Kreis Lippe. Bei den Kommunalwahlen am Sonntag haben sie außergewöhnlich viele Lipper in der Wahlkabine ungültig gemacht: ihre Stimmzettel. Die These: Sie stammen von Protestwählern, die unter den Kandidaten kein Ventil gefunden haben, um ihrem Ärger Luft zu machen. Dafür spricht, dass besonders dort viele Stimmzettel ungültig waren, wo kein AfD-Kandidat auf der Liste stand. Und die konkrete Beobachtung eines Wahlhelfers. Der berichtet gegenüber der LZ von „sehr, sehr vielen Stimmzetteln, über die wir im Wahlvorstand extra beraten mussten“. Das ist immer dann der Fall, wenn der Schein nicht einfach normal angekreuzt oder leer in die Urne geworfen wird. Statt wie sonst von maximal einer Handvoll, berichtet der Wahlhelfer von knapp 50 solcher Fälle. Kommentare hinterlassen Wie sehen die aus? Immer öfter werden Kandidatennamen komplett durchgestrichen oder Kommentare hinterlassen. Beispielsweise „Qualifikation? Fehlanzeige!“. Nach Schätzung des Wahlhelfers stammen 80 Prozent dieser ungültigen Zettel von AfD-Wählern. Dies habe man am Sonntag im Wahllokal sehen können, wenn Kommentare wie dieser auf die anderen Wahlzettel durchgedrückt hätten, wo dann etwa die Kreistagsstimme an die AfD ging. Aber auch Wähler der Linkspartei und der Partei „Die Partei“ waren häufiger vertreten. Bei der Landratswahl landeten vor fünf Jahren kreisweit 3400 ungültige Stimmen in den Urnen (bei fünf Bewerbern). Mit sechs Bewerbern war das Spektrum, das zur Auswahl stand, dieses Jahr sogar noch bunter - trotzdem kamen fast 6300 ungültige Stimmen zusammen. Auffällig, meinten am Donnerstag auch Mitglieder im Wahlprüfungsausschuss, berichtet Pressesprecher Patrick Bockwinkel. Letzten Endes konnte man den Wähler(un-)willen aber nur zur Kenntnis nehmen, zu beanstanden gibt es daran nichts. „Spitzenreiter“ Bad Salzuflen Deuten will der Kreis den steigenden Anteil der ungültigen Stimmen nicht. Genauer hingeschaut wird hier ohnehin nicht mehr, warum einzelne Zettel ungültig sind - ob beschmiert, leer oder neu beschrieben. Die Kontrolle passiert im Wahllokal. Bockwinkel: „In jedem werden die Stimmzettel in einen großen Umschlag gepackt und versiegelt. Nur bei Unregelmäßigkeiten werden die überhaupt noch einmal geöffnet“, betont der Sprecher der Kreisverwaltung. Bei den Bürgermeisterwahlen stachen ebenfalls vor allem Städte und Gemeinden heraus, in denen kein AfD-Kandidat antrat. Allen voran Bad Salzuflen, wo 6,6 Prozent der Wähler ihren Stimmzettel ungültig machten und so weder Dirk Tolkemitt (CDU) noch Kim Neef (Linke) ihre Stimme gaben. Zum Vergleich: 2020 hatte der Wert der ungültigen Stimmen in der Salzestadt noch bei 2,8 Prozent gelegen. Umschwung in Lage ohne Detert Die Werte aus den weiteren Kommunen, in denen kein AfD-Kandidat antrat: Barntrup 3,1 Prozent (2020: 2,2), Lemgo 3,8 Prozent (2,3), Lügde 2,0 (1,1), Schieder-Schwalenberg 2,8 (0,7), Schlangen 2,9 (1,4). Ausnahmen bestätigen die Regel: In Horn-Bad Meinberg (2,4 Prozent, 2020: 2,8), Kalletal (2,2 Prozent, 2020: 2,5) und Dörentrup (1,2 Prozent, 2020: 1,3) ist der Anteil ungültiger Stimmen gesunken, obwohl niemand für die AfD antrat. Besonders interessant ist der Blick nach Lage. Hier gaben 5,1 Prozent der Wähler dieses Mal eine ungültige Stimme ab - der zweithöchste Wert im Kreisgebiet. AfD-Vertreter Uwe Detert war vom Wahlausschuss kurz vor den Wahlen von der Liste gestrichen worden - wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue. Als Lage 2019, nach dem Rücktritt von Christian Liebrecht, vorzeitig einen neuen Bürgermeister wählte, waren nur 0,8 Prozent der Stimmen ungültig. Damals durfte Detert antreten. Ob der Name „Uwe Detert“ gehäuft auf dem Wahlzettel ergänzt wurde, hat die Stadt laut Beigeordnetem Thorsten Paulussen nicht erfasst – „was zählt ist: gültig oder ungültig“. Wenig Bereitschaft zu Kompromiss Auffällig auch 2025: In den Kommunen mit AfD-Kandidaten lag die Zahl der ungültigen Stimmen oft unter einem Prozent - so in Oerlinghausen (0,9 Prozent, 2020: 1,9), Leopoldshöhe (0,9 Prozent, 2020: 1,6), Detmold (0,9 Prozent, 2020: 2,1) und Augustdorf (0,8 Prozent, 2020: 1,0). Extertal (1,0 Prozent, 2020: 1,1) und Blomberg (1,4 Prozent, 2020: 2,1) lagen nur knapp über der Ein-Prozent-Marke. Zusammenfassend scheint die These also nicht allzu steil: Gehen AfD-Wähler zur Wahl, finden auf dem Wahlzettel aber keinen Kandidaten der ihren, bringen weniger von ihnen die Bereitschaft auf, einem „Kompromisskandidaten“ der anderen Parteien ihre Stimme zu geben.