Alkohol: Weshalb der Hasselter Platz seit Jahren Menschen anzieht und sichtbar macht

Detmold. Jeder Ort hat seine Geschichte. Jeder Mensch bringt sein eigenes Päckchen mit. Schon seit Jahren gilt der Hasselter Platz am Rande der Fußgängerzone als zentraler Treffpunkt der Trinker- und Obdachlosenszene. Viele Geschäftsleute, Anlieger und Passanten nehmen die Situation mehr und mehr als Störfaktor wahr (die LZ berichtete) . Aber wer sind eigentlich die Menschen, die sich dort täglich treffen? Und warum wollen sie nicht weg? Ein Besuch.

Der Boden rund um die Skulptur am Hasselter Platz ist matschig, Schuhabdrücke zeichnen sich in der feuchten Erde ab. Als könnte niemand, der hier Halt macht, einfach so seine Spuren verwischen. Vereinzelt stehen Bierflaschen auf dem Boden, eine Flasche Korn und Rotwein geben die Männer untereinander weiter.

Zehn Personen treffen sich an diesem Nachmittag Anfang Dezember hier, nur eine Frau ist dabei. Der Himmel ist klar, die Kälte klirrend. Über der Infotafel hängt gerade ein Schlafsack zum Auslüften – er wirkt fast symbolisch wie eine Fahne der Eroberung. &bdquo;Der Ordnungsdienst sieht das eigentlich nicht gern“, sagt Nils, der in Wirklichkeit anders heißt.

Stadt räumt jeden Abend den Schlafplatz Nils ist 34 Jahre alt, sein Gesicht ist mit Tattoos übersät und fällt auf. Aus der Fellmütze auf seinem Schoß lugt eine Taube hervor. Er ist der einzige aus der Gruppe, der hier nachts campiert, auch wenn die Stadt Detmold das nicht erlaubt. Seit Mitte September ist der 34-Jährige obdachlos, sagt er, seitdem schläft er auf einer Bank. Zur Herberge zur Heimat hält er Abstand, er will sich nicht bevormunden lassen, sagt Nils, &bdquo;niemandes Klient sein und Taschengeld bekommen“.

Jeden Abend vertreibt ihn daher der Kommunale Ordnungsdienst vom Platz, jede Nacht kommt Nils wieder. &bdquo;Wo soll ich denn sonst hin? Soll ich irgendwo alleine in einer dunklen Ecke sitzen?“, fragt er, ohne eine Antwort zu wollen. Der Einsamkeit entfliehen, das scheint für viele ein Grund zu sein, sich hier zusammenzusetzen. Der Treffpunkt am Rande der Innenstadt bringt den Männern ein stückweit Sicherheit, das schwingt in den Gesprächen mit. Hier im öffentlichen Raum werden sie sichtbar, auch wenn der Großteil der Gesellschaft offenbar wünscht, sie wären es nicht. Szenen wie diese passten für viele nicht ins Stadtbild, meint Nils, aber auch Menschen wie sie gehörten zum Leben dazu.

Alkohol spielt große Rolle Hier ist der Alltag nur eben ein anderer. Fast immer ist am Hasselter Platz Alkohol im Spiel. Der Dunst legt sich nebelartig über die sonst so frische Winterluft. Leere Pfandflaschen bleiben nicht lange stehen, erklärt einer der Männer, jeder Cent ist schließlich wertvoll. An die skeptischen Blicke und vereinzelten Sprüche von Passanten habe sich die Gruppe schon lange gewöhnt. Das meiste prallt ab – oder ist ihnen einfach egal. Viel wollen sie eh nicht, nur ihre Ruhe.

&bdquo;Wir sitzen hier und trinken“, so einfach fasst es Mischa, 47 Jahre alt, zusammen. &bdquo;Mehr passiert nicht. Niemand muss Angst vor uns haben.“ Im Gegenteil: Sie würden helfen, wenn jemand sie brauche. Das Bild, was sonst oft vermittelt werde, sei dagegen verzerrt und stelle die Menschen hier in einem falschen Licht dar.

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&bdquo;Die sollen lieber mal überlegen, wie sie uns helfen können.“ Mischa selbst sieht sich als Sprachrohr seiner Jungs, er kommt seit Jahren zum Hasselter Platz, sagt er. Wenn er dabei sei, passe er auf, dass alle wieder aufräumen und sich benehmen würden. Schließlich gebe es einen Deal mit der Stadt, an den müssten sich alle halten, sonst funktioniere es nicht. Niemand von den Umstehenden widerspricht. Im Sommer habe es mal eine Person gegeben, die Stress gemacht habe, die sei verbannt worden. Inzwischen sitze derjenige im Gefängnis, heißt es. &bdquo;Sowas wollen wir hier nicht, wir wollen einfach unseren Frieden.“

Dann steuert ein junger Mann auf den Platz zu, den offenbar keiner kennt. Ob jemand etwas Gras verkaufen würde, fragt er vorsichtig, kaum vernehmbar. Für einen kurzen Moment starren ihn alle entgeistert an, als hätte er an der falschen Tür geklingelt. &bdquo;Sowas hat hier keiner, dafür muss man in den Lustgarten“, sagt Mischa. Er schüttelt den Kopf, wirkt gefrustet.

Dem 47-Jährigen scheint es wichtig zu sein, den Hasselter Platz von der Drogenszene abzugrenzen. Zwar verirrten sich manchmal auch Junkies dazu, die Gruppe wolle aber niemanden, der sich nicht unter Kontrolle habe oder randaliere. &bdquo;Die Stadt hat uns extra ein Urinal aufgestellt. Das ist doch scheiße, wenn Leute dann einfach daneben pissen.“

Leben am Rand der Gesellschaft Die unterschiedlichsten Charaktere treffen hier aufeinander. Das lässt schon ein kurzer Besuch erahnen. Auf der einen Parkbank sitzt Thomas, 49 Jahre alt, er hat sich ein Stück Pappe als Auflage organisiert, um nicht zu schnell zu frieren. Im Winter halte man es zwar eh nicht so lange aus, trotzdem treffe sich die Gruppe das ganze Jahr hier. Jeder bringe seine eigene Geschichte mit, sagt Thomas: &bdquo;Das sind genau solche Probleme, wie sie Leute haben, die hier nicht sitzen.“

Der 49-Jährige kommt jeden Tag an den Hasselter Platz, erzählt er, außer sonntags. Im Moment könne er bei Freunden schlafen, sonst wäre er obdachlos. &bdquo;Ich habe verkehrte Leute bei mir reingelassen, die haben im Drogenrausch alles kaputt gemacht.“ Deswegen habe der Vermieter ihn rausgeschmissen. Er ist nicht mehr zurückgekehrt.

Sich privat bei jemanden für ein Trinkgelage zu treffen, scheint mit Risiko verbunden. Viele wollten das nicht, erklärt Thomas. Deshalb sei der Hasselter Platz für viele der soziale Lebensmittelpunkt. Dürften sie hier nicht mehr bleiben, wären sie woanders. Aber die Gruppe möchte sich nicht einfach vertreiben lassen, nur weil einigen der Anblick nicht gefällt. Hier am Rand der Fußgängerzone nehme man noch am Leben teil, sagt Thomas, bekomme die vorbeilaufenden Passanten mit, den Puls der Stadt. Das gefalle ihm. Ab uns zu kommen bekannte Gesichter vorbei. Manche halten an, andere grüßen nur.

Gemeinschaft am Hasselter Platz Thomas sagt, wahrscheinlich würde er hier gar nicht sitzen – oder zumindest nicht so intensiv, wäre seine Partnerin nicht vor einigen Jahren plötzlich auf dem Weg zum Supermarkt umgekippt und gestorben. Sie hätte zu viele Tabletten genommen, das habe ihr Herz nicht vertragen. Er war nicht dabei, hatte Freunde zu Besuch. &bdquo;Hätte ich auf sie aufgepasst, wäre das wahrscheinlich nicht passiert.“ Sein Blick wird ernst.

Ein anderer Mann erzählt, er habe Frau und Kinder zu Hause. &bdquo;Ich komme trotzdem für ein paar Stunden und gehe dann wieder zurück“, sagt er. Während er spricht, nimmt er einen großen Schluck Rotwein direkt aus der Flasche. &bdquo;Ich fühle mich hier einfach warm und unterhalten. Es ist schön.“

Neben aller Harmonie gibt es aber auch Momente, in denen es knistert. Unvermittelt geraten zwei Männer in ein Wortgefecht. &bdquo;Fall mir nicht ins Wort“, schreit der eine. &bdquo;Hör auf, mich anzumachen“, faucht der andere zurück. Während beide streiten, bückt sich der eine bedrohlich nah zu seinem Kontrahenten herunter. Kaum ein Zentimeter Platz bleibt zwischen den Gesichtern. Keiner scheint nachgeben zu wollen, keiner wird handgreiflich. Trotzdem guckt ein Mädchen mit Schulranzen an der Ampel etwas ängstlich herüber, die Männerstimmen schallen laut über den Platz. &bdquo;Hört auf mit dem Scheiß, hier sind Kinder“, sagt Mischa. Die beiden Männer trennen sich wieder, als hätten sie kurz zurückgeholt werden müssen.

Groteske Szenen &bdquo;Manchmal gibt es Stress, aber der ist auch schnell geklärt. So ist das.“ Wo Alkohol fließt, lassen sich solche Szenen nicht ganz vermeiden. Und auch Mischa selbst scheint mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Seine Frau sitze gerade wegen vielfachen Schwarzfahrens im Gefängnis, sagt er. Ob die Geschichte stimmt, lässt sich nicht nachprüfen. Die Tränen in seinen Augen sind dagegen echt. Wenn der Staat sie nach Kroatien abschieben würde, könne er für nichts garantieren. &bdquo;Wenn man mir meine Frau wegnimmt, raste ich aus. Dann mache ich hier alles kaputt.“ Er wirkt verbittert – und traurig.

Zwischendurch driftet die Szene ins Groteske ab. Etwas abseits steht ein Mann, der sich gewaltige Staubwolken aus der Hose klopft. Mittendrin übt ein Typ in Weihnachtspyjama und Zipfelmütze Tricks auf dem Skateboard. Nichts davon wirkt bedrohlich, nur surreal. Als der Kommunale Ordnungsdienst wie üblich Streife fährt und kurz anhält, liegt wieder Anspannung in der Luft. Die Stadt hat den Kontrolldruck verschärft, die Menschen hier fühlen sich dadurch teils provoziert.

Ein Platz, ein Balanceakt Doch die Stadt kann die unerlaubten Lagerplätze nicht einfach tolerieren. Seitdem sie hier härter durchgreift und mehrfach geräumt hat, haben die Beschwerden nachgelassen, heißt es aus der Pressestelle. Dass ihr einziges Hab und Gut manchmal einfach abtransportiert wird, frustriert aber gerade die, die den Platz ihr Zuhause nennen.

Alles rund um den Hasselter Platz scheint ein Balanceakt zu sein zwischen den Menschen, die den Platz nutzen und denen, die sich von der Situation gestört fühlen. Es sei eben ein Marathon, kein Sprint, so hatte es Bürgermeister Frank Hilker formuliert. Für die Menschen auf dem Platz ist es viel mehr als das. Hier findet ihr Leben statt. Darum kehren sie jeden Tag zurück.

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