Nach zehn Jahren im Amt: Was Axel Lehmann über seine Zeit als Landrat in Lippe denkt

Kreis Lippe. Die schweren Verbrechen an Kindern in Lügde, die Corona-Pandemie, die Finanzkrise, der Überfall Russlands auf die Ukraine und mit Tausenden geflüchteten Menschen, die in Lippe willkommen geheißen und untergebracht werden mussten, zum Schluss die Herausforderungen durch die Krankenhaus-Krise ... Seine Amtszeit als Landrat Lippes hätte wahrlich von etwas weniger Arbeit im Krisenmodus begleitet werden dürfen. Oder nicht, Herr Dr. Axel Lehmann? &bdquo;Es stimmt schon, i ch musste oft mehr reagieren als ich agieren konnte“ , sagt er und teilt die zehn Jahre in vor (Campingplatz-Verbrechen) und nach 2019 auf. Lügde in seiner ersten Amtszeit, die schrecklichen Schicksale der Kinder, das Versagen einiger Behörden habe ihn emotional sehr mitgenommen. Aber: &bdquo;Wir haben doch einiges auf den Weg gebracht. Allein die Regionale-Projekte...“ Doch dazu später mehr.

&bdquo;Ich habe mich nie vereinnahmen lassen“

Krisenmodus hin oder her, da sitzt ein zufrieden wirkender, gut gelaunter Landrat am Tisch, mit sich im Reinen. Klar, das Amt präge die Person, sagt er und betrachtet den 48-jährigen Axel Lehmann auf dem Siegerfoto-Bild in der LZ-Ausgabe des 28. September 2015, mit deutlich weniger grauen Haaren, glücklich ins Radio-Lippe-Mikro sprechend. Voller Freude, mit strahlenden Augen. Haben Sie an Lockerheit verloren, sich verändert? &bdquo;Das mögen andere entscheiden“, sagt der 58-Jährige. Er habe sich zumindest von niemandem vereinnahmen lassen, von seiner SPD nicht und von anderen auch nicht - diesem Vorsatz sei er treu geblieben. An der ein oder anderen Stelle, etwa bei Sitzungsleitungen, sei er lockerer geworden. Aber die Krisen der vergangenen Jahre zollten ihren Tribut. Er habe eben keinen Nine-to-five-Job gehabt. &bdquo;Das ein oder andere graue Haar ist nicht auf den natürlichen Alterungsprozess zurückzuführen“, sagt er und lacht herzlich. Um sogleich wieder ernst zu werden, die hohen Belastungen anzusprechen, eine Morddrohung in Corona-Zeiten: &bdquo;Das dann locker zu nehmen, ist manchmal schwierig.“

Zu entscheiden, nicht wieder antreten zu wollen, sei ihm nicht leicht gefallen, sagt er: Die Betonung liege auf wollen : Es war sein Entschluss, geschuldet der Krebs-OP im vergangenen Jahr. Er hat sie gut überstanden, fühlt sich fit und gesund: &bdquo;Aber wer weiß schon, ob da nicht etwas wiederkommt. Ich hätte nicht sicher sein können - so ich wiedergewählt worden wäre -, die nächsten fünf Jahre das Amt so wahrnehmen zu können, wie es sein muss.“ Also lautete der Beschluss: Nein.

Uni-Klinik ist der richtige Weg

Aber noch ist er Landrat, und wie sehr er Landrat ist, wird beim Thema Klinikum klar - dass dieses Abschlussgespräch prägen wird wie kein weiteres, obgleich Lehmann bei einer zufälligen Begegnung ein paar Tage zuvor schon geunkt hatte: &bdquo;Aber nicht, dass wir nur über das Krankenhaus sprechen ...“ War da ein wenig die Sorge herauszuhören, dass die achteinhalb Jahre vor der Klinik-Krise verloren gehen könnten, ist er von dem Thema genervt? &bdquo;Na ja“, sagt er, &bdquo;manchmal glaube ich schon, dass ich einfach nicht gehört wurde ...“ Er liest einen Satz aus dem LZ-Portrait vor, das vor seiner zweiten Kandidatur im August 2020 erschienen war und das der LZ-Redakteur ihm mitgebracht hatte: &bdquo;Über dem Krankenhaus kreisen die Kräne“, steht da, und ja, sie sind gekreist, sagt er. &bdquo;Es ist gut, dass wir das Kreiskrankenhaus auf die Schiene Uni-Klinik gestellt haben. Es hilft nur, auf Qualität zu setzen, wenn wir das Krankenhaus erhalten wollen. Aber es ist mir offenkundig leider nicht gelungen, das so ’rüberzubringen, die Mitarbeiter mitzunehmen und ebenso wenig, zu verdeutlichen, dass alle Lipper künftig besser versorgt werden, auch Lemgoer und Nordlipper.“

In ein paar Jahren gelte es, Bilanz zu ziehen. Sind die Um- und Neubauten fertig? Die Professorenstellen besetzt, die Studenten da? Der Landrat ist stolz, dass das Haus in Detmold nach weiteren anstehenden Umbauten die höchste Notfallstufe erlangen wird, das Klinikum Onkologisches Spitzenzentrum werden soll und mehr: &bdquo;Die Weichen sind gestellt - auch dafür, dass der ein oder andere Student nach dem Studium hierbleibt. Wir haben 50 freie Hausarztplätze in Lippe“.

Kommunikation hätte besser sein können

Lehmann will keinesfalls alles schönreden. Dass es Gegenwind gab und gibt, &bdquo;mit dem man anders hätte umgehen müssen“, dass die Lemgoer und viele Nordlipper sich um die Notfallaufnahme in ihrem Krankenhaus sorgen, sich benachteiligt fühlen - ja, das verstehe er. Und ja, das hätten er und die damalige Krankenhausspitze anders kommunizieren können/müssen. Er fragt aber auch: &bdquo;Was hätte das gebracht? In 16 Räten Lippes die Entscheidungen zu erklären, hätte die Debatte nicht beruhigt, sondern aufgeheizt. Ich bin aber überzeugt: Das ist die beste Lösung für ganz Lippe. Es konnte nicht so bleiben, wie es ist.“

Und: Spitzenmedizin auf Uniklinik-Niveau bringe Einnahmen: &bdquo;Es kann ja nicht ewig so weitergehen, dass der Kreis wie in diesem Jahr 35 Millionen Euro zuschießt. Das Haus in öffentlicher Hand zu halten, geht nur so“, sagt er, mittlerweile voll auf Betriebstemperatur und plötzlich gar nicht mehr so entspannt wirkend. Das ganze Thema fasst ihn merklich emotional an (&bdquo;das gebe ich gern zu“), doch er habe diese Meinung immer vertreten. Und noch eines will er sagen: Dass die Staatsanwaltschaft Bielefeld im Zusammenhang mit Bauvorhaben am Klinikum nun doch wieder ermittelt, wundere ihn - nichtsdestotrotz habe der Kreistag entschieden, dass die Revision des Kreises die Vergaben von 2016 bis heute noch einmal anschaut. &bdquo;Ich lasse mir nicht nachsagen, da etwas verschlampt zu haben.“

Vieles ist geschafft

Aber genug des Klinikthemas. Zurück zu einem wieder ganz zufriedenen Axel Lehmann, der seine Kreishausverwaltung in Schutz nimmt, die ewige Kritik an der oft langen Dauer bis zur Kfz-Zulassung oder bis zur Baugenehmigung kennt er. &bdquo;Aber niemand fragt nach den Gründen. &bdquo; In der Baubehörde waren wegen Langzeiterkrankung und Elternzeit über viele Monate nur vier von elf Stellen besetzt. Die haben gekeult ohne Ende. Da geht eine Baugenehmigung nicht immer binnen sechs Wochen.“Da geht eine Baugenehmigung nicht binnen sechs Wochen.“ Wie bei Baugenehmigungen sei die Digitalisierung allerorten unbedingt weiter auszubauen. &bdquo;Auch weil wir keine Fachleute mehr finden.“

Ein Rückblick auf das, was er sich vorgenommen hatte. Thema Schnellbuslinien: Sie sind eingeführt zwischen Lemgo über Blomberg und Lügde nach Bad Pyrmont, eine von Detmold nach Lemgo, die bis Kalletal erweitert wird. &bdquo;Grade im Mobilitätsbereich haben wir gepunktet, auch die LiMo ist ein Erfolgsmodell. Was aus den Monocabs wird, werden wir sehen, der Umstieg auf E-Antriebe läuft.“

Thema Fachstelle Kinderschutz: &bdquo;Die haben wir geschaffen, ebenso den Ort der Kinderrechte in Blomberg.“ Der war ihm immer ein besonderes Anliegen. Der Ort an sich, die digitalen Angebote: &bdquo;Das ist eine Erfolgsgeschichte, die dazu dient, die Kinder zu stärken.“ Der Ort werde gut angenommen, von Gruppen, von Familien. Lehmann hätte ihn gern noch weiter ausgebaut. &bdquo;Doch dafür fehlt im Moment echt das Geld.“

Die Kassen sind leer

&bdquo;Kein Geld da“: Auch eine treffende Zustandsbeschreibung der vergangenen Jahre, ein Thema, das nicht fehlen darf. Haben Sie den Mangel verwaltet? &bdquo;Das ist wohl so. Wir brauchen mehr Unterstützung vom Land und vom Bund Die Kosten beispielsweise etwa in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen explodieren.“ 2024 habe der Kreis jeden zweiten Euro der Kreisumlage an den Landschaftsverband in Münster überwiesen. &bdquo;Aber auch der kann es nicht richten.“ Dass Kommunen und Kreis sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuschöben, helfe niemandem. Von Kreispolitik und Bürgermeistern wünsche er sich mehr Verständnis dafür, dass der Kreishaushalt zu 96 Prozent von Pflichtaufgaben geprägt sei, Ausgaben zu minieren sei kaum noch möglich. &bdquo;Und wenn wir die Unterstützung fürs Landestheater kappen - mit fünf Millionen Euro größter Block der freiwilligen Leistungen - ist das Theater Geschichte.“

Insgesamt habe Lippe seit 2015 einen deutlichen Schritt nach vorn getan - und damit kommen wir auf die Regionale zurück, auf die man gemeinsam mit TH, IHK und anderen vorbereitet gewesen sei und ohne die es beispielsweise keinen &bdquo;InnoSpin“ in Lemgo gebe, keine LiMo und keine Klimaerlebniswelt in Oerlinghausen. Lehmann erinnert an den Schwung durch den Deutschen Wandertag 2018, die Zertifizierung als Qualitätsregion, den Ausbau des Breitbands gemeinsam mit Detmold. &bdquo;Wir haben 500 Kilometer Breitband verlegt.“ Es sei ziemlich frustrierend, dass das so lange dauert, weil Private vorrangig ausbauen dürften. &bdquo;Das ist aber Daseinsvorsorge und sollte nicht dem freien Spiel des Marktes überlassen sein. Da bin ich Sozialdemokrat.“

Eine der besten Gesellschaften der Welt

Und eines liege ihm noch am Herzen zu sagen: &bdquo;Weitere graue Haare beschert mir der demografische Wandel: Er bedroht Wirtschaft und demokratische Gesellschaft. Für 100 Leute, die den Arbeitsmarkt verlassen, rücken 66 nach, oft mit weniger Stunden.“ Das führe zu weniger Dienstleistungen und weniger Produktion. &bdquo;Die Erwartungshaltung der Bürger bleibt aber so, wie sie ist. Da rasen also zwei Züge aufeinander, die die demokratische Gesellschaft verändern werden, weil Erwartungen nicht mehr erfüllt werden können. Das wird dann auf den Staat geschoben.“ Dazu kämen sinkende Kompromissbereitschaft und kürzere Zündschnüre allerorten. &bdquo;Das treibt mich sehr um und macht mir auch große Sorge. Wir sollten stolz darauf sein, in einer der besten Gesellschaften der Welt zu leben.“

Ist er auch angesichts solcher eher düsteren Gedanken froh, den Job loszuwerden? &bdquo;Froh ist der falsche Begriff. Es war und ist die richtige Entscheidung. Aber ich gehe durchaus mit Wehmut. Das Amt hat mir Spaß gemacht, ich hab da Herzblut drin.“

Schluss mit der Politik

Nach 31 Jahren Kommunalpolitik im Detmolder Stadtrat, im Kreistag und als Landrat verlässt Sozialdemokrat Axel Lehmann die politische Bühne. Aber nicht, um nur noch Krimis zu lesen, wozu er jetzt kaum kommt: Mitte November kandidiert er für den Vorsitz des Lippischen Heimatbundes. &bdquo;Von 100 auf Null – das kann ich mir nicht vorstellen.“

Lehmann hatte 1994 als Sachkundiger Bürger im Detmolder Schulausschuss begonnen, war 26 Jahre in der Kreispolitik und 16 Jahre Abgeordneter im Westfalenparlament in Münster.

Erstmals wählten ihn die Lipper in der Stichwahl gegen Friedel Heuwinkel (CDU) im September 2015 zum Landrat, er holte damals 8000 Stimmen Rückstand auf. 2020 siegte er ebenfalls in der Stichwahl gegen Jens Gnisa (CDU) .

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