Der Verfassungsgerichtshof untersagt zu kleine und zu große Wahlbezirke

Lemgo. Die Parteien müssen ihre Kandidaten-Auswahl für die Kommunalwahl im kommenden Spätsommer verschieben, teilweise sogar wiederholen. Der Grund: Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen hat jüngst nicht nur die Abschaffung der Stichwahl für verfassungswidrig erklärt (wir berichteten), er hat sich auch zur Größe der Wahlbezirke geäußert. Demzufolge hat Lemgo zwei Wahllokale bestimmt, die nach Ansicht der Verfassungsrichter so nicht eingerichtet werden dürfen.

Die Wahlbezirke sollen möglichst gleich groß sein – das ist ein Gebot der Fairness. Denn in jedem Wahllokal wird ein Volksvertreter direkt als Ratsmitglied gewählt. Wenn aber beispielsweise im Autohaus Weege an der Herforder Straße 2345 Lemgoer ein neues Ratsmitglied wählen, während in der Grundschule Brake maximal 1546 an die Urne treten – ist das gerecht?

Der Verfassungsgerichtshof meint: nein! &bdquo;Jede Stimme im Gemeindegebiet muss annähernd gleich viel Gewicht haben", schreiben die Richter und sprechen von &bdquo;Wahlrechtsgleichheit". Für die Kandidaten einerseits. Aber auch für die Wähler, die nicht &bdquo;unterschiedlich großen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Rates beziehungsweise Kreistags" haben sollen.

Bis auf die letzte Stelle hinterm Komma lässt sich das Wählerverhältnis in den Wahllokalen natürlich nicht angleichen. Also ist die Frage: Welche Differenz ist noch fair?

Die Landesregierung hatte hier die Obergrenze bei 25 Prozent Abweichung gezogen. Andreas Fritz von der Stadt Lemgo erklärt: Teilt man die Einwohnerzahl Lemgos durch die Zahl der Wahlbezirke, ergibt sich ein Durchschnittswert. Nach bisheriger Lesart hätte dieser dann um 25 Prozent gerissen werden dürfen – sowohl nach oben als auch unten.

Parteien scharren mit den Hufen Doch da hat die Landesregierung ebenso wie der danach bereits am 7. Oktober handelnde Lemgoer Wahlausschuss die Rechnung ohne die Richter gemacht. Die sagen nämlich: Nichts da – &bdquo;die pauschale Abweichungsobergrenze von 25 Prozent darf nicht ohne Weiteres angewandt werden". Zulässig könnte es allemal sein, wenn etwa Dorfgrenzen entscheiden.

Trotz höherer Abweichungen dürfen die zwei Wahllokale Lüerdissen/Luherheide (22,7 Prozent weniger Wähler als im Lemgoer Mittel) sowie Hörstmar/Trophagen (minus 20,6 Prozent) weiter bestehen – für sie gilt dieser Sonderfall zwecks &bdquo;Wahrung räumlicher Zusammenhänge".

Grundsätzlich unproblematisch sei dagegen nur die 15-Prozent-Grenze, meint der Verfassungsgerichtshof. Was heißt das für Lemgo? Das ganze Fass muss noch mal aufgemacht werden, und zwar auch für die Wahlbezirke, die sowohl nach altem als auch neuem Recht okay sind.

Nach Worten von Andreas Fritz wird der Wahlausschuss, der am 7. Oktober seine Schuldigkeit eigentlich schon getan hatte, bereits am 23. Januar – nur einen Monat nach dem Urteil – erneut tagen.

Verschiebungen muss es für die Wahllokale &bdquo;Autohaus Weege" und &bdquo;Grundschule am Schloss – Mensa" geben. Ersteres ist mit 19,8 Prozent Abweichung zu groß geraten, letzteres mit 21 Prozent zu klein. In beiden Fällen werden laut Fritz jeweils zwei Straßen anderswo zugeschlagen, um die vom Gericht zitierte &bdquo;Wahlrechtsgleichheit" herzustellen.

Bereits für den 25. Januar plant Lemgo die Veröffentlichung der neuen Zuschnitte der Wahllokale im Kreisblatt. Denn die Zeit läuft den Parteien davon. Erst, nachdem im Amtsblatt die Bezirke veröffentlicht sind, dürfen die Parteien ihre Mitglieder zu Wahlversammlungen einladen, auf denen die Direkt- und Listenkandidaten bestimmt werden. Und auch dafür müssen wieder mehrwöchige Ladungsfristen berücksichtigt werden.

SPD-Chef findet es "unbefriedigend" Am ärgerlichsten ist das Urteil für die Lemgoer SPD. Denn die Sozialdemokraten hatten ihre Kandidaten schon unter Dach und Fach. Sogar eine Pressemitteilung hatte Marius Kremming vom Ortsverband dazu schon versandt. Demnach sollten auf der Reserveliste acht der bisherigen zwölf Ratsmitglieder stehen – auf aussichtsreichen Posten sogar nur vier von ihnen.

&bdquo;Zwölf Gesichter sind neu und insgesamt 6 der 20 Kandidierenden sind unter 35 Jahre alt", teilte Kremming mit. Der Liste zufolge, die der LZ vorliegt, sollte Ex-Juso-Chef, Ratsherr und Vorsitzender der Kernstadt-SPD, Lasse Huxoll, auf Listenplatz 1 kandidieren. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Udo Golabeck fände sich auf Rang 20 wieder und könnte den Einzug in den Stadtrat realistischerweise allenfalls über den Sieg in seinem Wahlkreis Lieme schaffen, nicht aber per Liste.

Doch nun müssen die Sozialdemokraten ohnehin neu wählen. Zwar geht Julien Thiede, Vorsitzender des Stadtverbandes, angesichts der klaren Mehrheiten bei der ersten Kandidatenkür davon aus, dass es bei der Liste bleibt, doch Sicherheit für die Bewerber gibt es damit wohl erst im März.

&bdquo;Unsere Leute können damit noch nicht über die Dörfer ziehen und sich als Kandidat und Ansprechpartner vorstellen", sagt Julien Thiede. Das sei &bdquo;unbefriedigend" und bedeute einen späten Start in den Wahlkampf. Zudem sei eine Wahlversammlung mit ihren vielen Formalitäten und Fallstricken auch mit reichlich Aufwand verbunden. Die FDP muss ihren Termin für die Kandidatenkür verschieben, dieser war zeitnah vorgesehen.

Lichtblick: Bis zur letzten Frist ist noch Zeit. Am 16. Juli müssen bei der Stadt alle Kandidatennamen vorliegen – und zwar formal korrekt. Wird die Zeit zu knapp, drohe die Gefahr, dass formale Fehler nicht mehr korrigiert werden könnten, sagt Fritz. So sei es schon mal vorgekommen, dass auf der Anwärterliste einer Partei eine Frau stand, die ihren Erstwohnsitz bereits verlegt hatte: Sie war keine Lemgoerin mehr und als Kandidatin raus.

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