Nach 21 Jahren ist Schluss: Lemgos Bürgermeister Austermann tritt nicht mehr an

Lemgo. Stadtoberhaupt Dr. Reiner Austermann wird nach 21 Jahren den Chefposten im Lemgoer Rathaus räumen. Wie der 57-Jährige sagt, wird er im September nicht mehr antreten.

Am Donnerstagabend wollte Christdemokrat Reiner Austermann seine Entscheidung in einer planmäßigen Sitzung der Lemgoer CDU-Fraktion verkünden. Der Stadtverbands-Vorsitzende Claus Cieciera kündigte auf Nachfrage für den Freitag eine Pressemitteilung an, wollte aber zunächst nicht weiter ins Detail gehen.

Einen Kandidaten, der anstelle von Austermann zumindest auf CDU-Ticket in den Bürgermeisterwahlkampf ziehen will, gibt es jedoch bereits: Es ist der parteilose Geschäftsbereichsleiter Stadtplanung und Bauen der Stadt Lemgo, Markus Baier.

Lemgoer CDU kürt Kandidaten am 17. Februar Der gebürtige Franke (46) ist seit fünf Jahren Lemgoer Baudirektor, inzwischen zum allgemeinen Stellvertreter des Bürgermeisters nach Kämmerer und Beigeordnetem Dirk Tolkemitt (CDU) aufgerückt und gehört damit zum direkten Führungskreis um Stadtoberhaupt Dr. Reiner Austermann. Dirk Tolkemitt will, wie berichtet, Bürgermeister in Bad Salzuflen werden und tritt dort gegen Amtsinhaber Dr. Roland Thomas (SPD) an.

Voraussichtlich am 17. Februar will die Lemgoer CDU ihren Kandidaten küren. Ob es jemanden gibt, der gegen Baier antritt, ist bislang nicht bekannt. Auch die anderen im Stadtrat vertretenen Parteien haben sich noch nicht geäußert. Markus Baier, der seine Ambitionen gegenüber der LZ bestätigt, möchte als parteiloser Kandidat auch das Gespräch mit den übrigen Parteien suchen.

Das Interview Nach vier Wahlperioden ist für Sie Schluss, Herr Austermann. Damit haben Sie es sich offensichtlich nicht leicht gemacht. Hatten doch viele mit einer Festlegung im Herbst gerechnet, zu Ihrem 20-jährigen Dienstjubiläum.

Reiner Austermann: Das wäre in der Tat ein schöner Anlass gewesen. Aber die Entscheidung bedeutet einen solchen Bruch, da nimmt man sich doch etwas länger Zeit. Über die Feiertage hat dann der große Familienrat getagt. Ergebnis: eine Entscheidung, die mir schwer fällt, denn ich komme jeden Tag gern ins Rathaus.

Warum dann der Abschied? Drängt Ihre Partei, die CDU, auf Ablösung – nach dem Motto: 21 Jahre sind genug?

Austermann: Nein, ich spüre eben nicht, dass die Leute meinen, ich klebte am Amt. Aber genau darum geht es mir: Ich möchte aufhören, bevor man das auf dem Marktplatz hört oder spürt. Dann ist es zu spät, wie man auf allen Ebenen, in allen Parteien sieht, wenn es Menschen nicht gelingt, rechtzeitig den Absprung zu finden.

Eine selbstlose Entscheidung also?

Austermann: Nicht ganz. Auch mir selbst bleibt mit dann 58 Jahren noch genug Zeit, um beruflich etwas anderes dran zu hängen. Das wäre in fünf Jahren sehr eng geworden. Aber was das sein wird? Ich komme aus dem Ingenieurwesen, aus dem Maschinenbau. Mehr weiß ich noch nicht.

Lemgo droht, wie andernorts auch, ein noch stärker zersplitterter Stadtrat. Wechselnde Mehrheiten, erstarkte Ränder. Das nervt, macht das Regieren nicht einfacher und kostet Kraft. Dazu wechseln auch beide Volksparteien ihren Fraktionsvorsitzenden aus. Fakt ist: Lemgo steuert in eine ungewisse Zukunft. Hätten Sie sich als Bürgermeister nicht noch einmal &bdquo;opfern" müssen – als Konstante, als Fels in der Brandung?

Austermann: Das kann man so sehen, wenn man meint unentbehrlich zu sein. Ich bin nicht unersetzlich.

Da stellt sich automatisch die Frage nach Ihrem Nachfolgekandidaten ...

Austermann: Mit Markus Baier steht ein guter, parteiloser Kandidat bereit. Einer, der für das Zusammenbinden der Kräfte in einem zersplitterten Rat steht. Er ist im richtigen Alter, parteilos, kennt und kann Verwaltung. Ich setze auf eine breite Zustimmung zu seiner Kandidatur.

Auch Dirk Tolkemitt, Ihr Kämmerer und Beigeordneter, möchte Bürgermeister werden und versucht es nun in Bad Salzuflen. Wäre er, für seine solide Finanzpolitik vielleicht nicht von allen geliebt, aber über Parteigrenzen hinweg fachlich geschätzt, laut Hierarchie nicht dran gewesen?

Austermann: Die Frage stellte sich nicht. Dirk hat sich frühzeitig entschieden. Zu einem Zeitpunkt, an dem für mich eigentlich feststand, ich möchte noch mal antreten.

Selbst wenn Markus Baier als Mann des Interessenausgleichs gilt: Ist Ihnen etwas unwohl mit Blick auf eine Zeit, in der die politischen Ränder stärker werden und Amtsträger angefeindet werden?

Austermann: Durchaus, das macht mir etwas Sorge. Der Interessenausgleich hat unser Land stark gemacht. Heute ist Kompromiss zum Schimpfwort geworden. Doch man muss als Bürgermeister auch Dinge mittragen können, die man als König von Lemgo vielleicht anders entschieden hätte. Und natürlich habe auch ich solche Anfeindungen erlebt, von denen Sie sprechen. Bis hin zu Patronenhülsen in der Post, die immer mehr in Mode zu kommen scheinen.

Bleibt Lemgo auch ohne Reiner Austermann auf Erfolgskurs?

Austermann: Das hoffe und glaube ich. Denn es ist eine Gemeinschaftsleistung von ganz vielen. Zuletzt driftete es etwas auseinander, das gebe ich zu. Aber ich hoffe, dass das nur die Wahlgeplänkel sind. Nach September sind alle Parteien gut beraten, wieder an einem Strang zu ziehen. Möglichst in die selbe Richtung.

Gibt es etwas, das Sie bis zum Herbst noch vom Tisch bekommen wollen?

Austermann: Ich möchte erleben, dass die Planfeststellung für die &bdquo;Nordumgehung" eingeleitet wird.

Welches &bdquo;Lemgoer Geheimnis" für das gute Funktionieren von Stadtrat und Verwaltung geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

Austermann: Verwaltung respektiert die Politik – und umgekehrt. Im Sinne von Fairness, von Offenheit und vor allem von Grundvertrauen. Wir spielen immer mit offenen Karten und die Politik tut es auch. Wenn etwas in die Hose gegangen ist, dann sagen wir es auch.

War das vor 21 Jahren, bei Ihrer Amtsübernahme, auch schon so?

Austermann: Nein, seinerzeit gab es sogar &bdquo;mehrere" Verwaltungen. Heute gibt es einen engen Schulterschluss zwischen allen Teilen der Verwaltung, den Stadtwerken, der Sparkasse und von nicht-städtischen Institutionen wie Lemgo Marketing und der Hochschule. Das macht Lemgo stark.

Erfüllt Sie das mit Stolz?

Austermann: Eher mit Dankbarkeit. Ich durfte mich 20 Jahre für meine Heimatstadt engagieren. Ich weiß jetzt schon, dass die Aufgabe mir fehlen wird. Aber ab November komme ich nur noch ins Rathaus, wenn ich einen neuen Personalausweis brauche. Versprochen.

Da gewinnt man plötzlich ganz viel Zeit – für die Familie, für Hobbys?

Austermann: Ganz gewiss. Sie wissen: Ich schwärme für die Reservisten und alte Militärfahrzeuge.

Apropos Mobilität: Obwohl Sie so etwas wie die &bdquo;Freie Wallfahrt" für Radler mitgetragen haben – Stichwort: Kompromisse, nehme ich an – bekennen Sie sich offen dazu, kein Radfahrer zu sein. Wollen Sie das ändern?

Austermann: Das werde ich nicht. In der Politik ist erfolgreich, wer authentisch bleibt. Radfahren? Ich nicht! Aber ich freue mich jetzt darauf, wieder unbeschwert an meinem Kübelwagen herumschrauben zu können. Das ging bislang so nicht. Sie können ja als Bürgermeister montags nicht mit ölverschmierten Fingern ins Büro kommen. Die Leidenschaft rührt aus der Kindheit her. Damals war ich überzeugt: Entweder ich werde Pastor oder Soldat. Politik stand als Jugendlicher nicht auf der Tagesordnung. Aber ich wäre kein guter Pfarrer geworden und für die Bundeswehr waren die sportlichen Fähigkeiten nicht genügend.

Am Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs 2015/16 haben Sie sich bedingungslos hinter die Menschen gestellt, die Hilfe suchten. In der Rückschau alles richtig?

Austermann: Ja, vor allem die Stadt hat ausgezeichnet funktioniert. Mit einer engagierten Zivilgesellschaft und einer Verwaltung, die nicht nach Paragrafen gefragt, sondern die Ärmel hochgekrempelt hat. Das war eine Herausforderung, wenn man donnerstags nicht weiß, wo man die Menschen unterbringt, die samstags am Waisenhausplatz aus dem Bus steigen.

War das die größte Herausforderung als Bürgermeister?

Austermann: Nein. Das Schwierigste war es, St. Loyen in eine gute Zukunft zu führen. Das durfte nicht scheitern, uns drohten zehn Millionen Euro Verlust, eine dreistellige Zahl an Mitarbeitern auf der Straße und viele ältere Menschen ohne Betreuung. Da hatte ich in der Tat einige schlaflose Nächte.

"Abschied auf dem Zenit" Ein Kommentar von Till Brand

Man soll bekanntlich aufhören, wenns am schönsten ist. Seinen Rückzug aus dem Rathaus kündigt Bürgermeister Dr. Reiner Austermann denn auch auf dem Zenit seiner Anerkennung an. Den allseitigen Respekt hat er sich vor allem im letzten Drittel der 21-jährigen Austermann-Ära erworben. Mit einer absolut professionellen Amtsführung, Geschick bei der Einbindung aller Kräfte in der Stadt und im Umgang mit den wechselnden Mehrheiten (die meist groß waren). Ein Mann, der an die Kraft der Vernunft glaubt.

Nicht zuletzt im Umgang mit der &bdquo;Flüchtlingskrise" zeigte Austermann Größe. Er ging vorweg und ließ an der Bürgerpflicht zur humanitären Hilfe nicht den kleinsten Zweifel.

Möge Lemgo eine neue Führungsmannschaft ebenso überzeugter Demokraten bekommen, wie es die nun Scheidenden sind. Neben Reiner Austermann ziehen sich nämlich auch die Fraktionschefs von CDU und SPD zurück – Kämmerer Tolkemitt wechselt womöglich als Bürgermeister nach Salzuflen. Das ist ein großer personeller Bruch, der die Stadt schlagartig trifft.

Markus Baier, der kein Parteibuch hat, will das Erbe Austermanns antreten, der zuletzt ebenfalls parteiübergreifend auftrat. Fast wie ein Übervater. Dass der CDU-Führungszirkel offenbar bereit ist, Baier aufs Schild zu hieven, anstatt einen aus den eigenen Reihen zu fördern, ist ein klares Signal.

Es lautet: Die CDU-Spitze erwartet einen weiter zersplitternden Rat ohne klare Mehrheiten, in dem Kooperation zählt: Offenheit und Sachpolitik vor Parteiräson und Dogmen. Das müssen die Delegierten allerdings auch erst mal schlucken.

Wahltaktisch dürfte das Friedensangebot der CDU den übrigen Parteien schon mal zu knabbern geben: Da wird nämlich der ein oder andere sein, der noch fünf Jahre bis zu Austermanns Abschied Punkte sammeln wollte, um dann durchzustarten. Die Taktik ist dahin. Zumal Baier für die Fortführung der Politik Austermanns Politik steht. Inhaltlich ist die Angriffsfläche da extrem klein.

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