber nicht mehr unter dem Radar des Gerichtes gelaufen. &bdquo;Vollmachten sind ein Einfalltor für möglichen Betrug”, sagt Imig.

Ein Tatvorwurf soll dagegen innerhalb eines klassischen Betreuungsverhältnisses passiert sein, bei dem das Amtsgerichts Detmold als kontrollierende Instanz zwischengeschaltet war. Dem Vorwurf nach trat eine von der Anwältin betreute Seniorin ihre Eigentumswohnung für einen Spottpreis an deren parallel vor Gericht stehende Kanzlei-Mitarbeiterin ab. Die alte Frau soll mit einer viel zu niedrigen Wertermittlung getäuscht worden sein. Warum fiel der Fall nicht bei Gericht auf, obwohl solche größeren Geldgeschäfte genehmigt werden müssen?

Laut Wölfinger kümmerte die Seniorin sich im Juli 2021 selbst um den Kaufvertrag - das sei in Ordnung gewesen, da sie geschäftsfähig war. Betreute haben diese Freiheit generell, sie birgt aber Risiken. Der Verkauf des Eigentums sei erst beim Schlussbericht der Betreuung Ende September 2021 aufgefallen.

Über den niedrigen Verkaufspreis von 82.500 Euro sei damals niemand - auch nicht der Notar - gestolpert, sagt Wölfinger, weil die Höhe nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen sei. Laut Gutachten eines Diplom-Ingenieurs ist die besagte Wohnung rund 124.772 Euro wert gewesen.

Zwei Juristen fallen in Lippe strafrechtlich auf Zuletzt hatten im Kreis Lippe zwei Rechtsanwälte in Sachen Betreuungen negative Schlagzeilen gemacht. Neben dem aktuell laufenden Verfahren gegen eine Detmolder Juristin stand im Sommer 2024 ein Lemgoer Anwalt ebenfalls vor Gericht, der sich wegen seiner Drogensucht einen mittleren fünfstelligen Betrag von seinen Betreuten eingesteckt hatte. Das Amtsgericht Lemgo verurteilte den Mann wegen Untreue zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe.

Dass ausgerechnet zwei Juristen in desem Kontext strafrechtlich aufgefallen sind, sieht Oberstaatsanwalt Imig nicht als Muster an. Trotz eines möglichen Vertrauensvorschusses für Anwälte seien ja gerade diese Fälle aufgefallen und vor Gericht gelandet, wohingegen ehrenamtliche Betreuungen im privaten Bereich schwerer zu greifen seien.

&bdquo;Gerade bei den Berufsbetreuern gehe ich davon aus, dass die meisten das redlich machen“, sagt Imig. Jedoch gebe es eben keine Garantie. &bdquo;Da, wo jemand kriminelle Energie hat, kann man das System umgehen.“ Gerade mit Blick auf das zu erstellende Vermögensverzeichnis sei ein Vier-Augen-Prinzip daher sinnvoll.

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