Lemgo. Das Glockenspiel an Heiligabend nach dem Gottesdienst auf dem Marktplatz gehört für viele Lemgoer zu Weihnachten wie der Tannenbaum. Aufzeichnungen besagen, dass diese Tradition bis in das Jahr 1939 zurückgeht. Heute wechseln sich die Gemeinden der St. Marien-Kirche und der St. Nicolai-Kirche mit dem Spielen der weihnachtlichen Stücke um 18.15 Uhr ab.
22 Glocken in verschiedenen Größen sind in dem alten Kirchturm der Nicolai-Kirche installiert. Tagtäglich spielen sie zu bestimmten Uhrzeiten den Jahreszeiten angepasste Stücke, nachdem sie die Uhrzeit geläutet haben. An Heiligabend versammeln sich jedes Jahr zwischen 200 und 400 Besucher auf dem Marktplatz. „Den Beginn haben wir mittlerweile auf Viertel nach Sechs verschoben, damit die Menschen es aus den Gottesdiensten der zwei Gemeinden rechtzeitig schaffen", erklärt Volker Jänig, Kantor der St. Marien Gemeinde, der in diesem Jahr das Glockenspiel spielen wird.

„Damals war diese Veranstaltung die der ortsansässigen Gesangsvereine, die auf dem Marktplatz gesungen haben. Da es aber kaum noch solche Vereine gibt, begleitet das Schauspiel seit einigen Jahren der Posaunenchor Lemgo. Das Programm besteht aus vier Liedern des Chores, gemeinsam gesungene Lieder und drei Stücke des Glockenspiels. Zum Abschluss singen alle zusammen „O du fröhliche"."
Eine Anlage ruft die Lieder automatisch ab
In dem Ballhaus, direkt neben dem Bürgerbüro, befinden sich in einem kleinen Raum im Erdgeschoss die Gerätschaften, die für das Spielen der Glocken benötigt werden. Entgegen der veralteten Vorstellung, dass eine Person oben im Kirchturm die Glocken läutet, kommt die schöne Tradition des Glockenspieles heute mit ein bisschen Technik, gut 100 Meter entfernt des Kirchturmes aus. Eine kleine Anlage, die auf den ersten Blick einem Sicherungskasten ähnelt, steuert das Glockenspiel.

„In diesem Gerät sind viele Lieder eingespeichert, die dann automatisiert abgerufen werden", erklärt Jänig. Für das weihnachtliche Spiel lasse sich die Anlage auf manuellen Betrieb umstellen und mit einer Art kleinem anschließbaren Keyboard ist das darauf gespielte Stück unmittelbar als Glockenspiel im Kirchturm hörbar. Für die diesjährige Veranstaltung hat sich der Kantor bereits für die Stücke „Der Morgenstern ist aufgedrungen", „Morgen kommt der Weihnachtsmann" und „Was soll das bedeuten" entschieden.
Laut Quellen des Stadtarchives wurden die ersten zwölf Glocken samt einer Papierwalze mit zwei Liedern und dem Spieltisch im Jahr 1939 von den Nationalsozialisten finanziert. Eingeweiht wurde das Glockenspiel im Frühjahr 1939 mit dem heute verbotenen Propaganda-Lied „Volk ans Gewehr". In den Jahren 1943 bis 1945 blieb das Glockenspiel aufgrund technischer Probleme stumm und wurde demontiert. Bereits ein Jahr später wünschten es sich die Lemgoer zurück.
Der Spieltisch, von dem aus das Glockenspiel gesteuert wurde und welcher von der technischen Anlage abgelöst wurde, bekam seinen Platz auf dem Dachboden des Ballhauses, von dem aus der Organist den Marktplatz überblicken konnte. Im Mai 1948 erklangen die Glocken wieder. Die Anzahl der Glocken wurde von zwölf auf 17 erweitert, 1958 kamen weitere fünf Glocken hinzu. Der Spieltisch steht mittlerweile im Kirchturm, genau neben den Glocken, zu Anschauungszwecken.