Leopoldshöhe-Asemissen. Im Anhänger wird rege diskutiert. Gack, gack, gack, ab und zu wird es kreischiger. Sie kommen aus der Freilandhaltung, aber haben zum guten Teil das freie Land noch nie gesehen. Für 66 ausgemusterte Legehennen soll sich das ändern, ihre „Rente“ werden sie in ausgesuchten Privathaushalten bekommen. Oder fast, denn fünf von ihnen landen im Knast. Der Verein „Rettet das Huhn“ hat den Tieren ein zweites Leben geschenkt. Es ist früh am Morgen, der Anhänger steht in der Einfahrt von Daniela Tesch. Im Hintergrund sieht man einen großen Garten. Ein stattlicher Hahn stolziert übers Grün und kräht, Hennen laufen um ihn herum. Es gibt Unterstände, viel Grün, einen Weg in den sicheren Steinstall - ein idyllisches Bild. Und eines, das mit vielen Hühnerhaltungen nicht übereinstimmt. Massentierhaltung, Nutztier, Eierproduzent - aus Sicht des Vereins ist es eine industrielle Abfertigung, die nur ein Ende kennt: den Schlachttod, das Schreddern und die Verarbeitung zu Tierfutter. Was nicht mehr so viel legen kann, wirtschaftlich unrentabel wird, werde nach 15 bis 18 Monaten aussortiert. Der Tierbestand wird ausgetauscht. Das ist die Ausgangslage, die der Verein in einem Punkt verändert: Er kümmert sich um die Hühner am Ende dieser Produktionskette. Aber auch um die, die aus schlechter Privathaltung kommen. „Da werden Küken auf großen Märkten gekauft, aber nicht darüber nachgedacht, was die Tiere eigentlich brauchen.“ Am Sonntag werden 850 Hühner und 9 Gockel aus einem Legebetrieb in Braunschweig abgeholt und auf 18 Stationen von „Rettet das Huhn“ verteilt. In Leopoldshöhe sind 66 Hennen angekommen, Daniela Tesch hat den Überblick über das, was auf den ersten Blick chaotisch aussieht. Denn bereits im Vorfeld haben sich die angemeldet, die Hühner übernehmen wollen, und sie treffen fast alle zeitgleich ein. Abgabe nur mit Schutzvertrag „Wir können so den schnellen Weitertransport in ihr neues Zuhause sichern“, sagt Tesch und setzt einen Haken hinter einen Namen. Der Schutzvertrag ist unterschrieben: Zwei weiße und zwei braune Hühner werden in kleinen Trageboxen zum Auto gebracht, ihre neue Heimat wird in Paderborn sein. Der Nächste bitte: „Wie viel braune Hühner haben Sie? Wie viele weiße Hühner?“ - diese Fragen stellt Daniela Tesch wiederholt. „Es ist wichtig, die Gruppendynamik zu beachten. Hat man von einer Farbe deutlich mehr Hühner, dann kann es sein, dass die andersfarbigen ausgegrenzt werden. Darum achten wir immer auf ein ausgewogenes Verhältnis und beraten unsere Adoptiv-Partner entsprechend.“ Dass diese auch wirklich ein tiergerechtes Weiterleben garantieren können, werde vorab überprüft. Auch im Nachhinein ist der Verein Ansprechpartner, wenn die Adoptanten Fragen haben. Die Anforderungen sind nicht gerade klein: Hühner brauchen Auslauf, Platz zum Scharren, Unterstände, frisches Wasser und Futter. Ein trockener, sauberer und zugluftfreier Stall, mit erhöhten Sitzmöglichkeiten und geschützten Legenestern ist Pflicht. Der Stall muss bei Nacht sicher zu verschließen sein und Schutz vor Marder, Waschbär und Fuchs bieten. Der Auslauf muss großzügig bemessen und ebenfalls gesichert sein. Verein kritisiert jede Massentierhaltung Eine artgerechte Gruppe habe mindestens 3 und maximal 30 Tiere. „Es gibt Rangordnungen. Allerdings ist das in Massentierhaltungen gar nicht so möglich, es fehlt an Platz.“ Und was ist mit den unterschiedlichen Haltungsformen? „Aus der Bodenhaltung kommen unsere nackigsten Hühner, sie picken sich gegenseitig, weil sie Stress und keine Ausweichmöglichkeiten haben. Alle sind dicht gedrängt beieinander, was nicht ihrer Natur entspricht.“ Und was nackig ist, das bekommt einen Body bei der Übergabe dazu. Ein Stapel mit den kleinen Anzügen liegt auf einem Tisch, weniger das modische Muster als vielmehr der gesundheitliche Aspekt steht im Mittelpunkt: „Wenn die Hennen keine Federn haben, kann ein Hahn sie mit seinem Sporn verletzen. Der Body schützt die Haut“, erklärt die Asemisserin. Die Hühner, die am Sonntag verteilt werden, kommen aus einer Freilandhaltung. Klingt gut, aber auch diese Hühner haben nackte Stellen, einige sehr blasse Kämme. „Das war wenig an der frischen Luft“, sagt Helferin Bianca Wiechmann, die gemeinsam mit Lennard Beiderwieden die Hühner aus den Sammelkisten in die kleineren Transportbehälter umsetzt. Daniela Tesch ergänzt: „Die Türen nach draußen sind oft sehr klein, und wenn es drinnen sehr eng ist, finden einige Hühner den Ausgang nicht und bleiben drin.“ Auf kleiner Fläche Der Verein hat Fotos aus Ställen und zeigt, wie in der Landwirtschaft die Möglichkeit zum Scharren in einem Stall aussehen kann. Ein Foto zeigt einen schmalen Streifen mit Erde in einem Stall. Und Bio? „Die haben etwas mehr Platz, aber auch das ist Massentierhaltung.“ Dann das Hühnermobil? „Da wird teilweise nachts das Licht angemacht, damit die früher anfangen zu legen. Und sie sitzen eingepfercht nachts auf kleiner Fläche“, sagt Wiechmann. Klar ist: Die Tierschützer sehen die Massentierhaltung grundsätzlich kritisch - sie sehen auch, dass es noch schlechter geht. „Kaufen Sie keine industriell gefertigten Eiernudeln mehr, die Eier werden im Ausland billigst produziert. Da gibt es keine Vorgaben und keine Kontrollen“, sagt Tesch. Was aber soll der Verbraucher dann tun? Nicht jeder kann oder will auch Hühner halten oder auf Eier verzichten. Die Asemisserin rät, wenn es eben geht, sich ein Bild von den Haltungsbedingungen zu machen und vor Ort zu kaufen. Bei den Tierschützern, die die ausgedienten Legehennen aufnehmen, ist das kein Thema. Man sieht schon an den Transportboxen, dass es die Hennen gut haben sollen. Streu, Heu und Wasser gibt es, der ein oder andere hat auch eine Dose Mais dabei - vielleicht hilft der Snack, den Stress besser auszuhalten. Körnerfutter kennen die Hennen nicht Wobei diese Hybridhühner nur Legemehl kennen. „Das ist auch nicht einfach möglich, das Futter umzustellen. Körner kennen sie nicht. Das verkraften die gar nicht mehr.“ Denn am Ende ihrer Wirtschaftsleistung, dem ständigen Eierlegen, seien die Tiere ausgelaugt. Knochenbrüche seien keine Seltenheit. Und so ist es auch bei dieser Tierrettung: Einige werden gleich nach Gütersloh zu Tierärztin Dana Ströse gebracht, die den Verein ehrenamtlich unterstützt. Wie sich das rechnet? Der Transport kostet Geld, denn der Deal ist, dass die Betriebe, die die Hennen abgeben, nichts zahlen. Außerdem bleiben sie anonym. „Für sie ist es eine Alternative, die Legehennen an uns abzugeben, denn das Schlachten kostet Geld und rechnet sich für kleinere Betriebe und Haltungen unter 1000 Tieren nicht“, erklärt Tesch. Der Verein ist auf Spenden angewiesen und ist deshalb dankbar, dass das Autohaus Markötter das Auto gestellt hat, mit dem der Anhänger nach Asemissen gekommen ist. Mit Spenden finanziert Die Adoptanten können, aber müssen nichts spenden - die Box füllt sich dennoch stetig. Die Motivation zu helfen und den Hennen ein schöneres Leben zu geben, haben alle. Die Hennen wiederum sind nicht alle gleich bereit - „Au“ tönt es ebenfalls ab und an vom Wagen, denn vor allem die weißen Hühner sind durchaus wehrhaft und picken, wenn Lennard Beiderwieden und Bianca Wiechmann sie aus den weißen Transportkisten holen. Doch es hilft nichts, da müssen sie durch, damit es besser werden kann. Und diesmal haben 5 Hennen eine besondere Zusatzaufgabe, sie sind Teil eines Gefangenenprojekts. Nicole Wersin leitet die JVA Hövelhof und dort wird es 10 Insassinnen mehr geben, allerdings mit durchaus mehr Freiheiten. In der Justizvollzugsanstalt sei ein Gehege für zehn Hennen angelegt worden, die Gefangenen übernehmen die Verantwortung. Pädagogin Stefanie Schrör hat das Projekt konzipiert und begleitet es. In Asemissen werden fünf Hühner eingeladen, die anderen fünf warten schon: Sie kommen aus dem Tierheim Paderborn. In der Warteschlange steht auch Felix Vogler, der mit seiner Partnerin in Barntrup lebt und wie man auf seinem T-Shirt sieht, ein Herz für Hühner hat. Erst habe er mit Grünlegern angefangen, jetzt sollen es auch „befreite“ Legehennen gut haben. Ob sie Eier lieferten, sei weniger wichtig. „Wir haben Platz und es macht uns Spaß, die zu beobachten.“ So geht es der Reihe nach weiter. Zum Schluss sind vier braune und elf weiße Hühner noch übrig, aber auch sie sind schon vergeben. Ihre künftigen Gastgeber verspäten sich etwas. „Die kommen ganz sicher, die adoptieren nicht zum ersten Mal Hühner von uns“, sagt Daniela Tesch, die selbst 2014 die ersten Hühner von „Rettet das Huhn“ übernommen hat. Die Liebe zum Federvieh hat sich schnell vermehrt: Aus den ersten drei wurden 20 Hühner. Als eine stattliche Norwegische Waldkatze am Anhänger vorbeischleicht, drängt sich die Frage auf, wie das denn alles im Hühnerparadies in Asemissen so zusammengeht. „Das ist kein Problem. Wenn die Hühner einmal mit den Flügeln schlagen, dann rennt die Katze weg“, sagt Tesch lachend. Seit 2017 kümmert sich die Tierschützerin um die Vermittlung, beantwortet zig Mails und koordiniert mit fünf Helfern die Rettungsaktion für ihre Verteilstation. An diesem Sonntag haben sie aus 66 Hybrid-Hochleistungs-Legehennen einfach nur Hennen gemacht. Im Schnitt, so Tesch, leben sie noch zwei Jahre, diesmal in kleiner Gruppe, mit Auslauf, im Grünen. Wobei es durchaus auch andere Zahlen gibt. „Ich habe eine Henne, die ich damals übernommen habe, die mittlerweile neun Jahre alt ist.“ Der Verein „Rettet das Huhn“ Den Verein „Rettet das Huhn“ gibt es seit 10 Jahren. Insgesamt 150.269 Hühner wurden laut Angaben des Vereins in dieser Zeit gerettet. Zuletzt fand die Aktion in Niedersachsen statt. Zwölf Transporte machten sich auf den Weg zu 18 Übergabeorten, einer davon war in Asemissen. Ein Team aus 49 Helferinnen und Helfern war im Einsatz, 218 Adoptiv-Familien haben Legehennen oder einen der 9 ebenfalls geretteten Gockel aufgenommen. Der Verein schildert auf seiner Webseite dezidiert die Zustände in einigen Legebetrieben, setzt sich aber auch mit Kritik an den Rettungsaktionen auseinander. Mehr Infos unter https://www.rettet-das-huhn.de/stellungnahme