Gartenarbeit „wie Meditation“: So erschafft ein Paar aus Lage ohne Druck ein Paradies

Lage-Heiden. Dem Garten so nah: Durch das riesige Fenster im ehemaligen Einfahrtstor der Deele schweift der Blick in das satte, herbstlich-nasse Grün. Am Tisch sitzen Astrid und Bert Weigel beim Mittagessen mit einem ihrer beiden Söhne. Das eigentliche Thema des Gesprächs: &bdquo;Welche Arbeiten stehen im Herbst im Garten an“? Die Eheleute sollen als Experten Tipps geben - ihr Garten ist schließlich fast schon berühmt, wurde im &bdquo;Landlust“-Magazin gezeigt, als Teil von &bdquo;Offene Gärten Lippe“ bereits von Hunderten Besuchern erkundet. Doch schnell stellt sich heraus: Den gut 2000 Quadratmetern Naturgarten liegt mehr zugrunde als gärtnerisches Wissen. Eher eine Philosophie. Die zum Nachmachen inspirieren kann.

1. Sich etwas zutrauen.

Als die Weigels vor 15 Jahren das 1836 errichtete Wohnstallhaus in Lage-Heiden erwarben, hatten sie sich Hals über Kopf in den Garten verliebt. Selbst als &bdquo;Naturkinder“ aufgewachsen, war die Sehnsucht nach Freiraum groß, erst recht, seit die Kinder da waren. Das Haus selbst, erinnert sich Astrid Weigel, sei gar nicht so attraktiv für sie gewesen. Das Grundstück, das an den Oetternbach grenzt, dafür umso mehr. Ein wenig blauäugig seien sie gewesen, keine Frage. &bdquo;Uns war nicht bewusst, was das mit sich bringt.“

Ihr Vater, selbst Garten-erfahren, habe sie damals gewarnt: &bdquo;Ihr kauft euch Arbeit.“ Sie habe das zu dem Zeitpunkt nicht verstehen können. Heute wisse sie, was er gemeint habe. Doch ihr Mann und sie können das trotzdem nicht so ganz unterschreiben. Denn: &bdquo;Wir haben den Garten von vornherein als Herausforderung, aber auch als Paradies gesehen, das wir gestalten können - nicht müssen“, sagt Bert Weigel, Lehrer und freischaffender Künstler. Bis heute sei längst nicht jeder der insgesamt knapp 3000 Quadratmeter &bdquo;beherrscht“, wie er es nennt. Das sei auch nicht das Ziel. Wenngleich er sagt: &bdquo;Sie würden das Grundstück, wie wir es übernommen haben, heute nicht wiedererkennen.“

So standen überall meterhohe junge Bäume herum, ein beinahe undurchdringliches Dickicht mit Giersch und Brennnesseln. Die Lösung des Ehepaares: &bdquo;Jeder, der hier herkommt, muss einen Baum fällen. Das galt in der Anfangszeit für alle Freunde, die uns besucht haben.“ Das Motto, bis heute: &bdquo;Wir machen uns keinen Stress.“ Da sie, wie Bert Weigel sagt, &bdquo;jenseits jeglichen Verdachts der Spießigkeit“ agierten, könnten zum Beispiel die gerade im Herbst berühmt-berüchtigten Asthaufen ruhig einmal liegen bleiben. &bdquo;Da freuen sich die Igel“, sagt Astrid Weigel, die Innenarchitektin. Ihr Rat nach 15 Jahren mit einem riesigen Garten: &bdquo;Ich möchte Mut machen, es sich einfach zuzutrauen.“ Ihr Mann pflichtet ihr bei: &bdquo;Learning by Doing.“

2. Nicht &bdquo;Arbeit“, sondern Meditation.

Wenn die Arbeit im Garten ruft, sollte man cool bleiben, rät Bert Weigel. Natürlich: Das Unkraut müsse raus, der Rasen von Zeit zu Zeit gemäht werden - bei ihnen ohne Aufsitzrasenmäher, wie die meisten Nachbarn sie längst hätten. &bdquo;Allerdings können wir dem Gras auch ganz gut beim Wachsen zusehen“, sagt er und lacht. Wenn sie dann mähten, was zwei bis drei Stunden dauere, sei der Effekt jedes Mal enorm: &bdquo;,Es sieht aus wie in einem Park!’, meinen viele dann.“

Sie hätten nie gewollt, dass der Garten in Arbeit ausartet. An der frischen Luft sein und den Kopf freibekommen, etwa beim Harken des Laubs, das nach dem ersten Frost in Massen zu Boden falle ... &bdquo;Das ist doch wie Meditation“, findet Astrid Weigel einen Vergleich. Der Garten sei ein eigener Kosmos, meint ihr Mann. Diesen zu gestalten, sei für sie kein Kampf, sondern eher Hingabe - und Erfüllung. &bdquo;Manchmal dauert es einen Moment, in die Arbeit hineinzufinden. Wenn es so weit ist, kann ich Stress und Alltagssorgen vergessen - und manchmal kaum wieder aufhören“, beschreibt es Bert Weigel. &bdquo;Sobald du im Garten bist“, findet seine Frau, &bdquo;bist du frei.“

3. Im Fluss bleiben.

&bdquo;Etwa 60 bis 70 Prozent der Pflanzen stammen von meinem Schwiegervater“, erzählt Bert Weigel. Der komme mit Eimerchen voller Ableger zu Besuch - und gebe dazu knappe Anweisungen. &bdquo;Schattig, sonnig - und heute noch einpflanzen!“ Zum Einzug und weiteren Anlässen hätten sie ebenfalls viele Pflanzen geschenkt bekommen, etwa Rosen und Hortensien, meist in kleinen Töpfen. Beide Sorten wurden zu Lieblingsblumen der Weigels. Die Hortensien bilden vor dem Haus ein herbstlich-verblasstes altrosa Blütenmeer - sie wurden alle dort eingepflanzt, breiteten sich aus.

Im Rosenschneiden sei er inzwischen versiert: &bdquo;Meine Kernkompetenz. Die blühen gerade zum zweiten Mal“, zeigt Weigel auf den rosafarbenen Rosenbusch. Auch das stundenlange &bdquo;puzzeln“ von Mäuerchen, hauptsächlich aus im Garten gefundenen Steinen, wurde zu seinem Steckenpferd. &bdquo;Nichts Besonderes“, winkt Weigel ab, während seine Frau erwidert: &bdquo;Sehr besonders!“ Die Einfassungen an Wegen und Beeten gäben dem Naturgarten Struktur.

Große Gemüsegärtner seien sie dagegen nicht. Kürbisse und Zucchini, ein kleiner Kräutergarten, ein Hochbeet - doch die Verpflichtung, die jeder Versuch der Selbstversorgung bedeutet, liege ihnen nicht so sehr. &bdquo;Das schaffen wir nicht. Viele erwarten das aber von Gartenbesitzern, und manchmal haben wir deswegen fast ein schlechtes Gewissen.“ Doch ihnen fehle dabei schnell das Spielerische. &bdquo;Allein der ewige Kampf gegen die Schnecken!“

Dabei ernten sie in ihrem Garten dank der Obst- und Nussbäume sowie -büsche dennoch das Jahr über eine Menge. &bdquo;Aus Liebe zu meiner Frau, die gern im Garten Blumensträuße schneidet“, berichtet Bert Weigel mit Blick auf seine Partnerin, &bdquo;habe ich auch ein ansehnliches Blumenbeet angelegt.“

4. Den richtigen Standort finden.

&bdquo;Es kommt, wie es kommen soll.“ Diese Aussage der Weigels passt zu vielen Aspekten ihres Gartens. Eine alte, morsche Weide knickt um - und stört die beiden vorerst gar nicht. Auch dass sich die Rosen an ihrem bisherigen Standort nicht entwickelten, war kein Drama: Sie zogen um auf die andere Seite des Hauses, wo sie, einst kaum kniehoch, Astrid Weigel nun überragen. Der richtige Ort, die passende Umgebung zum Wachsen: Leicht ließe sich Weigels Erklärung auch auf den Menschen übertragen.

5. Mit allen Sinnen genießen.

Beim Streifzug durch den Garten gibt es auch im Herbst noch viele Farbtupfer zu entdecken. Astrid Weigel weist hier auf die spannende Struktur einer verblühenden Pflanze hin, hockt sich dort ins Gras, um Nüsse oder Äpfel aufzusammeln. Während die Familie in Frühling und Sommer darauf erpicht sei, möglichst ihr gesamtes Leben draußen zu verbringen, im Hängesessel zu entspannen oder auf der kleinen Terrasse zu grillen, so sei der Herbst die richtige Zeit, durch den eigenen Garten zu spazieren und zu staunen.

Von der Süße der Trauben und der Saftigkeit der Nashis zu zehren. Die Eichhörnchen zu beobachten, mit denen sie die Walnüsse teilen, die Feldhasen, den Grün- und den Buntspecht, Rehkitz und Ricke, die vorbeischauen, sowie die Igel, die sich bei ihnen so heimisch fühlten, dass sie schon öfter ungewollt Zeugen der von archaischen Tönen begleiteten Fortpflanzungsakte wurden.

Nein, sie könnten sich nicht vorstellen, zurück in die Stadt zu ziehen, sagt Weigel mit Blick auf den plätschernden Oetternbach, in dem Mann und Söhne auch angeln. Sie habe gelesen, dass Menschen, die an einem Fluss lebten, besonders zufrieden, ja glücklich seien. Das fließende Gewässer vermittele Veränderung und Beständigkeit zugleich - genau wie das Leben mit den Jahreszeiten eines Gartens.

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Garten der Familie Weigel in Lage-Heiden

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